KÜNSTLER IN GROSS BORSTEL

MATTHIAS OPPERMANN: KÖNNTE ES AUCH ANDERS SEIN

Zeit seines Lebens malt Matthias Oppermann (65), genauer gesagt seit seinem 16. Lebensjahr. Das, was ihn beschäftigte, war fortan wie eine zweite Spur in seinem Leben. Das eine Leben und das andere Leben. Die zweite Spur war die Malerei. Sie lief mit wie früher bei den alten Tonbandgeräten. Mit der Malerei erschloss sich Matthias Oppermann den einen Teil seiner Wirklichkeit.

Die andere Seite der Wirklichkeit des Matthias Oppermann waren das Aufwachsen und die Jugend in München, Abitur, Studium der Medizin in Hamburg, Ausbildung zum Facharzt für Psychotherapie und Psychoanalyse. Oppermann ist ein überzeugter Psychoanalytiker. Er arbeitet an drei Tagen in der Woche in seiner Praxis in der Sierichstraße. Etwas reduziert, vier bis sechs Patienten täglich. Ideal, um parallel malen zu können.

Psychoanalyse ist, so Oppermann, eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Der Patient liegt auf der Couch, ganz klassisch, wie bei Sigmund Freud. Und erzählt. Was ihm oder ihr einfällt, was ihn oder sie bewegt „oder gerade durch den Kopf geht“. Matthias Oppermann fragt nur nach, wenn er etwas nicht versteht oder wenn ihm etwas auffällt. „Zum Beispiel, wenn jemand alles erzählt, aber nichts über seine Mutter.“

Farben auf einer Palette

Mit der Psychoanalyse durchdringt er Schichten. Es geht ihm darum, die verschiedenen Schichten der Wirklichkeit zu erfassen. Und ganz klassisch auch zu helfen. Wenn Oppermann am Abend die Tür zu seiner Praxis schließt, wenn sein Tagwerk an Psychoanalyse getan ist, dann hat er damit auch abgeschlossen. Mit seinem typischen Lächeln auf den Lippen tritt er dann auf die Straße, geht nach Groß Borstel in seine große Wohnung und betritt sein Atelierzimmer.

Seine zweite Spur. „Die Bilder sind immer bei mir. Ich kann sofort loslegen und malen. Ich kann mir nicht vorstellen, das Atelier an einem anderen Ort zu haben. Die Bilder müssen da sein, wo ich wohne.“ Auch in Gedanken sind die Bilder, an denen er gerade arbeitet, immer bei ihm. Die zweite Spur läuft mit.
Vor etwa 20 Jahren hat Oppermann mit seiner Fotografito-Serie begonnen. Es sind Bilder, die auf Grundlage von Fotografien entstanden sind.

Auf Foto-Positiven, also normalen Abzügen zunächst, bei denen er die Oberfläche bearbeitet hat, deren Schichten er durch Abtragen, Kratzen oder Abschaben und partielles Auftragen, Einarbeiten von Farbe so verändert, dass Motive, neue Farbschichten und Linien herausgeschält wurden. Später verwendete er auch Negative. Er durchbricht mit ihnen die oberflächliche Wirklichkeit. Die Malerei des Matthias Oppermann hat viel gemein mit seiner Psychoanalyse. Die Fotografito-Serie hat Oppermann etwa 2004 abgeschlossen.

Aus der Matrix-Serie


„Danach kam die Matrix-Serie, zu der ich durch einen Zufall kam. Ich hatte einen Kasten mit alten Dias gefunden, den ich eigentlich wegwerfen wollte. Es waren zumeist Gebirgsaufnahmen. Ich bin viel im Gebirge unterwegs und fotografiere. Die Aufnahmen habe ich eingescannt und mit Photoshop Schicht für Schicht übereinandergelegt.“
Durch das Übereinanderlegen entstanden neue Bilder, die fast Mustercharakter haben können. Ein Bild, das Oppermann mir zeigte, bestand aus 286 Fotoschichten. Alles Aufnahmen von Bergen, die nun ein geradezu wellenartiges Abbild erzeugten. Ein anderes Bild ist aus Schichten von 764 Fotos entstanden.


Bei einer Wanderung über den Malojapass traf Oppermann im Oberengadin einen damals etwa 80 Jahre alten Maler und Bildhauer namens Gian Pedretti, mit dem er sofort ins Gespräch kam über den großartigen Alberto Giacometti. Ein Gespräch, das ihn sehr beeindruckt, beschäftigt und auch beeinflusst hat.

Umarmung zweier Frauen

Pedretti kannte den Bildhauer Giacometti noch persönlich, Giacomettis Figuren sind in der Südschweiz zum Beispiel in Martigny allgegenwärtig. Das Werk von Pedretti ist stark durch Giacometti beeinflusst worden. Oppermann meint gar, dass sich Pedretti nie ganz von Giacometti lösen konnte.
Oppermann ist begeisterter Bergwanderer. Kein Extremsportler, der sich in Gefahr begeben würde. Aber schon ein fortgeschrittener Bergwanderer. Er hat sogar einen Eiskurs absolviert, wandert also auch über Gletscher und kennt deren Gefahrstellen. Jedoch kommen nicht nur Berge in seinen Bildern vor. Während unseres Gesprächs sitze ich einem Gemälde gegenüber, das noch nicht ganz fertig ist. Zwei Frauen in der Ecke eines Raumes, eine zarte Umarmung. Grobe Linien. Spröde, kräftige Farben. Wilde Kontraste.

„Wie gehen sie mit dem Dekorativen in der Malerei um?“, frage ich ihn. „Wenn es zu schön ist, muss man es zerstören“, antwortet Oppermann. Wirklichkeit durchbrechen, die Vielschichtigkeit begreifen. Kunst ist ständige Auseinandersetzung. Scheint eine Schicht fertig zu sein, leuchtet schon die nächste durch. Man könnte endlos daran arbeiten. Aber: „Man muss ein Werk abschließen können.“

Aktuelles Bild

Die zwei Spuren scheinen synchron zu laufen und in sich zu ruhen. Die Malerei-Spur auf dem Tonband des Matthias Oppermann ist ohne die Psychoanalyse nicht zu denken. Und andersherum. Oppermann berichtet ähnlich begeistert und überzeugt von seiner Arbeit als Psychoanalytiker wie von seiner Arbeit in der Malerei.
Von September bis Oktober werden die wunderbaren Werke des Matthias Oppermann im schweizerischen Stampa und dort im Centro Giacometti ausgestellt, und zwar unter dem Titel: Wie es mich sehen ließ. Oppermann greift mit seinen dort ausgestellten Arbeiten ein zentrales Thema der Kunst Alberto Giacomettis auf: malen und gestalten, was der Künstler sieht. Er analysiert Schlüsselmomente im Leben Alberto Giacomettis und die Grundlagen seines Sehens.

Im Juli lief eine Ausstellung mit Werken von Matthias Oppermann in der Fabrik der Künste in Hamburg.

Und im September kann man den Künstler und Psychoanalytiker in seinem Atelier besuchen. Der Bund Bildender Künstler veranstaltet die Offenen Ateliers 2021, voraussichtlich am 24., 25. und 26. September.

Beachten Sie bitte die Ankündigung im September-Boten, wenn Sie Matthias Oppermann im Atelier besuchen wollen.

Matthias Oppermann. Geboren 1956 in Gießen – lebt und arbeitet in Hamburg-Groß Borstel

Text und Fotos: Uwe Schröder