DER NEUANFANG ALS CHANCE

Das Coronavirus hat die Weltökonomie schwer infiziert. Fast über Nacht gehen billionenschwere Wirtschaftsbereiche zu Boden. Ein Shutdown nie dagewesenen Ausmaßes trifft besonders auch die Luftfahrtbranche.

„Immer schneller, immer weiter, immer höher, immer billiger“, hieß es in der Branche bis vor dem Virus. Der staatlich reglementierte Shutdown beendete weitgehend jeden Flugverkehr. Heute bestimmen noch endlose Reihen abgestellter Flugzeuge und leere Terminals auf der ganzen Welt das Bild eines auf den Boden gezwungenen Luftverkehrs. Gestern noch hochgehandelte Unternehmen mit traditionell klangvollen Namen droht die Insolvenz, oder sie überleben nur mit den Milliarden der aus Steuergeldern genährten öffentlichen Hilfspakete. Das Virus ist jedoch nicht der Auslöser, sondern ein Krisenbeschleuniger. Das strukturelle Problem ist in der Branche schon länger angelegt: Welche Antworten können auf die Klimakrise gegeben werden, und wie kann ein klimaschonendes Wachstum aussehen?

Es ist still geworden rund um den Hamburger Flughafen und in den An-und Abflugschneisen. Eine absehbare Stille. Die Flughäfen und Fluggesellschaften arbeiten bereits an einer Reaktivierung des Luftverkehrs. Von Geld und Erfolg getrieben, wollen die Manager möglichst schnell zurück zu den alten Verhältnissen. Zurück zu den Missständen, zurück zu einem Maximum, zurück zu überfüllten Flughäfen und maßlosen Verspätungen und Ausfällen. Kritische Experten und erste Einschätzungen aus der Branche zeigen, daß eine „Normalität“ noch in weiter Ferne ist. Die Unternehmensberatung Roland Berger geht davon aus, dass es mindestens noch fünf Jahre braucht, bis ein Vor-Corona-Niveau in der Luftfahrt wieder erreicht ist. Es bliebe also eigentlich viel Zeit, über eine Neuausrichtung des Luftverkehrs nachzudenken.

Krise in der Krise
Mit der anhaltenden Klimakrise ist die Debatte um eine ökologische Ausrichtung des Luftverkehrs in Gang gekommen. Als Krise in der Krise offenbart die Coronapandemie mit dem zeitweisen Wegfall der Belastungen aus dem Luftverkehr die zerstörerische Kraft dieses Systems. Die Gesellschaft ist bereit für Veränderungen. Flughafenprojekte werden wegen Ihrer Klimaschädlichkeit gerichtlich untersagt, steuerliche Vergünstigungen eingeschränkt und zusätzliche Abgaben und Antidumping-Maßnahmen gegen die Billigfliegerei initiiert. Dagegen stehen die Milliardenhilfen aus Steuergeldern und Staatsbeteiligungen, wie sie zwischen Lufthansa und Bundesregierung vereinbart worden sind. Die gab es zum klimapolitischen Nulltarif: Trotz großer Proteste wird es keine Bedingungen für einen klima- und ressourcenschonenden Luftverkehr geben. Trotz berechtigter Kritik, Frankreich und aktuell auch Österreich haben gezeigt, wie es gehen könnte. Die dortigen Stützungsmaßnahmen für die Fluggesellschaften sind an eine Reduzierung der Klimalast gebunden, beispielsweise durch Streichung inländischer Kurzstreckenflüge und Österreich führt einen Mindestpreis für Flugtickets und einen Zuschlag für Kurzstreckenflüge ein.

„Superspreader“ Luftverkehr
Fluggesellschaften und Flughäfen bereiten sich auf den Neustart vor. Die Bundesregierung plant zum 15. Juni ihre weltweite Reisewarnung aufzuheben. Flugreisen werden dann in Abhängigkeit der Bedingungen am Zielort wieder möglich sein. Mit strengen Hygienevorschriften – der Tragepflicht für einen Mund-Nasen-Schutz und dem bereits bekannten Abstandsgebot von 1,5 Metern – soll an den Flughäfen eine Infektion mit dem Coronavirus weitgehend ausgeschlossen werden. So weit so gut. Nach dem Check-In (ohne Gesundheitscheck) geht es aber in das Flugzeug – und wenig überraschend: Es wird eng. Wie ehedem sitzen die Passagiere wie maskierte Sardinen in der Dose. Das Risiko ist der Sitznachbar. Seine winzigen Atemtröpfchen können Träger des Coronavirus sein. Diese „Aerosole“ stehen derzeit im Fokus des Interesses. Diese Aerosol-Wolken können sich bis zu vier Minuten in der Kabinenluft halten und stellen somit ein Infektionsrisiko dar. Die Fluggesellschaften halten dagegen, dass mit der bereits heute vorhandenen Klima- und Lüftungstechnik Viren aus der Kabinenluft gefiltert werden können und so Reinraumqualität erreicht wird. Wir müssen uns aber auch in Erinnerung rufen, dass es der Luftverkehr war, der als „Superspreader“ die Coronavirus-Pandemie mit ausgelöst und das Virus in die Welt getragen hat – trotz Filtertechnik und OP-Saal-Qualität der Kabinenluft. Wurde aus dieser Erfahrung nun gelernt? Offenkundig nicht. Gesperrte Sitzreihen im Flugzeug sind jedenfalls Fehlanzeige. „Keine Airline der Welt kann ein Drittel ihrer Sitze blocken. Dann ist kein Flug mehr profitabel“, sagt Carsten Spohr von der Lufthansa. Damit ein Flug Gewinn abwirft, müssen 75 Prozent der Plätze besetzt sein. In einem vollbesetzten Ferienflieger kann jedenfalls so der geforderte Mindestabstand nicht eingehalten werden. Und deshalb sind sich die Experten auch bereits einig: Eine für den Herbst befürchtete zweite Welle der Coronapandemie wird sehr wahrscheinlich – erneut ausgelöst durch den Luftverkehr.

