Filmstudios zwischen Alster und Tarpenbek
Filmstudios zwischen Alster und Tarpenbek
HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN
Hamburg war und ist zwar eine beliebte Filmkulisse für viele Filmproduktionen, aber als Standort von Produktionsfirmen ist die Hansestadt – im Gegensatz zu Berlin oder München – in der Vergangenheit kaum in Erscheinung getreten. Eine kleine Filmproduktionsgeschichte gibt es aber doch, und diese hat sich auch in Groß Borstel, beziehungsweise in unmittelbarer Nachbarschaft abgespielt.
Als die Filmgeschichte mit den ersten Stummfilmen ihren Anfang nahm, bildeten sich etwa 50 größere und kleinere Filmproduktionsfirmen in Deutschland, die meisten in Berlin, eine der ältesten saß jedoch in Hamburg. Die Hamburger „Vera Filmwerke“ wurden schon 1915 formal gegründet. 1919 baute man sich dann eine Produktionsstätte gleich gegenüber vom Eppendorfer Moor, an der Alsterkrugchaussee 192-202. Ihre große Zeit hatte die Firma zwischen 1919 und 1924. In diesen fünf Jahren produzierten die Vera Filmwerke nicht weniger als 20 Stummfilme mit Titeln wie „Brutal“, „Liebestaumel“, „Sklaven der Rache“ oder „Die rote Nacht“. Schon die Titel verraten, dass hier weniger große Filmkunst, als vielmehr Filme für das breite Publikum gedreht wurden. Zu den Darstellern dieser Filme gehörten neben anderen Filmgrößen wie Rudolf Forster, Käthe Haack, Lil Dagover oder Hans Brausewetter, die später alle auch im Tonfilm Berühmtheit erlangten. Man kann sich gut vorstellen, dass die Schauspieler nach den Drehs ihre freien Stunden bei einem Schwatz in einem der zahlreichen Ausflugslokale in der Borsteler Chaussee verbrachten. Weit war der Weg nicht.
Für einige aufwendige Großfilme, deren Handlungen in fernen Ländern spielten, fand man die Kulissen und auch reichlich Personal, ebenfalls in nicht allzu großer Entfernung – im Tierpark Hagenbeck in Stellingen. Dort lebten für die so genannten „Völkerschauen“ zeitweise auch Afrikaner, Eskimos oder Asiaten, die man neben exotischen Tieren als Komparsen in die Filme einbauen konnte. Für die Darstellung von Autorennen nutzte man die Alsterkrugchaussee gleich vor dem Studiogelände. Die Landstraße war in den 1920er Jahren noch zweispurig und mit Kopfstein gepflastert.
Das Filmstudio der Vera Film befand sich in einer ausgedehnten Parkanlage am Alsterufer und war technisch aufwendig ausgestattet.
Im Glasdach des Studios war ein Becken eingelassen, das man als Schwimmbassin nutzen konnte. Die Filmwerke waren dank eines eigenen Stromgenerators von der städtischen Stromversorgung unabhängig. Zu den Einrichtungen gehörten zudem Kopier- und Trocknungseinrichtungen. Hinter der Filmproduktion stand als Finanzier der Bankier Willi Sick, Inhaber der Nordischen Bank- und Handelskommandite Sick & Co. Schon 1921 wurde die Firma von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.
Einer der hauseigenen Stars des Studios war die Hamburger Schauspielerin Margarete Lanner, eigentlich: Margarethe Helene Langlotz, später als Margarete Gräfin Aichelburg verheiratet. Sie drehte an der Alsterkrugchaussee zusammen mit Stars wie Conradt Veidt und Emil Jannings. In Fritz Langs expressionistischen Zukunftsfilm „Metropolis“ spielte sie in einer Nebenrolle mit. Langlotz ging später nach Österreich und starb 1981 in Wien. In einigen Produktionen der Vera Filmwerke führte der Berliner Film- und Theater-Schauspieler Paul Otto (eigentlich: Paul Otto Schlesinger) Regie, in anderen beteiligte er sich als Darsteller.
Seine jüdische Herkunft wurde im Dritten Reich erst spät entdeckt. Um einer Deportation ins KZ zuvorzukommen, wählte Otto 1943 zusammen mit seiner Frau den Freitod. Gustav Gründgens soll sich ebenfalls bei den Vera Filmwerken beworben haben, war aber nicht über die Probeaufnahmen hinausgekommen.
