HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN:
DIE GROSS BORSTELER STERNWARTE
In vergangenen Jahrhunderten sorgte das Erscheinen von Kometen am Himmel stets für große Furcht, da man keine Erklärung für deren Erscheinen hatte. Sie wurde als Boten für kommendes Unheil angesehen, für Seuchen, Sturmfluten oder Missernten.
Nachdem Astronomen den Wandel vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild vollzogen hatten, legte sich die allgemeine Furcht etwas, wennschon Medien selbst in der neueren Zeit das Erscheinen eines Kometen am Himmel gerne zur Panikmache zwecks Auflagensteigerung nutzen.
Als 1910 der Halley’sche Komet erneut erschien, kündigten Hamburger Zeitungen den Weltuntergang an. Wenn der Komet schon nicht auf der Erde einschlüge, dann würden mindestens die giftigen Gase in seinem Schweif beim Vorbeiflug jegliches Leben auf der Erde vernichten, war man sich in der Presse sicher.
Bei anderen sorgte das Erscheinen eines Kometen aber durchaus für Begeisterung, zum Beispiel beim 14-jährigen Max Beyer. Der Junge liebte es, den Sternenhimmel zu beobachten und hatte dafür kein anderes optisches Werkzeug als ein Opernglas zur Verfügung. Für die Beobachtung des Halley’schen Kometen baute er sich selber ein einfaches Brillenglasfernrohr. Es war der Beginn einer einzigartigen Geschichte eines „Amateur-astronoms“, der als Kometenforscher unter den Astronomen Weltgeltung erlangte und sogar selbst einen Kometen entdeckte – von Groß Borstel aus.
Max Beyer wurde am 22. Oktober 1894 in Hamburg geboren. Nach seiner Schulausbildung wollte er eigentlich Schiffbau studieren. Doch der Erste Weltkrieg begann, und Beyer wurde nach dem Abitur zum Militär eingezogen und an die Westfront geschickt. Dort wurde er 1915 verwundet. Nach seiner Entlassung aus dem Kriegsdienst 1919 wurde Max Beyer im Schnellverfahren zum Lehrer ausgebildet. Es herrschte Lehrermangel.
Beyer unterrichtete an einer Hamburger Sonderschule, studierte aber nebenher an der Universität Hamburg Mathematik, Physik und Astronomie, unter anderem bei Richard Schorr, der auch Leiter der Bergedorfer Sternwarte war. Über Schorr kam Beyer mit anderen Hamburger Astronomen in Verbindung, darunter Kasimir Graff, mit dem Beyer später den Beyer-Graff-Sternenatlas veröffentlichte.
Beyer unternahm seine Sternenbeobachtungen mit einigen selbst gebauten Fernrohren vom Dachboden eines Hauses in Ottensen aus, wo er zur Miete wohnte. Der Hausbesitzer hatte ihm erlaubt, eine Öffnung ins Dach des Hauses zu schneiden, damit Beyer dort mit seinen Fernrohren in den Nachthimmel schauen konnte. Im Umfeld der Bergedorfer Sternwarte lernte Max Beyer auch Wilhelm Gummelt kennen, der das besaß, was Beyer sich mit seinem kleinen Lehrergehalt nicht leisten konnte: leistungsstarke Fernrohre. Schnittzeichnung durch die Privatsternwarte W. Gummelt Beyer unternahm seine Sternenbeobachtungen mit einigen selbst gebauten Fernrohren vom Dachboden eines Hauses in Ottensen aus, wo er zur Miete wohnte. Der Hausbesitzer hatte ihm erlaubt, eine Öffnung ins Dach des Hauses zu schneiden, damit Beyer dort mit seinen Fernrohren in den Nachthimmel schauen konnte. Im Umfeld der Bergedorfer Sternwarte lernte Max Beyer auch Wilhelm Gummelt kennen, der das besaß, was Beyer sich mit seinem kleinen Lehrergehalt nicht leisten konnte: leistungsstarke Fernrohre.
Wilhelm Gummelt war technischer Obersekretär und wohnte in Groß Borstel am Lokstedter Damm 11. Zum Haus gehörte ein größeres Grundstück, das an die Brückwiesenstraße grenzte und auf dem sich auch ein Gartenhaus befand. Hier hatte Gummelt eine private Sternwarte eingerichtet. 1926 nahm Max Beyer die Einladung von Gummelt an, seine Geräte dauerhaft zu benutzen. Beyer zog nach Groß Borstel und bewohnte von nun das Untergeschoss des Gartenhauses.
