DER SCHNEIDER VON GROSS BORSTEL

Amon Shala schließt seinen Laden

Der kleine Laden direkt neben dem ehemaligen Fisch-Rolf-Laden, in dem seit geraumer Zeit Immobilienmakler Böttcher sein Büro betreibt, blickte immer ein wenig um die Ecke: Das Schaufenster ist zum Borsteler Zentrum ausgerichtet und ragt am Fußweg neugierig hervor. Ging man vorbei zum Borstelbäcker, grüßte Amon Shala (46) mit einem freundlichen Nicken aus dem Laden.

Er gehörte inzwischen zum Inventar des alten, immer noch etwas verschlafenen Groß Borstel. Man zeigte ihm, was an Kleidungsstücken zu reparieren, zu kürzen oder sonstwie zu ändern war, und Amon Shala machte sich an die Nähmaschine. So wie seit vielen, vielen Jahren – er näht nämlich seit seinem zwölften Lebensjahr.

Seine Schneidergeschichte begann im fernen Kosovo. Hier half er seinem Onkel, der eine kleine Konfektionsfabrik betrieb. Da sich der Junge geschickt anstellte, durfte er auf eine Textilschule gehen, damit er das Handwerk richtig erlernen konnte. Die Geschichte hätte hier weitergehen können, wäre das Kosovo nicht in den fürchterlichen Jugoslawien-Krieg geraten, an den sich viele noch erinnern. Amon sollte 1991 zum Militär eingezogen werden, mit 17 Jahren. Er flüchtete in die Schweiz und von dort gleich weiter nach Hamburg. Sein Vater folgte ihm eine Woche später. Während Amon Shala nach Kriegsende hier in Groß Borstel blieb, kehrte der Vater zurück ins Kosovo.

Im Jahr 2000 gründete Shala seine kleine Änderungsschneiderei. Der Anfang war schwer. Die Umstellung auf den Euro machte alles doppelt so teuer. „Und ich hatte doppelt so wenig Geld in der Tasche.“ Aber nach und nach ging es bergauf. Er konnte mit dem Laden seine Familie ernähren und sich eine Wohnung in Groß Borstel leisten. Er hat viele Freunde und Bekannte in Groß Borstel, ein Musterbeispiel für „Wir schaffen das“. Die Geschichte könnte auch hier weitergehen, wäre nicht Corona dazwischengekommen.

Corona hat Amon Shala nicht infiziert, aber geschäftlich schwer getroffen. Er musste die Reißleine ziehen und sich einen neuen Job suchen. Dabei half ihm seine freundlich-positive Ausstrahlung. Er ist eigentlich ein Intellektueller. Jemand der gerne Geschichten schreibt (auf Albanisch) und immer auch eine Geschichte zu erzählen hat. Hoffentlich auch mal im Boten.

Seine Geschichte als Schneider in Groß Borstel geht mit einem großen Dank an unseren Stadtteil zu Ende. „Ich sage Dankeschön Groß Borstel, dass ich hier so gut aufgenommen wurde, Dankeschön für das Vertrauen, das mir meine Kunden geschenkt haben. Ich habe mit viel Liebe hier gearbeitet, sehr viel gelernt von den Menschen und auch immer Spaß gehabt. Und ich freue mich, wenn wir uns in Groß Borstel wieder auf der Straße oder beim Einkaufen treffen, denn ich bleibe ja in Groß Borstel wohnen.“

Und vielleicht sehen wir ihn auch bald im 114er oder 34er Bus an uns vorbeifahren. Amon Shala schlägt am 1. Oktober ein neues Kapitel in seinem Leben auf – als Busfahrer bei der Hamburger Hochbahn. Lieber Amon, ich wünsche dir sehr viel Glück und Erfolg, und ich freue mich auf ein möglichst baldiges Wiedertreffen mit dir und deinen schönen Geschichten.
Uwe Schröder