Die Groß Borsteler Polizeiwache (Teil II)
In der letzten Ausgabe des Boten haben wir erfahren, welche kriminelle Vergangenheit unser heute eher ruhiger Stadtteil hat. Insassen des Männerlagers an der Sportallee/ Ecke Weg beim Jäger hatten in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren kriminellen Machenschaften immer wieder für Unruhe gesorgt. Auf der anderen Seite des Gesetzes standen die Polizeibeamten des Groß Borsteler Polizeireviers 47 und versuchten, Ruhe und Ordnung durchzusetzen. Die Hamburger Polizei war nach dem Ende der französischen Besatzung am 26. Mai 1814 als Nachfolger der Bürgerwehr gegründet worden, zunächst als Provisorium. 1821 wurde sie per Bürgerbeschluss zur ständigen Institution. Groß Borstel erhielt seine erste Polizeistation im Jahr 1896. Knapp zehn Jahre später, 1909 zog die Groß Borsteler Polizeiwache in ein Gebäude der ehemaligen Koopmann‘schen Konservenfabrik an der heutigen Stavenhagenstraße, damals noch Königsstraße. Das Haus befand sich nahe der Einmündung in die Niendorferstraße gleich neben dem alten Schulkaten, der hier auch noch stand. Nicht weniger als 30 (!) Polizeibeamte hatten hier in den Hochzeiten im Schichtbetrieb ihren Arbeitsort. Wer in Groß Borstel polizeiliche Unterstützung benötigte, erreichte das Revier unter der Nummer 311 50 91 (Achtung, nicht mehr anrufen. Die Nummer ist nicht mehr gültig.)
Wie im letzten Heft beschrieben, brauchte die Groß Borsteler Polizei sich über einen Mangel an Arbeit nicht zu beklagen. Außer der Aufklärung von Verbrechen bereitete auch der Autoverkehr mit vielen Unfällen einige Probleme. Tatsächlich war der Weg durch die Borsteler Chaussee, über den Borsteler Bogen und die Niendorfer Straße oder den Lokstedter Damm zur Kollaustraße der Hauptweg, um nach Niendorf zu kommen. Den Durchstich zur Papenreye gab es noch nicht, ebenso wenig wie den Ring zwei. So war die Zeit bis zum Ende der 1960er/ Anfang der 1970er Jahre in Groß Borstel in mancherlei Hinsicht sehr belebt.
Schon 1967 hatte aber die Lufthansa Werft, die sich am Rande des Flughafens auf dem Gelände der einstigen Pferderennbahn befand, wegen ihrer Erweiterungspläne bei der Stadt Hamburg Interesse an dem Grundstück auf der anderen Seite des Weg beim Jäger angemeldet. Die Sozialbehörde plante daraufhin, das dortige große Sozialllager in mehrere kleinere Lager in anderen Stadtteilen aufzuteilen. An den geplanten Standorten gab es allerdings einigen Widerstand. 1971 konnte das Lager dann aber doch aufgelöst werden. Für 300 Bewohner hatte die Sozialbehörde feste Unterkünfte an einer anderen Stelle der Sportallee gebaut. Die übrigen Bewohner wurden in die Wohnunterkunft Wittensee in Stellingen und ein ausgebautes Männerheim in Öjendorf aufgeteilt. Nun wurde es in Groß Borsteler ruhiger.
Auf die Organisation des Polizeireviers 47 hatte die Auflösung des Männerlagers zunächst keinerlei Auswirkungen. Noch im Jahr 1972 ließ die Stadt Hamburg das alte Koopmann’sche Fabrikgebäude für etwa 400.000 D-Mark grundsanieren. 1973 übernahm Polizeihauptkommissar Wolfgang Stannieder die Leitung der Wache. In Hamburg genoss die Wache sogar einen Sonderstatus, denn es war die einzige „Nichtraucherwache“ in der Stadt.
Schon ab Mitte der 1950er Jahre wurde die Polizei in Deutschland nach und nach umorganisiert. Die Streifenpolizisten verschwanden allmählich, stattdessen kamen Funkfahrzeuge zum Einsatz. 1954 gab es in Hamburg schon 40 solcher Funkstreifenwagen. Ende der 1950er/ Anfang der 1960er Jahre kam es in der Bundesrepublik Deutschland zu den ersten Jugend-Aufständen, damals „Halbstarken-Krawalle“ genannt. Nach dem Staatsbesuch des persischen Schahs und dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg im Juni 1967 in Berlin weiteten sich diese zu den Studentenunruhen der so genannten 1968er-Generation aus. Die Polizei wusste oft nicht, wie sie mit dieser neuen gesellschaftlichen Entwicklung umgehen sollte. Ab 1970 sah die Polizei dann sich und die öffentliche Ordnung durch die Baader-Meinhof-Gruppe und deren terroristischen Anschläge in ganz besonderem Maße herausgefordert. In den für das Polizeiwesen zuständigen Bundesländern wurden nun vermehrt über eine Polizeireform nachgedacht, um die Ordnungskräfte gegenüber diesen neuen Herausforderungen schlagkräftiger aufzustellen. Die Lösung sollte eine Zentralisierung der Kräfte in größeren Polizeirevieren mit besserer technischer Ausrüstung sein. Den kleinen Revieren in den Stadtteilen drohte die Auflösung. So wurde es auch umgesetzt.
Die Neuordnung stieß aber in den betroffenen Stadtteilen, in denen die kleineren Reviere aufgelöst wurde, in Hamburg waren es ca. 30 Reviere, nicht auf Begeisterung. Die Polizeibeamten, die hier täglich ihre Arbeit verrichteten, zum Teil auch im Ort selber wohnten, gehörten schließlich zum Stadtteil dazu und wurden nun aus ihrer bisherigen Wirkungsstätte herausgelöst. Der Kontakt der Polizei zur Bevölkerung würde verloren gehen, wurde befürchtet.
Die geplante Schließung der Groß Borsteler Wache wurde 1974 bekannt und dann intensiv diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt litt die Wache wegen Abstellungen des Personals zu anderen Wachen schon unter Personalmangel und die klassische Fußstreife war bereits eine Seltenheit. Im Borsteler Boten aus jenem Jahr wurde das flegelhafte Verhalten von Jugendlichen beklagt, die mit Fahrrädern und Mopeds ältere Passanten auf den Gehwegen anfuhren. Nachts kam es regelmäßig zu Einbrüchen in Geschäfte. Funkstreifen bemerkten solche Vorfälle aus dem Auto heraus nicht, wurde geklagt. Doch der Widerstand der Groß Borsteler Bürger nützte nichts.
Anfang 1977 wurde endgültig beschlossen, das Groß Borsteler Polizeirevier an der Stavenhagenstraße zu schließen. Der letzte Arbeitstag der Polizeibeamten an ihrer Wirkungsstätte war der 15. Mai 1977. Danach wurde Groß Borstel polizeilich halbiert. Der westliche Teil unterstand nun dem Polizeirevier 45 in der Eppendorfer Martinistraße, der östliche Teil hinter der Sportallee der Wache Ost am Wördenmoorweg in Langenhorn.
Nach dem Wegzug der Polizeibeamten sollte das Haus an der Stavenhagenstraße als Altentagesstätte genutzt werden, doch dann stellte man fest, dass das Haus wegen Hausbockbefalls trotz der Sanierung baufällig geworden war. Im November 1977 wurde das Haus abgerissen.
André Schulz