Max Beyer verfolgte mit seinen Beobachtungen ein Programm, bei dem er über einen längeren Zeitraum sogenannte veränderliche Sterne betrachtete, deren Helligkeitsschwankungen aufzeichnete und notierte. Er stand dabei in engem brieflichen Austausch mit vielen Astronomen in anderen Ländern. Während seiner Arbeiten entdeckte Max Beyer dann eher zufällig einen bis dato unbekannten Kometen, der die Bezeichnung Beyer (C/ 1930 E1 = 1930b = 1930 IV) erhielt.
Beyer hatte mit einer 160/800-mm-Astrokamera Sternenfelder fotografiert und dafür insgesamt 400 Aufnahmen angefertigt. Am 5. März 1930 entwickelte Beyer Aufnahmen, die er am 26. Februar geschossen hatte und entdeckte bei der Betrachtung mit einer Lupe einen nebelartigen Strich. Beyer vermutete einen Kometen, wollte aber sicher sein.
Das Hamburger Wetter ließ erst am 11. März wieder Beobachtungen auf einen klaren Nachthimmel zu. Max Beyer lokalisierte seinen Kometen am 12. März erneut, fotografierte ihn und begutachtete seine Aufnahmen noch in der gleichen Nacht. Am Morgen des 13. März meldete er seine Entdeckung per Telegramm an die astronomische Zentralstelle in Kiel. Am Abend des gleichen Tages bestätigten die Sternwarten in Bergedorf und Mailand Beyers Entdeckung.
Hartwig Lüthen et al. wiesen in einem Aufsatz über die Arbeiten von Max Beyer (Sternkieker 1/2003) nach, dass Max Beyer bei seiner Kometenentdeckung das Glück zur Seite stand. Bei seinen Berechnungen des veränderten Standortes unterliefen ihm nämlich einige Fehler, die sich aber gegenseitig aufhoben. So befand sich der Komet bei der Neubeobachtung am 12. März tatsächlich in der Nähe der Stelle, wo Beyer ihn vermutete. Ein paar Tage später hätte Beyer den Kometen wohl nicht wiedergefunden, da er eine andere Bahn verfolgte, als die von Beyer berechnete.
Wegen der großen Feuchtigkeit im Gummelt’schen Gartenhaus und daraus resultierenden starken gesundheitlichen Beschwerden verließ Max Beyer 1932 seinen Beobachtungssitz in der Groß Borsteler Sternwarte. Er zog nach Hamburg Hamm und richtete sich dort wieder eine Dachsternwarte ein. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten geriet Max Beyer ins Fadenkreuz der Gestapo, nachdem diese an ihn gerichtete codierte Beobachtungen von russischen Astronomen abgefangen hatte.
Man verdächtigte ihn der Spionage. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er zum Marineobservatorium eingezogen und mit Gezeitenberechnungen beauftragt. Später gehörte er zu einem Minenräumkommando und wurde nach Kriegsende im Rang eines Korvettenkapitäns entlassen. Max Beyer war auch nach dem Krieg fast bis zu seinem Tod 1982 als Astronom aktiv und international anerkannt. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem die Ehrendoktorwürde der Hamburger Universität.
André Schulz
Der Artikel entstand mit Hinweisen und freundlicher Unterstützung von Matthias Hünsch und Hartwig Lüthen von der früheren Max-Beyer-Sternwarte, Hamburg.
In Groß Borstel gibt es noch viele Häuser, an denen sich Geschichten ranken, vielleicht auch bei Ihrem Haus. Falls Sie meinen, diese Geschichte sollte erzählt werden, dann setzen Sie sich doch mit mir in Verbindung: andreschulz@hamburg.de
UNTERHALTSAM
Kometenangst in der Karikatur
Die Angst vor einem Weltuntergang war ein willkommenes Thema für die Karikaturisten. Allerhand abstruse Ideen, wie z.B. eine Flucht zum Mond mit einem Luftballon, wurden verwurstet, wie hier auf einer Art Anzeige. Auf der „Einladung zur Abschiedskneipe“ sind die kleingeistigen Lösungsansätze (Saufen, Kissen auf den Kopf, unter den Tisch) sehr schön dargestellt.