HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN
Die Schule am Lokstedter Damm
Neben der staatlichen Carl-Götze-Schule und der privaten Modernen Schule, beide an der Borsteler Chaussee gelegen, gibt es in Groß Borstel eine weitere Schule. Sie liegt nicht ganz so zentral am Lokstedter Damm.
Seit 1964 ist hier eine Schule für behinderte Kinder untergebracht. Zu Anfang hieß die Schule noch „Heilpädagogische Tagesschule Lokstedter Damm“, jetzt einfach „Schule Lokstedter Damm“. Das Schulgelände liegt recht idyllisch inmitten der Gärten der umgebenden Wohnstraßen Lokstedter Damm, Schrödersweg, Holunderweg und Brödermannsweg. An der Einfahrt zum Schulgelände der Schule Lokstedter Damm ahnt man noch nicht, wie weitläufig das Schulgelände ist. Auf dem Grundstück befinden sich heute vier Schulgebäude. Drei Erweiterungsbauten wurden 1964, 1982 und 1997 errichtet.
Das Haus aus den 1960er Jahren wurde 2017 durch einen Neubau ersetzt. Das Stammhaus entstand 1898 und wird immer noch genutzt.
2009 wurde es saniert und modernisiert. Auf dem Gelände befinden sich einige alte Bäume, stattliche Kastanien und eine prächtige Rotbuche, die vermutlich gepflanzt wurde, als das Stammhaus der Schule entstand.
Die Schule Lokstedter Damm ist eine Sonderschule für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. In Hamburg gibt es sieben Schulen dieser Art. Die Groß Borsteler Schule hat ein recht großes Einzugsgebiet, das über die Grenzen des Bezirks Nord noch hinausgeht. Derzeit besuchen hier 109 Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung die Schule. 25 Sonderpädagogen sowie 30 Erzieherinnen und Erzieher, Therapeutinnen und Therapeuten und sozialpädagogische Assistenten (SPA) kümmern sich um die Kinder, von denen fast 50 % nichtsprechend sind.
Zu den Schulzeiten werden die Schüler kurz vor acht Uhr in dreizehn Schulbussen von ihrem Wohnort zur Schule gebracht. Eine Reihe von Schülern leben nicht weit von der Schule entfernt, in der Stiftung Anscharhöhe in Eppendorf. Um fünfzehn Uhr werden die Schüler wieder abgeholt. Einige Schüler bleiben länger und werden in dem der Schule angeschlossenen Hort betreut.
Die Kinder erhalten ihren Unterricht in kleinen Gruppen von acht bis zehn Schülern in Fächern wie Deutsch, Rechnen oder Sachkunde. In der schuleigenen Turnhalle oder auf einem kleinen Bolzplatz gibt es die Möglichkeit für Sportunterricht. Auf dem Gelände befinden sich außerdem mehrere Spielplätze und eine Go-Kart-Bahn.
Die Klassenräume sind großzügig und freundlich konzipiert. Zu jedem Unterrichtsraum gehört noch ein Nebenraum, in dem man in einer Küchenzeile auch einmal etwas kochen und abwaschen kann. In den Gebäuden befinden sich außerdem Räume zur medizinischen Versorgung und Pflege.
Eine Besonderheit ist der Snoezelen-Raum (aus dem Niederländischen aus „snuffelen“ = kuscheln und „doezelen“ = dösen zusammengesetzt). Eine Sitz- und Liegelandschaft sowie Licht- und Toneffekte erzeugen in diesem Raum eine entspannte Atmosphäre. Die therapeutische Wirkung solcher Snoe-zelen-Räume ist auch in der Altenpflege nachgewiesen.
Mehr als das Lernniveau der 4. Klasse einer Grundschule lässt sich für die meisten Schülerinnen und Schüler trotz differenziertem und handlungsorientiertem Unterricht und intensiver Betreuung in der Regel nicht erreichen, erläutert Volker Eikermann, seit 20 Jahren Schulleiter der Schule. Der Unterricht bereitet die Kinder auf die Lebenspraxis vor.
Die überwiegende Anzahl der Schüler wird nach der Schulzeit trotzdem dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein. Einige Kinder sind von sehr schwacher Konstitution, sodass sie schon während der Schulzeit versterben. Für sie existiert auf dem Schulgelände ein Gedenkstein, der auf Anregung einer Schülerinneninitiative des Gymnasiums Klosterschule vor Jahren durch Spendengelder von Radio Hamburg errichtet werden konnte.