1923 geriet das Studio durch die Hyperinflation und die amerikanische Konkurrenz in Schwierigkeiten und verlegte sich nun auf die Produktion von Dokumentar-, Wirtschafts- und Werbefilmen. Zu den Kunden gehörten unter anderem Karstadt und Darboven. Schon 1930 dachte man darüber nach, den Betrieb einzustellen und die Gebäude und Grundstücke zu verkaufen. 1931 wurde aber noch als einer der ersten Tonfilme „Razzia in St. Pauli“ im Vera-Glasstudio gedreht.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verschlechtere sich die Situation der Vera Filmwerke weiter, denn die neuen Herrscher konzentrierten die Filmwirtschaft zur besseren Kontrolle in Berlin. 1937 gingen die Vera Filmwerke endgültig in Liquidation. Zwischen 1919 und 1930 wurden von den Vera Filmwerken insgesamt 152 Filme produziert, von denen aber bis auf einige Werbefilme keine erhalten geblieben sind.
Mitte der 1920er Jahre hatte die Firma begonnen, um das Studio herum Häuser für ihre Mitarbeiter bauen zu lassen. Dazu gehören die Häuser des Ensembles Alsterkrugchaussee 184 – 190, die Häuser der Wilhelm-Metzger-Straße 32 und 34 und die Häuser am Kugelfang 2 bis 26. Einige der Häuser wurden erst Mitte der 1930er Jahre fertiggestellt.
Nach der Liquidation der Vera Filmwerke wurde das Produktionsstudio mit dem Glasdach abgerissen, die Wohnhäuser verkauft. Die schönen Klinkerhäuser im späten Bauhausstil haben den Zweiten Weltkrieg unbeschädigt überstanden und sind inzwischen als Gesamtensemble unter Denkmalschutz gestellt. Dort wo einst das Studio stand, befinden sich heute ein Studentenwohnheim und zwei Ruderclubs.
Die Geschichte des Films zwischen Alster und Tarpenbek fand erst in den 1990er Jahren eine Fortsetzung. Für eine kurze Zeit hatte die Werbefilmfirma der Brüder Christoph Lauenstein und Wolfgang Lauenstein am Borsteler Bogen ihren Sitz. Für ihren 1989 produzierten surrealen Puppentrickfilm „Balance“ erhielten die Zwillingsbrüder 1990 den Oscar in der Rubrik „Bester animierter Kurzfilm“.
Die Firma „Lauenstein und Lauenstein“ zog jedoch bald weiter in eine Villa im Lokstedter Amsinckpark. 1994 nahm dann der Werbefilmproduzent Christian Müller-Elsner im Borsteler Bogen 27 den Sitz für seine Firma „ELSE“. Müller-Elsner – Spitzname: „Else“, – daher der Firmenname – war in den 1980er Jahren mit seiner Firma „What Else“ sehr erfolgreich im Werbefilmgeschäft gewesen. Dann verließ ihn das unternehmerische Glück. „What Else“ ging 1994 in Konkurs. Die Neugründung „ELSE“ am Borsteler Bogen konnte an die früheren Erfolge nicht mehr anschließen und wurde 2003 geschlossen. Müller-Elsner betätigte sich danach auf anderem Gebiet unternehmerisch auf Mallorca. Im Mai 2018 starb der Filmproduzent unerwartet im Alter von nur 62 Jahren und wurde am 25. Mai auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt.
André Schulz
BUs:
Werbeplakat der Völkerschauen in Hagenbecks Tierpark. Carl G. W. H. Hagenbeck vermittelte mit einer Agentur
professionell, exotische Komparsen an Filmunternehmen.
Eines der wenigen, erhaltenen Bilder der Vera-Werke.
Gut zu erkennen: Ein großes Glasdach das die Film-Sets mit natürlichem Licht versorgte.
Hamburger Deern mit Puppengesicht. Die Schauspielerin Margarete Lanner.
Einige der Villen, die für die Mitarbeiter in unmittelbarer Nähe der Vera-Werke gebaut wurden.
Standfoto aus dem empfehlenswerte Kurzfilm „Balance“. Der Film ist auf Videoplattformen im Internet zu finden.
Standort der Vera-Werke. Falk-Plan von 1949, Detail