DER ZAUNKÖNIG
VÖGEL IN GROSS BORSTEL
Der Zaunkönig ist einer unserer häufigsten Gartenvögel. Er gehört in die Ordnung der Sperlingsvögel und hier in die Unterordnung der Singvögel. Die Familie umfasst 88 nahezu ausschließlich in der Neuen Welt beheimatete Arten. Die einzige Ausnahme bildet der sowohl in Nordamerika als auch in Eurasien weitverbreitete Zaunkönig (Troglodytes troglodytes).
Sein zierlich-runder Körper mit aufrechter Haltung, der meist steil aufgerichtete kurze Schwanz und sein laut schmetternder Gesang machen ihn unverwechselbar. So hat der Zaunkönig im Verhältnis zu seiner Körpergröße mit bis zu 90 Dezibel die lauteste Stimme in der heimischen Vogelwelt.
Der leicht gebogene Schnabel ist im oberen Teil schwarz-braun und im unteren gelblich gefärbt. Das Gefieder zeigt an der Oberseite eine rotbraune und an der Unterseite eine fahlbraune Färbung. An Schwanz, Flügeln und Flanken finden sich dunkelbraune Wellenlinien und über den Augen jeweils ein diffuser, cremefarbener Strich. Die Füße sind fleischfarben bis bräunlich.
Der Zaunkönig ist nach dem Winter- und dem Sommergoldhähnchen der drittkleinste Vogel Europas. Die gefiederten Winzlinge sind 9,5 bis 11 Zentimeter lang und wiegen zwischen 7,5 und 11 Gramm. Die Flügelspannweite beträgt 14 bis 15 Zentimeter. Männchen und Weibchen lassen sich kaum unterscheiden: Lediglich sind die Flügel des Weibchens einige Millimeter kürzer als die des Männchens, und Weibchen singen – wenn überhaupt – nur sehr leise.
Der am Tag und in der Dämmerung aktive Zaunkönig ist weitgehend ein Standvogel – also kein Zugvogel – und ganzjährig ein Einzelgänger. Früher wurde er auch „Schneekönig“ genannt, denn er singt selbst im Winter so lebhaft, dass man meinen könnte, er würde die Kälte und den Schnee freudig genießen. Aus diesem Verhalten leitet sich übrigens die Redewendung „freut sich wie ein Schneekönig“ ab.
Der wissenschaftliche Name „Troglodytes“ hat seinen Ursprung in dem altgriechischen Wort „Troglodyt“, das übersetzt „Höhlenbewohner“ bedeutet. Das ist aber missverständlich. Der Zaunkönig bevorzugt, im Gegensatz zu Vögeln wie dem Specht, keine Baumhöhlen. Vielmehr bezieht sich die Bezeichnung auf die Nestkonstruktion des „kleinen Königs“: eine kugelförmige Lehm und Mooshöhle.
Zaunkönige leben in dichten Büschen und Hecken von naturnahen Gärten und Parks, außerdem im Dickicht von Wäldern und – bei ausreichendem Angebot an Schlupfwinkeln – sogar in offenen Kulturlandschaften. Dabei bevorzugen sie Bach- und andere Gewässerränder mit freigespülten Wurzeln und unterholzreicher Umgebung. Die Nahrung besteht ganzjährig hauptsächlich aus Insekten, Larven, Asseln, Tausendfüßlern und Spinnen, manchmal auch aus Sämereien oder kleinen Beeren.
Zaunkönig-Männchen sichern ganzjährig ihre Reviere und dulden keine anderen Männchen in ihrer Nähe. Hingegen können Weibchen sogar in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander brüten.
Seine Geschlechtsreife erreicht der Vogel im ersten Lebensjahr. Zaunkönige haben in der Zeit von April bis Juli normalerweise zwei Jahresbruten. Im Frühjahr sucht sich das Männchen, sofern noch nicht vorhanden, ein Brutrevier und baut dort gleich nach der Ankunft bis zu acht Nester – dies zunächst in einer Art Rohbau. Die Nester befinden sich in einer Höhe von höchstens zwei Metern getarnt unter Bruchholz und Baumwurzeln, in dichten Büschen oder unterspülten Bachufern, aber auch in Verstecken unter Stegen, in altem Mauerwerk oder Ställen. Das 13 bis 16 cm große Bauwerk ist oval- bis kugelförmig und hat einen seitlichen Zugang. Sobald diese Kugelnester im Rohbau fertig sind, lockt das Männchen mit seinem Gesang Weibchen an. Hat ein Weibchen Interesse, macht es das durch hängend zuckende Flügel und Hin- und Herbewegen des Schwanzes deutlich. Singend führt das Männchen sie zu einem seiner Nester, das von ihr dann eingehend inspiziert wird. Ist sie mit der Stabilität und Größe zufrieden, zeigt sie das durch Paarungsbereitschaft an. Nach der Kopulation beginnt das Weibchen das noch im Rohzustand befindliche Kugelnest mit Moos, Federn und Wolle auszupolstern. Dieser Vorgang dauert mehrere Tage. Währenddessen versucht das selten monogame Männchen weitere Nester zu bauen und jedes sich nähernde Weibchen für sich zu gewinnen. Dabei wurden in einer Brutzeit Paarungen mit bis zu fünf Weibchen beobachtet.