Die Schule am Lokstedter Damm geht auf ein Kinderheim zurück, das 1898 vom Hamburger Kaufmann Eduard Lippert gestiftet wurde. Er nannte es in Gedenken an seine früh an Krebs verstorbene Frau „Marienruh“. Das Heim nahm Säuglinge und Kinder auf, deren Eltern nicht in der Lage waren, die Kinder selber aufzuziehen. Nach dem sechsten Lebensjahr kamen die Kinder zurück zu ihren Eltern, oder es wurden Pflegefamilien für sie gesucht. Vier Schwestern und vier Dienstmädchen kümmerten sich um etwa 50 Kinder.
Das Kinderheim im Lokstedter Damm war nicht die einzige Stiftung von Eduard Lippert. Er hatte noch ein Kinderheim gleicher Art im Gut Hohenbuchen bei Poppenbüttel (Poppenbüttler Landstraße) und ein Erholungsheim für berufstätige Mütter in Poppenbüttel (Poppenbüttler Hauptstraße 25, das Haus ist noch erhalten) gegründet. Da er sich außerdem für die Astronomie begeisterte, unterstützte er die nach Bergedorf verlegte Sternwarte 1903 durch die Anschaffung eines Teleskops. Das von der Firma Carl Zeiss angefertigte Instrument wurde zu Ehren des Stifters Lippert-Astrograph genannt.
Seinen Wohlstand hatte Eduard Lippert mit Geschäften weit weg von Hamburg und Groß Borstel, nämlich im südlichen Afrika erworben. Lipperts Vater hatte die Wollhandelsfirma David Lippert & Co gegründet und war bereits mit Handelsstationen in Südafrika vertreten.
Nach dem Tod des Vaters 1858 führten seine drei Söhne das Geschäft weiter. Eduard Lippert ging nach Südafrika und übernahm Aufgaben in einer Dependance in der Kap-Kolonie Port Elisabeth. Mit Beginn des Deutsch-Französischen Krieges kehrte er 1870 nach Hamburg zurück, diente im Krieg als Krankenpfleger und blieb einige Jahre in Hamburg.
Nachdem man 1866 in Südafrika den ersten Diamanten gefunden hatte, setzte 1871 ein wahrer Diamantenboom ein. Die Firma Lippert verdiente mit Finanzgeschäften und beim Handel von Diamanten mit. Eduard Lippert war in der Hamburger Kaufmannschaft gut vernetzt. Der spätere Diamantenmagnat Alfred Beit lernte bei Lippert, ebenso Carl Cohn, der in den 1920er Jahren Hamburger Senator wurde. Von 1879-1883 gehörte auch Eduard Lippert der Hamburger Bürgerschaft an.
Nach einem Börsencrash 1882 geriet die Firma Lippert unverschuldet in Schwierigkeiten und wurde schließlich liquidiert.
Eduard Lippert zog nun nach Pretoria und gründete eine eigene Firma, mit der er rasch wieder zu Wohlstand kam.
1886 wurde in Südafrika auch Gold gefunden. Eduard Lippert mehrte sein Vermögen durch die Finanzierung von Goldminen und arbeitete eng mit einigen anderen Geschäftsleuten am Kap zusammen, so mit der Familie Beit und mit dem umtriebigen Cecil Rhodes, nach dem später die Kolonie Rhodesien benannt wurde. Zeitweise besaß Lippert ein Monopol auf die Herstellung von Dynamit am Kap.
Als Cecil Rhodes begann, mit Unterstützung der britischen Regierung, die Grenzen der britischen Kolonie im südlichen Afrika zu erweitern, erwarb er mit seiner Firma von König Lobengula (1833-1894) Schürfrechte in Matabeleland, das sich im Süden des heutigen Simbabwe erstreckte.
Eduard Lippert hingegen hatte vom König Handelsrechte erworben, die er mit Gewinn an Rhodes weiterverkaufte. Zuvor unternahm Eduard Lippert mit seiner Frau Marie eine abenteuerliche zweimonatige Reise im Planwagen durch das südliche Afrika, um mit König Lobengula persönlich die Verhandlungen abzuschließen. Über diese Reise hat Marie Lippert in Briefen einige lebendige Berichte verfasst.
Zum Zeitpunkt dieser Reise war Marie Lippert bereits an Krebs erkrankt. Sie starb bald nach der Rückkehr nach Hamburg im Jahr 1897, erst 42 Jahre alt. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof ließ Eduard Lippert für seine Frau ein prächtiges Familiengrab errichten (Planquadrat U 23, 21-35 / V 23, 17-25.). Das Grabmal wurde vor einigen Jahren sorgfältig restauriert.
Der Erste Weltkrieg und die anschließende Inflation fraßen Lipperts Vermögen fast vollständig auf. Er starb 1925. Nach Lipperts Tod wurde das Waisenhaus vom Staat zunächst weitergeführt.
Ab 1935 wurde das Stammhaus als Außenstelle der heutigen Carl-Götze-Schule genutzt, bis es 1964 zur jetzigen Schule wurde.
André Schulz