Liebe Borstelerinnen, liebe Borsteler,
ein neues Jahr liegt vor uns – und wir wissen nicht, was es uns bringt. Das vergangene Jahr war eine große Herausforderung auf allen Gebieten: Überfall und grausamer Krieg im Nachbarland, geflüchtete Menschen bei uns, Energiekrise, Inflation, Zerfall alter Wirtschaftsbeziehungen und Sicherheiten. Wird es besser? Wir wissen es nicht. Wir sind gezwungen, vieles abzuwarten und mit den Ereignissen mitzugehen, mitzuleben, so, wie sich das Leben halt entwickelt. Möglichst ohne Resignation und Ohnmachtsgefühle, sondern vielleicht mit einer großen Portion Gelassenheit und Zuversicht, dass sich alles neu fügt.
Das Alte, Vertraute, Sichere gehen zu lassen, ohne etwas Neues, Schönes, Begeisterndes in den Händen zu halten, ist schwer. Aber das ist der Zyklus des Lebens – nicht nur in wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Völkern und Nationen, sondern auch im ganz persönlichen Leben jedes Einzelnen.
Es ist heute der 10. Dezember, und aus meinem Leben sind in den letzten drei Wochen drei Menschen gegangen, die ich sehr mochte und mit denen ich auf sehr unterschiedliche Weise verbunden war.
Zuerst starb genau an seinem 95. Geburtstag unser langjähriger Freund, der Architekt Gerd Dierks. Wir haben gemeinsam die Lärmschutzwände an der Güterumgehungsbahn erkämpft, uns über zehn Jahre lang immer donnerstags mit Freunden zum „Stammtisch“ beim Griechen getroffen und dort im wörtlichen Sinne über Gott und die Welt gesprochen.
Drei Tage später starb für uns völlig überraschend und erschütternd Christian Schümann. Er war noch jung, 63 Jahre, und auch wenn die Begegnungen „nur“ beim Gassigehen mit den Hunden oder beim Klönschnack am Gartenzaun stattfanden, fehlt plötzlich ein besonders liebenswerter Mensch, den zu treffen, immer eine Freude war.
Gestern, am 9. Dezember mittags, hörte das Herz von Dr. Birgit Pflugmacher auf zu schlagen. Sie war Dienstagnacht ins UKE eingeliefert worden und ist aus dem künstlichen Koma, in das man sie versetzen musste, nicht wieder aufgewacht. Birgit war seit 2014 die zweite Vorsitzende des Kommunalvereins Groß Borstel. Sie war seit 2017 all die Jahre, die ich mit ihr zusammenarbeiten durfte, immer da. Absolut zuverlässig, kompetent als Kunsthistorikerin, auch in der Initiative Marcus und Dahl, völlig uneitel und jederzeit bereit, das zu tun, was anlag. Und dabei immer elegant und gut gelaunt. Aber sie ist wohl so gegangen, wie sie es sich gewünscht hat: ohne langes Leiden, direkt aus dem Leben.
Diese drei Menschen sind nun plötzlich nicht mehr da. Darüber bin ich traurig, und ich werde sie als eine Konstante in unserem Borsteler Leben und im Kommunalverein vermissen. Gerd Dierks hatte sein Leben gelebt, das letzte halbe Jahr war eine Bürde für ihn. Für Birgit Pflugmacher hat sich ihr Wunsch erfüllt, so gehen zu können, wie es geschehen ist. Es hätte einige Jahre später sein dürfen. Über Christian Schümann weiß ich nur, dass er viel zu früh gegangen ist.
Was ist der Trost, das Zuversichtliche? Dass jede positive Beziehung zu einem Menschen etwas Wertvolles und Kostbares ist, egal wie eng oder wie gelegentlich sie ist. Dass gute Begegnungen uns etwas geben, an das wir uns erinnern können, das uns ein Stück geprägt hat und das uns Orientierung sein kann – auch wenn der Mensch nicht mehr direkt präsent für uns ist.
Herzlich Ihre Ulrike Zeising