Der Groß Borsteler Schauspieler, Regisseur und Intendant Friedrich Siems (II)
Friedrich Siems, 1896 in der Borsteler Chaussee geboren, wirkte ab 1946 nur zwei Jahre unter den beschriebenen schwierigen Bedingungen als Leiter der Bühnen der Hansestadt Lübeck, dann zog er weiter. Er wurde 1948 als Oberspielleiter des Kölner Theaters engagiert. Auch in Köln herrschten in den ersten Jahren nach dem Krieg alles andere als einfache Bedingungen für die Theaterleute. Die beiden Häuser des Kölner Theaters in der Glockengasse und am Habsburgerring waren zerstört. Das Kölner Theater spielte seine Stücke deshalb lange in einer Ausweichspielstätte, in der Aula der Kölner Universität. Erst 1957 konnte das Theater in einen Neubau am Offenbachplatz umziehen.
Siems erhielt in Köln für seine Inszenierungen von Klassikern wie Shakespeares Hamlet oder Ibsens Die Wildente viel Anerkennung von den Theaterkritikern. Auch für seine Bühnenadaptionen von Gedichten, beispielsweise W. H. Audens „The Age of Anxiety“, wurde er vom zeitgenössischen Feuilleton gelobt.
Aber nicht jedes von Siems inszenierte Stück kam gut an. Jean-Paul Sartres „Bei geschlossenen Türen“, ein Kammerstück mit drei Personen in der Hölle – einer Lesbierin, einer Kindesmörderin und eines wegen Feigheit erschossenen Journalisten -, fanden die Kritiker 1949 wegen seiner „obszönen und pansexualistischen Verkleidungen abstoßend, die lüsterne Menge mit missverstandenen Enthüllungen anlockend“. Wobei aber zugestanden wurde, dass das das Stück ganz hervorragend gespielt wurde. Vielleicht war das das Problem. Alle Schriften und Werke des Atheisten Sartre standen zu dieser Zeit übrigens auf dem Index der Katholischen Kirche und durften von Katholiken nicht gelesen werden.
Am 16. April 1955 brachte Friedrich Siems auch Bertolt Brechts Stück „Das Leben des Galileo Galilei“ als deutsche Erstaufführung auf die Kölner Bühne. Brecht hatte nach seiner Rückkehr aus dem Exil in den USA eine Einladung aus der DDR einer Tätigkeit in der BRD vorgezogen und in Ost-Berlin am Theater am Schiffbauerdamm das Berliner Ensemble gegründet. Dies wurde in der Zeit des Kalten Krieges in Westdeutschland nicht gut aufgenommen. In einem stillen Boykott ignorierten die westdeutschen Bühnen die vor der Nazizeit so populären Stücke von Brecht. Mit seiner Inszenierung des Galileo durchbrach Siems jedoch den Boykott.
In dieser Zeit kam Friedrich Siems mit dem jungen Autor, Lyriker und Dramatiker Mattias Braun in Kontakt. Matthias Braun war Kölner (geboren 1933) und hatte 1952/53 bei Bertolt Brecht am Theater am Schiffbauerdamm hospitiert. Später war er unter anderem mit Nachdichtungen antiker Stücke wie Die Perser, Medea oder Die Troerinnen erfolgreich. Friedrich Siems inszenierte diese und andere Stücke von Mattias Braun für das Kölner Theater und produzierte zudem Hörspielfassungen für den WDR.
1957 inszenierte Friedrich Siems Gottfried Benns Hörspiel „Stimmen hinter dem Vorrang“ für die Bühne. Der eifrige Briefeschreiber Benn schickte daraufhin einen Brief an Siems und teilte ihm seine Gedanken mit. Dieser Brief fand später Aufnahme in die Ausgabe von Gottfried Benns „Ausgewählte Briefe“ (1957).
Im Jahr zuvor war Friedrich Siems auch als Leiter der Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel (bei Bayreuth) engagiert worden. Unter seiner Leitung konnten die Festspiele wieder an die Zuschauerzahlen anknüpfen, die sie in der Vorkriegszeit hatte. Auch in Wunsiedel gehörten die Stücke von Mattias Braun regelmäßig zum Programm.
Siems Arbeit bei den Luisenburg-Festspielen fand seinen literarischen Niederschlag in dem 2011 erschienenen autobiografischen Theater-Roman „Wunsiedel“ des Heidelberger Schriftstellers Michael Buselmeier. Der Ich-Erzähler berichtet von seinen anfänglich erfolglosen Versuchen, als Schauspieler Fuß zu fassen. Nach einigen vergeblichen Bewerbungen und einem ebenso ergebnislosen Vorsprechen im November 1963 in Mannheim wird er von einem älteren Herrn angesprochen, Friedrich Siems, der den jungen Künstler für seine Schauspielkunst lobt und ihn als Schauspieler und Regieassistent für die Luisenburg-Festspiele engagiert. Doch nur einige Wochen später, im Dezember 1963, stirbt Friedrich Siems in Tübingen während der Proben zu Hamlet an einem Herzinfarkt.
Nach diesem Ausflug auf die „Bretter, die die Welt bedeuten“ zurück nach Groß Borstel. Die Schmiede an der Borsteler Chaussee war noch bis 1947 in Betrieb, bevor der letzte Schmied in schon fortgeschrittenem Alter in Rente ging. Im Jahr 1960 durchstreifte der Maler und Zeichner Wolfgang Götze die Borsteler Chaussee auf der Suche nach dem alten Hamburg, das er in seinen Zeichnungen festhielt.
Seine Zeichnung der Schmiede erschien im Mai 1960 im Hamburger Abendblatt mit folgendem Begleittext:
„Eine Schmiede verkörpert heute für ein Stück Romantik. Die Märchen und Geschichten, die in diesem Milieu spielen, haben immer noch Bestand, während die Schmieden meist unbeachtet ihrem Verfall entgegenträumen. In Groß Borstel an der Borsteler Chaussee, hinter einer großen Kastanie versteckt, entdeckte unser Zeichner Wolfgang Götze ein solches Kleinod ländlicher Beschaulichkeit.
Alles an diesem Häuschen wirkt klein und zierlich; das Portal, die Miniaturfenster, die Fachwerkbalken und der Dachfirst. Nur eine einzige Familie, die vielen Generationen der Schmiedefamilie Siems, arbeitete hier. Das Haus wurde 1823 gebaut, weil eine Schmiede für Borstel so notwendig war, wie heute ein Parkplatz in der Innenstadt. Als der letzte Schmied Siems 1947 den Hammer aus der Hand legte, war er 84 Jahre alt.
Aber die alte Schmiede lebt weiter. Sie ist so guterhalten, dass eine Klavierlehrerin aus dem Osten hier eine Unterkunft gefunden hat. Die Frau sorgt für einen angemessenen Lebensabend des kleinen, alten Häuschens.“
Vielleicht war die Klavierlehrerin die letzte Bewohnerin der Schmiede. Nachdem sie nicht mehr da war, stand die alte Schmiede leer und verfiel. In den 1970er Jahren wurde das inzwischen baufällig gewordene Gebäude schließlich abgerissen. Einige der alten Häuser, die schon damals die Schmiede umgaben, existieren aber heute noch.
André Schulz