Lebensqualität in ihrer reinsten Form
Die am Boden verbleibenden Anwohner des Flughafens und die Bevölkerung in den weit in die Nachbarländer nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen reichenden Einflugschneisen genießen derweil ein ganz besonderes Erlebnis: Leben, Schlafen und Arbeiten ohne Fluglärm und Flugzeuge. Für viele, besonders die Jüngeren, zum ersten Mal. Und auch der Natur merkt man das Fehlen der Emissionen bereits an. Vielfach wird von klarerer Luft und weitem Blick auf Himmel und Sterne berichtet. Auch die Messwerte der Luftschadstoffe zeigen diese Entlastungen. Eine Situation, an die man sich gewöhnen will.

Neustart – aber wie?
Wohin geht nun die Reise? Die Menschen wollen offenkundig fliegen und haben sich daran gewöhnt. Bis in die 2030er Jahre will der Hamburger Flughafen sein Passagieraufkommen auf 26 Millionen Passagiere steigern. Der Hamburger Senat will dieses Wachstum mit einem massiven Ausbauprogramm begleitet sehen. Die SPD geht sogar noch weiter und will den Bau einer dritten Piste sowie weitere Abfertigungsplätze für Flugzeuge. Für eine zukunftsfähige Perspektive taugt das nicht.

Sind synthetische Kraftstoffe, die mit Hilfe erneuerbarer Energien aus Kohlenstoff hergestellt werden, eine Hoffnung? Die Herstellung dieses Kraftstoffes ist nach derzeitiger Technik ineffizient und verbraucht bei der Herstellung wertvolle regenerative Energie, die für nachhaltigere Ziele schlicht verloren ginge. Der Herstellungsprozess wird auf Jahre viel zu teuer für eine Alltagstauglichkeit. Und letztlich ist auch synthetisches Kerosin keineswegs klimaneutral.

Wir müssen anerkennen, dass es nur einen Weg gibt: weniger fliegen. Hoffnung macht dabei, dass das auch der Großteil der Europäer so sieht. Nach einer Umfrage der Europäischen Investitionsbank (EIB) sind 62 Prozent der Verbraucher bereit, aus Klimaschutzgründen weniger zu fliegen. Alleine die Verlagerung aller innerdeutschen Flüge unter 600 Entfernungskilometer auf die Bahn kann laut einer Studie des Umweltbundesamtes ca. 200 000 innerdeutsche Flüge entbehrlich machen, davon mehr als 25 000 am Hamburger Flughafen. Mit einer Kopplung an eine Qualitäts- und Ausbauoffensive der Bahn, wäre das zumindest ein Anfang!

Angesichts der immensen klimaschädigenden Wirkung des Luftverkehrs ist die Coronakrise auch eine Chance. Der Flughafenbetrieb in Hamburg muss als fester Bestandteil in die klima-, lärm- und umweltpolitischen Maßnahmen des Hamburger Senats eingebunden werden. Mit „Immer schneller, immer weiter, immer höher, immer billiger“ kommen wir nicht mehr weiter – Wir müssen mit mutigen Schritten die Krise als Chance für einen Neuanfang jetzt begreifen!
Martin Mosel

PORTRAI MARTIN MOSEL:
Martin Mosel (54) engagiert sich ehrenamtlich seit vielen Jahren für den Klima- und Lärmschutz im Luftverkehr. Er war Sprecher einer großen länderübergreifenden Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein und ist beim Umweltverband BUND aktiv. Als Mitglied in verschiedenen Gremien, Verbänden und Ausschüssen berät Mosel auch die Bundesregierung in Fragen zu Belastungen durch Lärm- und Luftemissionen im Luftverkehr. Foto: Pressestelle