Vögel in Groß Borstel
Die Türkentaube
Trotz ihres Namens kommt sie nicht nur in den Regionen Istanbuls oder Ankaras vor. Allerdings reichte ihr Verbreitungsgebiet ursprünglich von der Türkei bis nach Japan. Die Rede ist von der Türkentaube (Streptopelia decaocto), bei der es sich um eine Vogelart aus der Familie der Tauben handelt. Erst in den 1930er-Jahren begann dieser Ausbreitungskünstler in relativ kurzer Zeit fast ganz Europa zu besiedeln. So wurde die erste Brut in Hamburg 1953 auf dem Gelände des Tierparks Hagenbeck entdeckt. Heute wird der Bestand in der Hansestadt auf 1400 Brutpaare geschätzt – mit leicht rückläufiger Tendenz. Noch in den frühen 1980er-Jahren betrug der geschätzte Bestand hier 2000 bis 2500 Brutpaare. Dennoch gilt die Art nicht als gefährdet. In Deutschland dürften 100.000 bis 180.000 Brutpaare unsere Natur bevölkern.
In Hamburg findet man die Türkentaube nahezu ausschließlich im bebauten Stadtgebiet, insbesondere in der Gartenstadtzone, Wohnblockzone sowie in den Dörfern des Alten Landes und in den Vier- und Marschlanden. Hingegen fehlt die Art völlig in der Innenstadt, im Hafengebiet und in Wilhelmsburg. Auch die größeren Hamburger Waldgebiete sind nicht besiedelt. Schließlich bedeutet die bevorzugte Nähe zum Menschen eine sichere Versorgung mit Nahrung – sowohl durch den Getreideanbau der Landwirtschaft als auch durch Futterhäuser in den Siedlungen.
Türkentauben sind 31 bis 33 Zentimeter lang, also etwa so groß wie Stadttauben, dabei jedoch schlanker und mit einem längeren Schwanz, wodurch sie insgesamt zierlicher wirken. Ihr Gefieder ist recht einheitlich hell beigebraun gefärbt, am Rücken etwas kräftiger. Die Flügelspitzen präsentieren sich deutlich dunkler. Das auffälligste Merkmal der erwachsenen Tiere ist jedoch ihr tiefschwarzes Nackenband, umrahmt von einem schmalen weißen Streifen. Diesem verdanken die Türkentauben ihren wissenschaftlichen Namen „Streptopelia decaocto“, denn das altgriechische Wort „Streptos“ bedeutet Halsband oder Halskette. Die dunkelroten Augen weisen einen schmalen weißen Augenring auf. Männchen und Weibchen lassen sich kaum unterscheiden, die Männchen sind lediglich geringfügig größer und schwerer.
Charakteristisch ist der Flug der Türkentauben: Zunächst fliegen sie steil nach oben, bleiben dann rüttelnd in der Luft stehen, um schließlich nahezu ohne Flügelbewegungen nach unten zu gleiten.
Als Ruf der Vögel während der Balz und zur Revierabgrenzung erschallt ein wiederholtes „Gu-guu-gu“ mit Betonung auf der zweiten Silbe. Vor dem Flug und nach der Landung geben sie gerne ein nasales „Chräh“ von sich. Türkentauben ernähren sich überwiegend von Samen, Getreide, Früchten, jungen Trieben, seltener auch von Insekten und Nüssen.
Türkentauben sind meist paarweise anzutreffen. Außerhalb der Brutzeit zeigen sie sich aber auch sehr gesellig, suchen dann bevorzugt gemeinsame Schlafplätze auf und sind insbesondere im Winter in Trupps zu beobachten. Sie sind Standvögel, ziehen also nicht.
Die Tiere sind sehr frühreif: Mitunter wird die erste Brut bereits drei bis vier Monate nach dem Schlüpfen begonnen. Türkentauben führen eine Saisonehe, wobei die Partner aufgrund ihrer Standorttreue oftmals im Folgejahr erneut zueinanderfinden.
Die Balz beginnt im Frühjahr, sobald es etwas wärmer wird; Jungvögel balzen hingegen erstmals im Herbst. Die Männchen präsentieren den Weibchen verschiedene Nistplätze. Dabei versuchen sie, durch Rufe und Flügelklatschen die Angebetete von dem betreffenden Platz zu überzeugen. Fortpflanzungsfreudig und fleißig ziehen Türkentauben in der Zeit von März bis September zwei bis fünf Bruten groß.
Bevorzugt in Nadelbäumen bauen die Eltern in spe gemeinsam aus dünnen Zweigen sehr schlichte Nester, in die meist zwei Eier gelegt werden. Die Brutzeit beträgt mindestens 14 Tage, wobei sich die Partner ablösen: Hier übernimmt das Männchen meist die Tag-, das Weibchen die Nachtschicht. Die Nestlingsdauer beträgt mindestens 22 Tage. Die Jungen werden dabei von beiden Eltern mit Nahrung versorgt, die in den ersten Tagen aus der besonders protein- und fettreichen „Kropfmilch“ besteht, einem im Kropf der Elternvögel vorverdauten Brei. Nach einem Monat sind die Jungen voll flugfähig und unabhängig, bleiben allerdings noch längere Zeit in der Nähe der Eltern.
Türkentauben können in Gefangenschaft bis zu 20 Jahre alt werden, in der freien Natur acht bis zwölf Jahre, weil sie hier ungünstigen Witterungen ausgesetzt sind und viele Feinde haben. Zu denen gehören unter anderem Greifvögel, Marder, Eichhörnchen und nicht zuletzt Menschen, denn Türkentauben unterliegen in Deutschland dem Jagdrecht. So dürfen die Vögel in vielen Bundesländern bejagt werden. Aber nicht in unserer Hansestadt, denn hier genießen Türkentauben ganzjährige Schonzeit (wie auch in Berlin, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein). Also, liebe Türkentauben: Auf nach Hamburg!
Text und Fotos:
Michael Rudolph