RAUCHEN MITTENMANG
Meine ehemalige Klassenkameradin aus Eutin in den Jahren 1941 bis 1944, Signe, fragte mich vor einigen Tagen am Telefon, ob ich jemals geraucht hätte. Da dies eine längere Geschichte ist, schreibe ich sie lieber auf und gebe sie ihr zum Lesen.
Erst nach dem ersten Weltkrieg, also in den goldenen Zwanzigerjahren, begannen die Frauen sich nicht nur vom Korsett zu trennen, Gymnastik zu treiben, sich zu emanzipieren – sie drangen auch in die Herrendomäne des Rauchens ein.
Als dann die Nazis kamen, wandelte sich das Frauenbild wieder rückläufig. Küche, Kinder, ohne Kirche wurde programmiert, möglichst blond und arisch sollten die Kinder sein. Mütter standen hoch im Kurs, es gab für vier Kinder ein bronzenes Mütterkreuz. So machten die Mütter weiter Sport beim BDM „Glaube und Schönheit“. Die Körperertüchtigung wurde weiter betrieben, und auch das Rauchen war nicht anstößig.
Im Gegenteil, je schlimmer die Lage wurde, desto mehr rauchten die Frauen, um die Lebensnervosität, die Angst ums Überleben in den Luftschutzkellern, besonders im Krieg und auf der Flucht, zu betäuben.
Ich erinnere, dass meine Freundin Gisela und ich, während wir in einer nahegelegenen Pension in der Nähe in Eutin an Sonnabenden eine Mahlzeit bekamen, dort im Garten saßen, auf weißen Holzsesseln und uns gegenseitig fotografierten. Wir hatten uns so weit wie möglich in Erwachsene verwandelt: Ein Tuch wurde um den Kopf geschlungen, die Beine übereinandergeschlagen, und in der rechten Hand hatten wir, da wir an echte Zigaretten nicht herankamen, eine Rolle Nähseide zwischen die Finger geklemmt. Wir waren wohl 14 Jahre alt, und es gab schon die Sehnsucht, auch zu den Raucherinnen zu gehören.
Dann wurde die Schule Lazarett, die Kapitulation kam. Danach begann allmählich wieder normales Leben mit Schule, nun für uns in Kiel, da es näher lag. 1947 gab es in Preetz auch schon Tanzstunden, in die die Kieler Oberschüler mit Vergnügen gingen. Es wurden Schülerbälle arrangiert. Es gab auch eine Tombola.
Bei so einem Fest machte ich eine enttäuschende Erfahrung. Es gab bei der einen Zigarette, die als Losgewinn vorgesehen war, zwei Lose, völlig unverständlich. Schlimm war, dass die sehr netten Jungen behaupteten, diesen Gewinn für sich in Anspruch nehmen zu können. Jeder zeigte eine richtige Zahl vor. Dann prügelten sie sich durch den Saal, da keiner nachgeben wollte. Ich war von Zigaretten bedient, ich fand es unwürdig und interessierte mich nicht für das Rauchen.
Hinzukam, dass mein Vater im heißen Juli 1947 in seinem Wintermantel und altem Hut aus der Gefangenschaft kam. Ich wurde aus der Schule geholt und traf ihn auf dem Kieler Bahnhof. Er winkte ab, als ich ihn umarmen wollte. Er war mit einer offenen Tuberkulose nach Hause gekommen. Er zog gleich in mein Zimmer, ich ins Ehebett. So wartete er auf einen Platz im Sanatorium.
Leider konnte er das Rauchen nicht aufgeben. Er hustete furchtbar, so dass ich nachts nicht schlafen konnte. Ich schwitzte sehr, wenn ich an die Klassenarbeit am nächsten Tag dachte. Mein Vater kam nach Tönnsheide, wo man ihm nach und nach sieben Rippen entfernte.
Ich machte Abitur und lernte meinen Mann kennen, der mir drei Monate später einen Heiratsantrag machte. 1952 heirateten wir. Mein Vater starb drei Monate nach der Hochzeit.
Abgesehen davon, dass mich die TBC (Tuberkulose) auch erwischt hatte, es waren insgesamt 10 Jahre einer extrapulmonalen TB, interessierten mich Zigaretten nicht.
Nun zogen wir nach Hamburg-Groß Borstel, es war 1958, und kamen in die vornehme Gesellschaft. Was gab es da? Auf einem silbernen Tablett wurden alle erdenklichen Zigarettenmarken angeboten. Für jeden Gast den Lieblingsqualm. Ich machte das natürlich auch und legte mir eine Seite an: die Dame HB-Zigaretten, die andere Gloria, Stuyvesant (Simon Arzt), oder HB mit Filter, Marlborough (heute Marlboro) oder Astor, Carlton. Peer-de-Luxe-Zigaretten, Ernte mit Filter, North-State-Zigaretten, die Herren auch Zigarren.
Vielleicht habe ich auch ab und an eine Zigarette mitgeraucht, aber nur gepustet. Waren wir eingeladen, machte ich mit.
Einmal, es war eine vornehme Einladung bei einer adeligen Mandantin meines Mannes, als ich eine mir angebotene Zigarette annahm, auch das Feuer. Es gab aber so eine interessante Unterhaltung, dass ich nicht schweigen konnte. So legte ich die Zigarette auf einen Aschenbecher und redete los. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie vom Aschenbecher gefallen war und ein Fünfmarkstück großes Loch in die wertvolle Tischdecke gebrannt hatte.
Die Hausfrau war außer sich, ich erblasste. Sie verlangte von uns, dass wir die Tischdecke kunststopfen ließen. Selbstverständlich war mein Mann einverstanden. Wir nahmen die Decke mit und brachten sie zum Kunststopfen, das kostete 600 DM. Der Urlaub war gestorben und meine Liebe zur Zigarette auch. Ich habe nie wieder eine angerührt, auch wenn ich damals komisch angeschaut wurde.
Dabei war ich ja ein Vorreiter, heute raucht niemand mehr, höchstens, wenn er sich leise nach draußen schleicht, um seine Sucht zu befriedigen.
Antje Thietz-Bartram, Schriftstellerin