Gewissensbisse: #Flugscham Wider einen idotischen Lebensstil
Der Klimawandel schreitet ungebremst voran. Wir sehen es täglich immer wieder: Eisbären verhungern auf ihrer Scholle und sterben aus, in Kalifornien wüten wochenlang Feuerstürme und verbrennen Land und Leben, und in Italien werden ganze Landesteile weggespült. Und was machen wir?
Wir sorgen uns, wir spenden und wir beruhigen uns. Wir sind die Guten. Wir trennen sorgfältig die weißen und grünen Glasflaschen, bündeln unser Altpapier und geben den ausgespülten Joghurtbecher in den gelben Sack oder die Tonne. Wir bringen jedes Wochenende säckeweise unsere Wasserflaschen aus Plastik zurück in den Automaten, um zugleich neues Wasser nach Hause zu fahren, in Plastikflaschen. Wir fühlen uns gut dabei. Wir tun etwas zum Klimaerhalt. Und dann jetten wir nach Mallorca, in die Karibik, den aussterbenden Schildkröten hinterher zu tauchen und gönnen uns den Kurztrip nach London zum Shoppingwochenende oder mal eben auf den Nürnberger Weihnachtsmarkt, um das Holzspielzeug für die Kinder unter die ökologisch nachhaltig gezogene Nordmanntanne zu legen.
Diesen Widerspruch leben viele. Zu viele. Einerseits wird stolz die Maske der ökologischen Verantwortung für unsere Erde getragen, andererseits wird das sogenannte „Jet-Set-Leben“ zelebriert. Das Umweltbundesamt (UBA) hat diesen Menschen als einen „Klima-besorgten Klimasünder“ benannt, „umweltbewusst bei hohem Ressourcenverbrauch“. Je höher das Einkommen, desto höher auch der Umweltverbrauch. Und die besonders umweltbewussten Menschen verursachen auch überdurchschnittlich viel CO2, so eine neue UBA-Studie. Aber nicht alle leben in diesem Widerspruch. Es gibt sie noch, die als gutes Vorbild vorangehen. Die bereit sind, sich für sechs Stunden (und auch länger) von Hamburg nach München in den Zug oder Bus zu zwängen.
„Wieso der Umwelt schaden, wenn eine Bahn- oder Autofahrt zwar etwas unbequemer, aber günstiger und ökologischer ist“. Eine nachvollziehbare Argumentation. Reiseziele, die nicht mit dem Zug oder dem Bus zu erreichen sind, haben viele inzwischen von ihrer Wunschliste gestrichen. Und mit ihrer Abneigung gegen jede zurückgelegte Flugmeile sind sie nicht allein. Die Schweden haben diesen Trend entwickelt. Immer mehr Menschen sehen in Flugreisen ein Problem. Sie wollen nicht mehr den „idiotischen Lebensstil des Vielfliegens“ pflegen, wie schwedische Zeitung schreiben. Hierzu hat sich das schwedische Wort „flygskam“ (Flugscham) herausgebildet. Den Menschen wird es zunehmend peinlich, mit dem Flugzeug zu reisen.
Das klimaverträgliche Jahres-CO2-Budget eines Menschen wird bereits allein durch das Fliegen aufgebraucht und überstrapaziert. Fakt ist, dass der Luftverkehr in immer größer werdendem Maße Mensch und Umwelt schädigt. In Zahlen ausgedrückt: Beispielsweise verursacht ein Hin- und Rückflug zwischen Hamburg und Palma de Mallorca im Durchschnitt 1.200 kg CO2 pro Passagier. Dieses entspricht der Hälfte des jährlichen CO2-Budgets eines klimaschutzbewussten Menschen. Ein Flug von Hamburg nach Dubai mit einem A380 in der Business-Klasse verursacht einen Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) von 4.140 kg pro Passagier. Oder anders ausgedrückt: Anstelle einer einwöchigen Spaßreise nach Dubai könnten Sie zwei Jahre mit ihrem Mittelklassewagen fahren, um einen gleichgroßen Klimaabdruck zu erzeugen. Nach den Berechnungen des UBA dürfen wir Deutschen mal gerade eine Tonne (1.000 kg) CO2 verbrauchen, um die Erderwärmung unter der zwei Grad-Marke des Pariser Klimaabkommens zu halten.
Jede Hamburgerin und jeder Hamburger (vom Säugling bis zum Greis) unternimmt pro Jahr durchschnittlich vier Flüge. Wer fliegt, ist ein Teil des Problems. Denn Fliegen ist mit Abstand der umweltschädlichste Verkehrsträger. Wer fliegt, gefährdet Umwelt und Klima. Und er sollte sich darum für diesen ökologischen Verrat an der Erde schämen.
Martin Mosel
BUs
A) Aus anderen Zeiten: Diese norwegische Briefmarke von 1925 zeugt vom motorisierten Forscherwillen des Jahrhunderts. Ob der Eisbär schon Übles ahnt?
B) Quelle: Umweltbundesamt (2016). Vergleich der durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Personenvergleich (TREMOD 5.63 Bezugsjahr 2014)
Der Autor:
Martin Mosel, Jahrgang 1966, ein bekennender Nicht-Flieger. Er ist Sprecher des länderübergreifenden Arbeitskreis Luftverkehr beim BUND Landesverband Hamburg und Sprecher der Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW).
In diesem Jahr ist er in den Beratenden Ausschuss nach § 32a LuftVG berufen worden, der die Bundesregierung in Fragen des Lärmschutzes und der Luftreinhaltung im Luftverkehr berät. In diesen Funktionen setzt er sich in vielfältiger Weise für eine nachhaltige Belastungsminderung im Luftverkehr ein.