Vögel in Groß Borstel

Der Seidenschwanz

Seidenschwanz-Schwarm

In der kalten Jahreszeit einen Trupp dieser schönen, fast exotisch anmutenden Vögel bei uns in Groß Borstel entdecken und beobachten zu können, mutet wie ein Weihnachtsgeschenk an. Die Rede ist vom Seidenschwanz (Bombycilla garrulus), der einzigen regulär in Europa vorkommenden Art aus der Familie der Seidenschwänze. Dieser Vogel lebt in der nördlichen Taigazone von Nordskandinavien bis zur kanadischen Hudson Bay. Hier brütet er bevorzugt in fichten- und unterholzreichen Mischwäldern. Der Seidenschwanz ist Standvogel und Kurzstreckenzieher. Dabei unterliegt sein Zugverhalten starken Schwankungen. In kalten Wintern beziehungsweise bei Nahrungsknappheit fliegen Schwärme insbesondere nach Nord- und Ostdeutschland und fallen hier in beerenreiche Gehölze, Gärten, Friedhöfe und Parkanlagen ein.

Seidenschwänze werden 18 bis 21 Zentimeter lang, was etwa der Größe von Staren entspricht. Ihr Gefieder ist überwiegend in warmen Graubrauntönen gefärbt. Die auffällige Federhaube und der Kopf zeigen sich in einem stellenweise rötlichen Zimtton. Der Rücken ist blaugrau. Vom Ansatz des kräftigen, überwiegend schwarzen Schnabels zieht sich bis in den Nacken eine schwarze Augenmaske, die den Blick des Vogels streng wirken lässt. Die Kehle ziert ein schwarzer Fleck. Zudem sind die schwarzen und gelben Endbinden am Schwanz charakteristisch. Einige der ebenfalls gelb-schwarz gefärbten Armschwingen enden in roten bis rotorangen Tröpfchen, die wie Siegellack glänzen. Sie sind der Ursprung des englischen Namens „Waxwing“. Die Geschlechter der Seidenschwänze unterscheiden sich weder in der Größe noch in der Farbe.

Der hierzulande im Winter häufigste Ruf des Vogels ist ein metallenes „Sirrrrr“, das am ehesten an ein klingelndes Schlüsselbund erinnert.

Während der Brutzeit fressen Seidenschwänze überwiegend Insekten, die sie von einer Sitzwarte aus erspähen, dann im Flug fangen und verspeisen. Im Herbst und Winter besteht ihre Nahrung fast ausschließlich aus Beeren, Äpfeln und Birnen, die sie vom Erdboden sogar in angegorenem Zustand vertilgen. Den auf diese Weise aufgenommenen Alkohol können Seidenschwänze wegen ihrer im Verhältnis zum Körpergewicht deutlich vergrößerten Leber relativ schnell wieder abbauen. Die Vögel hocken ausschließlich zum Verzehr von Fallobst oder zum Trinken am Boden. Ansonsten halten sie sich stets an erhöhten Orten auf.

Seidenschwänze erreichen im Alter von einem Jahr ihre Geschlechtsreife. Sie suchen sich jedes Jahr neue Partner.  Dabei besteht ihre Balz im Wesentlichen darin, das Weibchen mit Insekten und Beeren zu füttern.

Die Hauptbrutzeit reicht von Mai bis Juli. Die Paare bauen ihr napfförmiges Nest aus Zweigen, Gras, Moos und Haaren im oberen Bereich von Bäumen, meist am Waldrand und gern in der Nähe anderer brütender Seidenschwänze. Das Weibchen legt vier bis sechs blaugraue Eier, die schwarze Punkte aufweisen und bebrütet sie 13 bis 14 Tage lang. Während dieser Zeit versorgt das Männchen seine Partnerin mit Beeren und Insekten. Die Jungvögel werden 15 bis 17 Tage im Nest gefüttert, bis sie am 18. Tag flügge werden.

Um zur Brutzeit aufdringliche Nachbarn zu verscheuchen, stimmen Seidenschwänze ein recht lautes heftiges Schnabelklappern an. Genügt das nicht, so wird die Kopfhaube drohend aufgerichtet und der schwarze Kehlfleck gezeigt.

Da Seidenschwänze nicht in Deutschland brüten, können sie hier auch nicht in der Liste der gefährdeten Arten stehen.  Ihr Bestand in Europa wird auf ein bis zwei Millionen Brutpaare geschätzt. Global gilt die Art nicht als gefährdet. Der älteste beringte Vogel erreichte ein Alter von knapp 13 Jahren.

Das sporadische Auftreten von Seidenschwanzschwärmen in Mitteleuropa hielt die Bevölkerung – insbesondere des Mittelalters – für ein böses Vorzeichen. Aus dieser Zeit stammt der im Niederländischen immer noch gebräuchliche Artname „Pestvogel“. In der deutschsprachigen Schweiz werden sie häufig „Sterbevögeli“ genannt. Der englische Artname „Bohemian Waxwing“ ist jedoch entstanden aus den – bereits erwähnten –  Wachs ähnelnden roten Tropfen auf den Flügeln des Vogels und aus der Vorstellung früherer Generationen, dass das Volk der Böhmen zum Vagabundieren und zu bunter Kleidung neigte. Deshalb ist „Böhmer“ auch heute noch ein geläufiger Name des Vogels. Der Name „Seidenschwanz“ rührt von dem weichen Gefieder des Vogels her und konnte schon seit dem 16. Jahrhundert belegt werden.

Es lohnt sich sehr, auch in diesem Winter an Beerensträuchern in den Kleingärten entlang der Tarpenbek und am Flughafen nach diesen schönen und nur wenig scheuen Gästen aus dem hohen Norden Ausschau zu halten. 

Text: Michael Rudolph
Fotos: Torben Rust