Das Israelitische Krankenhaus und die Familie Heine (I)
Groß Borstels Krankenhaus ist das Israelitische Krankenhaus im Orchideenstieg, auch wenn das Haus etwas außerhalb von Groß Borstel steht. Als „Ortsgrenze“ gilt die Alsterkrugchaussee. Der Orchideenstieg und einige weitere Straßen jenseits der Alsterkrugchaussee liegen allerdings noch im Gemeindegebiet der Groß Borsteler Kirche St. Peter. Auch das Israelitische Krankenhaus wurde über viele Jahre seelsorgerisch von den Pastoren der Gemeinde St. Peter betreut. Danach übernahm die Evangelische Gemeinderegion „Alsterbund“ die Seelsorge für die Patienten des Israelitischen Krankenhauses.
Erbaut wurde das Israelitische Krankenhaus an seinem jetzigen Standort, an einem Seitenkanal der Alster, dem Inselkanal, in den Jahren 1960-61. Es blickt hier bereits auf eine mehr als 60-jährige Geschichte zurück, in der sich das Haus einen ausgezeichneten Ruf erworben hat. Seine Geschichte ist aber viel länger und begann woanders, in St. Pauli.
Im Jahr 1839 wurde von den jüdischen Gemeinden von Hamburg, Altona und Wandsbek der Bau eines neuen Hospitals beschlossen. Hamburg stellte dafür das Grundstück des ehemaligen „Pesthofes“ am Hamburger Berg zur Verfügung. Für die Finanzierung des Baus sorgte der Bankier Salomon Heine mit einer Stiftung von 80.000 Mark banco, das entspricht heute etwa eine Million Euro. Das neue Krankenhaus sollte an seine 1837 verstorbene Frau Betty erinnern. Ungeachtet des großen Hamburger Brandes von 1842, der die ganze Hamburger Altstadt zerstörte, wurde das Krankenhaus nach dreijähriger Bauzeit 1843 als „Institut zur Aufnahme, Verpflegung und Heilung Israelitischer Kranker jedweden Alters und Geschlechts“ fertiggestellt. Träger des Hospitals war die jüdische Gemeinde. Tatsächlich wurden in dem Haus aber Arme und Kranke jeder Konfession gepflegt und behandelt.
Der Finanzier Salomon Heine (1767-1844) war ein unermesslich reicher Bankier, „Rothschild von Hamburg“ genannt, und ein großzügiger Wohltäter und Mäzen. Salomon Heine entstammte einer jüdischen Familie aus Bückeburg bei Hannover und war 1784 nur mit ein paar Groschen in der Tasche nach Hamburg gekommen. Er absolvierte eine Banklehre, machte sich dann als Wechselmakler selbstständig und gründete zusammen mit Marcus Abraham Heckscher ein Bankhaus, aus dem 1818 das Bankhaus Salomon Heine entstand. Im Laufe der Jahre kam Salomon Heine zu großem Wohlstand. 1818 verfügte er bereits über ein Kapital von einer Million Reichstaler. Außerdem war Salomon Heine der Onkel des politisch engagierten und scharfzüngigen Dichters Heinrich Heine, was beiden aber keine allzu große Freude bereitete.
Schon vor dem Bau des Israelitischen Krankenhauses gab es in Hamburg und Altona zwei Krankenhäuser, die von der jüdischen Gemeinde mit Unterstützung der Stadt Hamburg betrieben wurden. Jüdische Krankenhäuser waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts aber auch oder sogar vornehmlich der Armen- und Altenpflege gewidmet. Bedürftige wurden in den Hospitälern kostenlos gepflegt, mitunter Jahre lang.
Das neue Israelitische Krankenhaus an der heutigen Simon-von-Utrecht-Straße (früher: Eckernförder Straße) war mit 80 Betten ausgestattet und setzte neue Maßstäbe in Bezug auf Technik und Hygiene. Beim Bau des neuen Krankenhauses wurde aber ins Auge gefasst, in größerer Anzahl Selbstzahler und Kostgänger aufzunehmen.
Nach dem Tod von Salomon Heine 1844 setzte sein Sohn Carl Heine (1810-1865) das wohltätige Werk seines Vaters fort und unterstützte auch das Israelitische Krankenhaus mit großzügigen Spenden. Später folgte ihm in gleicher Weise seine Witwe Cecile Heine (1821-1895).
Nach über 30-jährigem Bestehen wurde das Israelitische Krankenhaus 1877-78 umfangreich saniert und auch organisatorisch neugestaltet. 1880 kam eine Poliklinik hinzu. Die israelitische Armenpflege fiel nun ganz weg. Im Krieg von 1870/71 und im Ersten Weltkrieg leistete das Hospital als Lazarett große Dienste. Während der letzten großen Cholera-Epidemie 1892, in der über 16.000 Hamburger erkrankten und über 8000 starben, konnte das Israelitische Krankenhaus wegen seiner Lage und Ausstattung keine Cholera-Kranken aufnehmen, versorgte aber verstärkt alle übrigen Krankheitsfälle.
1929/1930 sollte das Haus durch einen Anbau und durch einen sechsstöckigen Neubau auf dem Gelände erweitert werden. Wegen der Inflation fehlte es jedoch an Eigenkapital. Da der Hamburger Senat ein Interesse an einer Erhöhung der Krankenbetten in den privaten Krankenhäusern hatte, finanzierte er den fast 1,5 Mio. Mark teuren An-und Neubau durch einen Kredit. Nach der Erweiterung bot das Israelitische Krankenhaus nun Platz für 230 Patienten.
Die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 brachte unmittelbar einschneidende Veränderungen für die jüdische Bevölkerung und auch für das Israelitische Krankenhaus. Schon 1933 durften die jüdischen Ärzte keine Privatpatienten mehr versorgen und das Israelitische Krankenhaus durfte Krankenpfleger und Krankenschwestern nicht mehr ausbilden. Viele Ärzte verließen unter den wachsenden Repressalien Deutschland und wanderten nach Schweden, England oder die USA aus. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde allen jüdischen Ärzten vollständig die Approbation entzogen.
Bald hatte das Krankenhaus fast nur noch jüdische Patienten, da die nicht-jüdischen Kranken mehr und mehr fernblieben. Wegen sinkender Patientenzahlen, Personalproblemen und höherer Kosten geriet das Israelische Krankenhaus in finanzielle Schieflage und konnte schließlich die Raten für den staatlichen Kredit nicht mehr zahlen. Zur Schuldentilgung musste die jüdische Gemeinde das Grundstück und die meisten Gebäude an die Stadt Hamburg abtreten. Der Altbau aus dem Jahr 1843 sollte als Israelitisches Krankenhaus weiterbetrieben werden, doch bei Kriegsbeginn 1939 wurde das Gebäude von der Heeresleitung beschlagnahmt, um hier ein Lazarett einzurichten.
Text und Fotos von André Schulz