Das “Dreidörfereck“ und der Kollauer Hof (I)
Wenn man am Ende des Lokstedter Damms die Lokstedter Brücke erreicht, kommt man in ein Grenzgebiet. Hier stoßen Groß Borstel, Lokstedt und Niendorf aufeinander. Heute haben die Grenzen nur noch verwaltungstechnische Bedeutung, denn die früheren Dörfer sind jetzt alle Stadtteile von Groß-Hamburg. Aber das war nicht immer so.
Groß Borstel gehörte seit 1325 zum Hamburger Landgebiet. Niendorf und Lokstedt waren indes holsteinische Dörfer auf dem Gebiet der Grafschaft Pinneberg. Nach dem Tod des letzten Schauenburger Grafen Otto IV. im Jahr 1640, in Mitteleuropa wütete in dieser Zeit noch der 30-jährige Krieg, erhielt der dänische König Christian IV. die Herrschaft über Holstein. 1864 kam es über die Rolle der Herzogtümer Schleswig und Holstein zum Krieg zwischen dem Deutschen Bund einerseits, vertreten durch Preußen und Österreich, und Dänemark andererseits. Die Dänen unterlagen und mussten Schleswig und Holstein abtreten. Holstein und damit auch die Dörfer Lokstedt und Niendorf standen kurze Zeit unter österreichischer Verwaltung und wurden dann preußisch. Erst im Zuge des Groß-Hamburger Gesetztes von 1937 kamen Lokstedt und Niendorf, so wie viele andere Siedlungen um Hamburg herum, zu Hamburg.
Eine lange Zeit grenzte die Tarpenbek Groß Borstel von Niendorf im Westen und von Lokstedt im Westen und Süden ab. Die Kollau war das Grenzgewässer zwischen Niendorf im Norden und Lokstedt im Süden. Heute verlaufen die Verwaltungsgrenzen der drei Hamburger Stadtteile anders. So wurde im Zuge der Planungen für das Stadtentwicklungsprojekt „Groß Borstel 25“ die Grenze zwischen Groß Borstel und Lokstedt neu gezogen. Das Projekt „Groß Borstel 25“ ist nichts anderes als die Erschließung und Umwandlung des früheren Lokstedter Güterbahnhofes in ein Wohngebiet und besser unter dem griffigeren Namen „Tarpenbeker Ufer“ bekannt.
Da das Neubaugebiet eher am Rande von Lokstedt liegt, aber sehr nahe am Ortszentrum von Groß Borstel, sollten die neuen Bewohner auch verwaltungstechnisch Groß Borsteler werden. Die Stadteilgrenze wurde deshalb nach Süden erweitert. Groß Borstel endet im Süden nun an der Bahnstrecke der Güterumgehungsbahn, womit die Siedlung Tarpenbeker Ufer vollständig im Stadtteil Groß Borstel liegt. Wer sich einmal über die genauen Stadtteilgrenzen informieren will, findet diese auch online in der Hamburger Straßen- und Gebietsauskunft (www.geoportal-hamburg.de/sga). Groß Borsteler, die die Lokstedter Brücke überquert haben und links in die Gert-Marcus-Straße einbiegen, bleiben also in Groß Borstel. Aber auch wenn sie weiter auf der Kellerbleek gehen oder fahren, sind sie jetzt noch ein Stückweit auf Groß Borsteler Gebiet. Das ändert sich an der Bahnunterführung. Hinter der Unterführung ist man in Lokstedt. Auch die Grenze zwischen Lokstedt und Niendorf ist heute anders als in alten Zeiten. Nicht die Kollau, sondern die Güterumgehungsbahn bildet seit dem 1.4.1939 die Grenze zwischen Lokstedt und Niendorf und im weiteren Verlauf zu Eidelstedt. Da die Umgehungsbahn zumeist dem Lauf der Kollau folgt, macht das keinen großen Unterschied. Mit einer kleinen Ausnahme. Kurz bevor die Kollau in die Tarpenbek einmündet, macht sie einen kleinen Knick nach Nordost, dem die Güterumgehungsbahn nicht folgt. So lagen die Grundstücke am rechten Ufer der Kollau vor der Mündung früher einmal wohl noch in Lokstedt, heute gehören sie zu Niendorf. Im Grenzgebiet kann man also zwischen den drei Ortsteilen schnell hin und her springen. Im Restaurant Pulvermühle atmet man Niendorfer Luft. Ein paar Meter weiter, hinter der Bahnunterführung, ist man in Lokstedt. Und um dorthin zu gelangen, nutzt man den Groß Borsteler Teil der Kellerbleek.
Die Straßen-, Flur- und Gewässernamen in dieser Ecke Hamburg deuten auf eine spannende Geschichte hin. Der Namen der Kellerbleek verweist auf eine Wiese (Bleek), auf der sich ein Hünengrab (Keller) befand. Bronzezeitliche Grabanlagen gab es in Hamburg einige, denn das Alstertal war schon seit Tausenden von Jahren besiedelt. So gut wie alle Grabanlagen wurden aber im Zuge der Ausdehnung von Hamburg weggeräumt. Auch in Groß Borstel waren mehrere solcher Steingräber bekannt. Von diesen ist sichtbar nur noch der Licentiatenberg übriggeblieben. Die Kollau hat ihren Namen von einer alten Kornmühle,“Coldeloghe“ genannt, die hier einmal an der Kollau stand. Damit unter dem Mühlenrad immer genug Wasser war, hatte man die Kollau vor der Einmündung in die Tarpenbek zu einem Teich aufgestaut. Die Kornmühle gehörte ab 1325 so wie auch wie das Dorf auf der anderen Seite der Tarpenbek, früher Burstolde genannt, heute Groß Borstel, dem Kloster Jungfrauenthal in Hamburg. Zu dieser Zeit wurden die Wiesen auf der anderen Seite der Tarpenbek auch noch zu Groß Borstel gezählt.
Auf eine Mühle verweist auch die kleine Straße „Mölenwisch“, die parallel zur Tarpenbek auf Niendorfer Gelände verläuft: Möle = Mühle, Wisch = Wiese. Parallel dazu Richtung Westen findet man die Straße „Am Langdiek“. Einen langen Deich gab es hier also auch. Die Kornmühle wurde später aufgegeben und an ihrer Stelle wurde ab 1541 von Hyronimus vom Stein vom Grafen zu Holstein eine Pulvermühle zur Herstellung von Schwarzpulver betrieben. Pulvermühlen hatten die lästige Eigenschaft, gelegentlich in die Luft zu fliegen. Das lag an der damals nicht bekannten elektrostatischen Aufladung, die beim Zerstampfen und Mischen von Holzkohle, Schwefel und Salpeter entstand. Ein Funke reichte dann bisweilen, um eine Explosion auszulösen. Die Pulvermühle an der Kollau explodierte 1660 und nach dem Wiederaufbau noch einmal 1793. Dann wurde die Produktion von Schwarzpulver hier eingestellt. Die Straße „An der Pulvermühle“ erinnert an die Schwarzpulvermühle. Auch das Restaurant „Pulvermühle“ am Lokstedter Damm leitet von ihr seinen Namen ab, befindet sich aber in einem alten Gaswerk.
Schließlich findet man an dieser Ecke auch noch die Straße „Am Kollauer Hof“. Der Namen verweist auf den Hof, zu dem die oben erwähnte Coldeloghe gehörte. Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert wurden hier prächtige Feste gefeiert.
Davon mehr im zweiten Teil in der nächsten Ausgabe des Groß Borsteler Boten.
André Schulz