Fünf bis sechs Tage nach der Kopulation legt das Weibchen das erste mattweiße Ei mit rostroten Punkten. Täglich vor Sonnenaufgang wird ein weiteres Ei gelegt, insgesamt sind es fünf bis acht. Während der 14 bis 18 Tage dauernden Brut muss sich das Weibchen selbst mit Nahrung versorgen. Nach dem Schlüpfen trägt es die Eischalen aus dem Nest und legt sie, um keine Feinde anzulocken, mindestens 25 Meter entfernt ab oder wirft sie in Gewässer.
Die Jungvögel sind nach dem Schlüpfen nackt und blind. Erst ab dem vierten Tag beginnen sich die Augen zu öffnen. Ab etwa dem achten Tag veranlassen die Jungvögel durch Bettelrufe auch das Männchen, sich zumindest gelegentlich an der Fütterung zu beteiligen. Frühestens nach zwei Wochen fliegen die Jungen aus und werden dann vom Männchen geführt. Nach dem Ausfliegen dieser Erstbrut kümmert sich das Weibchen um ein zweites Gelege.
Die durchschnittliche Lebenserwartung der Zaunkönige liegt bei drei bis vier, das Höchstalter bei sieben Jahren. Gefahr droht ihnen vor allem von Katzen, Füchsen, Mardern, Eichhörnchen, Ratten, Sperbern, Habichten und Falken. In Hamburg ist der Zaunkönig mit mindestens 18.400 Brutpaaren (Quelle: Mitschke / Brutvogelatlas 2012) die sechsthäufigste Vogelart. Der Bestand zeigt sich seit Jahren stabil und gilt als nicht gefährdet.
Schon über 2500 Jahre alt ist die Geschichte von der Königswahl der Vögel, die dem Zaunkönig seinen heutigen Namen gegeben haben soll – wenn nicht vielleicht doch umgekehrt der Name die Geschichte initiiert hat.
Nach einer Fabel des griechischen Erzählers Äsop (600 v. Chr.) beschlossen die Vögel, denjenigen zu ihrem König zu machen, der am höchsten fliegen kann. Dabei griff der Zaunkönig zu einer List und versteckte sich im Gefieder des Adlers. Als diesen in großer Höhe schließlich die Kräfte verließen, flog der ausgeruhte Zaunkönig über den großen Greifvogel hinaus und rief „König bin ich!“. Allerdings bemerkten die Vögel den Betrug und sperrten den Zaunkönig in ein Mauseloch. Aus diesem entkam er zwar wieder, aber fristet sein Dasein, aus Angst entdeckt zu werden, seitdem im Unterholz.
Diese in vielen Sprachen überlieferte Fabel übernahmen 1812 die Gebrüder Grimm als „Märchen vom Zaunkönig“ in ihre Sammlung. Darüber hinaus stellt der Vogel in ihrem Märchen „Der Zaunkönig und der Bär“ eine ganze Tier-Armee gegen Bär, Fuchs und Wolf zusammen, um seine Ehre wiederherzustellen.
In manchen Überlieferungen heißt es, dass der Zaunkönig „König der Zäune“ sei, weil er durch noch so kleine Maschen oder Lücken des Zaunes schlüpfen kann.
Sicher ist, dass der Vogel schon bei Aristoteles und Plutarch König oder Königlein genannt wurde. Diese Benennung war offensichtlich nachhaltig, denn noch heute findet sich in vielen Ländern und Sprachen der Königsname für den gefiederten Winzling.
Außer bei den Gebrüdern Grimm hat der Vogel auch bei anderen Autoren literarische Spuren hinterlassen, wie zum Beispiel in Eberhard Forsts „Die Zaunkönige im Wespennest“ oder Hermann Löns „Der Zaunkönig“.
Die polygamen Neigungen dieses kleinen „Casanovas“ waren auch Shakespeare bekannt. So tadelt König Lear im gleichnamigen Drama seine lieblosen Töchter und verteidigt mit Ironie die sexuelle Freizügigkeit:
„…Dein Vergehen?
War‘s Ehebruch?
Du sollst nicht sterben: Nicht für Ehebruch!
Nein:
Das tut der Zaunkönig, die kleine gold‘ne Fliege
Treibt‘s mir vor Augen.“
Text und Fotos: Michael Rudolph