Vögel in Groß Borstel

Die Dorngrasmücke

Die Dorngrasmücke (Sylvia communis) ist wie die Mönchsgrasmücke (vorgestellt im Groß Borsteler Boten 3/2023) eine Vogelart aus der Familie der Grasmückenartigen. Ihr Vorkommen erstreckt sich über ganz Europa und Teile Asiens und Afrikas. Der Bestand in Deutschland wird auf 600.000 bis 950.000, in Hamburg auf 2.300 bis 2.500 Brutpaare geschätzt.

Dorngrasmücke

Wie der wissenschaftliche Artname „communis“ andeutet, waren Dorngrasmücken bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr häufige Vögel. Schwere Dürren in den afrikanischen Überwinterungsgebieten des Vogels hatten jedoch insbesondere im Winter 1968/1969 zu einem erheblichen Bestandseinbruch unter den aus der Sahelzone zurückkehrenden Dorngrasmücken geführt. Von diesen Verlusten, zu denen auch die fortschreitende Zerstörung von Lebensräumen in den Brutgebieten beiträgt, hat sich die Art bis heute nicht völlig erholt. Sie gilt dennoch mit einem geschätzten europäischen Bestand von 7 bis 22 Millionen Individuen als nicht gefährdet.

Mit 13 bis 15 Zentimeter Länge sind die sehr lebhaften Dorngrasmücken etwa so groß wie Haussperlinge. Ihre Oberseite ist graubraun, die Unterseite weißlich gefärbt und die Kehle weiß. Die auffallend rostbraunen Flügelfedern weisen schwarze Streifen auf. Männchen haben einen grauen Kopf, breite weiße Augenringe und eine ins Rosa gehende Brustfarbe; Weibchen und Jungvögel hingegen einen braunen Kopf und eine hellbeige Brust. Im Vergleich zu anderen Grasmückenarten fällt ihr Schwanz länger aus. Er ist rostbraun gefärbt und weist weiße Außenkanten auf.

Die Rufe des Vogels klingen eher heiser und nasal wie „wähd“ oder „tscherr“. Sie ähneln denen anderer Grasmückenarten, von denen sich allerdings der Gesang deutlicher unterscheidet. Dieser besteht aus eher kurzen, rau schwätzenden Tonfolgen, die wie „Didudi-doidida“ klingen. Ein Merksatz dafür ist ein schnell gesprochenes „Mach ich doch! Hab‘ ich doch gesagt“.

Der Gesang dient sowohl dem Anlocken von Weibchen als auch der Abgrenzung und Verteidigung des eigenen Territoriums gegenüber Rivalen. Versucht ein solcher in ein besetztes Revier einzudringen, so wird er in der Regel nicht durch physische Gewalt, sondern durch Drohgebärden und intensiven Gesang vertrieben.

Auf dem Speiseplan der Dorngrasmücken stehen bevorzugt Insekten, Larven, Blattläuse und Spinnen, insbesondere im Spätsommer und Herbst aber auch Beeren.

Die Vögel leben vorzugsweise in offenen und halb offenen Landschaften mit einzelnen Büschen und Stauden. Hier fliegen sie besonders gerne sonnenbeschienene Dornensträucher an – woher der Name Dorngrasmücke rührt.

Ihr Nest bauen beide Partner gemeinsam – nicht höher als einen Meter über dem Boden – geschützt in dichtem Strauchwerk, bevorzugt in Brombeerbüschen. Mit Ausnahme der Stadtteile mit sehr dichter Bebauung gibt es im gesamten Hamburger Raum Brutvorkommen, in Groß Borstel insbesondere entlang der Tarpenbek und des Flughafenrandes.

Leider ist die Dorngrasmücke in den letzten Jahrzehnten aus einigen Stadtteilen verschwunden. Dafür sind vor allem zwei Entwicklungen verantwortlich: So ließ die Bebauung von kriegsbedingten Brachen und Trümmerflächen nach dem Krieg entstandene Vorkommen wieder erlöschen. Noch stärker aber schlugen die Verluste an Brutmöglichkeiten durch die zunehmende Bebauung der Feldmark vor allem im Norden Hamburgs (Niendorf, Langenhorn, Wellingsbüttel, Poppenbüttel, Hummelsbüttel) in den 1960er- und 1970er-Jahren zu Buche, die sich zu einem Arealschwund von 15 Prozent summierten.

Dorngrasmücken sind Langstreckenzieher, die im Spätsommer oder Herbst nachts nach Afrika fliegen, wo sie – wie bereits erwähnt – in der Sahelzone sowie südlich davon überwintern. Ab Mitte April kehren die Vögel zurück in ihre Brutgebiete. Hier gibt es bis Juli ein bis zwei Jahresbruten.

In das aus Gräsern, Halmen, Wurzeln und Haaren gebaute napfförmige Nest legen die Weibchen drei bis sechs grünlichweiße Eier mit braunen Punkten. Vor allem das Weibchen bebrütet das Gelege etwa 12 Tage lang. Die Küken sind Nesthocker und werden etwa 14 Tage lang von beiden Eltern mit Nahrung versorgt. Danach geht es für die Jungen direkt in die „Selbstständigkeit“. Ihre Geschlechtsreife erreichen sie nach einem Jahr.

Die natürlichen Feinde der Dorngrasmücke sind vor allem Greifvögel, Katzen und Marder. Darüber hinaus weist ihr historischer Name „Kuckucksammer“ auf eine weitere Gefahr hin. Denn die Tiere sind auffallend oft Wirtsvögel des bekannten Brutparasiten, der sein Ei besonders gerne in deren Nester legt. Da ein junger Kuckuck naturgemäß viel größer und kräftiger als die Küken der Dorngrasmücken ist, drängt der undankbare Untermieter diese aus deren Nest. Vielleicht zeigt das Verhalten aber auch nur, dass selbst in der Natur die Wohnungsnot bereits massiv um sich greift…

Text und Fotos:

Michael Rudolph