Der Tiefbunker im Brödermannsweg
Den meisten Groß Borstelern wird der Tiefbunker im Brödermannsweg früher gar nicht aufgefallen sein, obwohl er immer da war, aber gut versteckt. Der Bunker befand sich auf dem Grundstück der Kita Brödermannsweg, war allerdings mit Erde überschüttet und von Pflanzen überwuchert. Nur wer genau hinschaute, konnte am Rand des Hügels einige Ziegel einer Mauer entdecken, die den Betonbunker verkleidete.
Mitte der 1920er Jahre hatte der Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher noch vorgeschlagen, die junge Hamburger Universität nach Groß Borstel, auf die Felder hinter der dem Eppendorfer Moor, zu verlegen und hier einen Campus nach Vorbild der anglo-amerikanischen Universitäten zu errichten. Für Groß Borstel erwartete man einen deutlichen Bevölkerungszuwachs und die Stadt Hamburg kaufte vorsorglich schon einmal Grundstücke auf. Am Brödermannsweg, damals noch Schulweg genannt, wer der Bau einer großen Wohnsiedlung geplant. Aus den Plänen wurde aber nichts. Zuerst fehlte wegen der Weltwirtschaftskrise das Geld, dann wurde Fritz Schumacher vom neuen nationalsozialistischen Senat abberufen. Die neuen Machthaber hatten andere Pläne. Sie siedelten 1937 im Zuge ihres Arbeitsbeschaffungsprogramms an der Borsteler Chaussee/Ecke Brödermannsweg einen Rüstungsbetrieb an, die Hamburger Metallverarbeitung mbH, eine Zweigniederlassung der Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM), Frankfurt. In dem Werk wurden Propeller und die dazugehörigen Getriebe und Regler für Flugzeuge hergestellt. Für die Arbeiter der Fabrik entstanden die Wohnsiedlungen am Brödermannsweg und am Geesmoor. Auf dem Gelände des Jacobi-Parks, vormals Brödermanns Kohlgarten, wurde ein Mütter- und Säuglings- und Kinderheim gebaut, heute die Kita am Brödermannsweg 40. Im Park stand zudem noch eine alte Villa, die ebenfalls als Kinderheim genutzt wurde.
Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges unternahm die britische Luftwaffe im Mai 1940 ihre ersten Luftangriffe auf Hamburg. Im selben Jahr wurden in Hamburg die ersten Luftschutzbunker gebaut. Am Ende des Krieges waren in Hamburg 1200 Bunker verschiedener Bauformen entstanden – Hochbunker, Röhrenbunker, Tiefbunker, Röhrentürme oder andersartige Bunkeranlagen. Der bekannteste Bunker in Hamburg ist der Flakbunker (Flak = Flugabwehrkanone) auf dem Heiligengeistfeld, kürzlich für ein Hotel aufgestockt und begrünt. Der größte Hamburger Bunker liegt unter dem Spielbudenplatz, seinerzeit für 5000 Personen ausgewiesen. In den Bombenächten des Zweiten Weltkrieges sollen sich dort jedoch über 20.000 Menschen in Sicherheit gebracht haben.
Im Jahr 1941 hatte man am Brödermannsweg noch den Bau eines zweigeschossigen Tag-und-Nachtkinderheims für 60 Kinder geplant. Im Zuge des Neubaus sollte auch ein Luftschutztiefbunker gebaut werden, mit Doppelfunktion. Neben der Aufgabe als Schutz für die Bevölkerung sollte das Gebäude auch noch Sanitärräume für das geplante Kinderheim enthalten. Der Bunker wurde gebaut, das Kinderheim nicht mehr.
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges kam es zu einer Reihe von Luftangriffen auf Groß Borstel, mit der Propellerfabrik als Ziel. Diese wurde nie getroffen, in der Summe aber etwa 100 Wohnungen in Groß Borstel beschädigt oder zerstört. Auch die Kita wurde getroffen, aber nur leicht beschädigt. An einem der Häuser kann man noch Ausbesserungsarbeiten erkennen.
Nach dem Ende des Krieges verfügten die britischen Besatzungstruppen zunächst, die Hamburger Bunker zu sprengen. Wegen der großen Wohnungsnot wurde jedoch das Unternehmen bald gestoppt und die Bunker als Notunterkünfte genutzt. Einige Bunker wurden schon bald umgebaut und anderen Zwecken zugeführt, dienten nun als Hotel oder wurden dauerhaft in Wohnungen umgewandelt.
Der Tiefbunker am Brödermannsweg wurde, wie manch anderer Hamburger Tiefbunker, bald vergessen und sich selbst überlassen. Unter einem Erdhügel vergammelte das Gebäude unbemerkt. Pflanzen siedelten sich auf dem Hügel an und bohrten ihr Wurzelwerk sogar durch die Bunkerdecke. In den unterirdischen Räumen sammelte sich das Regenwasser. Der Bunkerhügel diente über Jahrzehnte als Abenteuerspielplatz für die Kinder der Kita Brödermannsweg.
Anfang der 2010er Jahre kam Bewegung in die Groß Borsteler Stadtteilentwicklung. Der Güterbahnhof Lokstedt zwischen Nedderfeld und Tarpenbek wurde aufgelöst, und auf dem Gelände entstand eine große neue Siedlung, Tarpenbeker Ufer. Hier zogen viele junge Familien ein, und sie machten für Groß Borstel eine verbesserte Infrastruktur nötig. So wurde das Vereinsgelände des Groß Borsteler Sportvereins mit einem neuen Vereinsheim und einem Kunstrasenplatz modernisiert und die Carl-Goetze-Schule mit einem neuen Schulgebäude erweitert.
Gleich daneben, zwischen Schule und Kita, soll zudem eine neue moderne Zweifeld-Sporthalle entstehen, zur Nutzung für den Schulsport, aber auch für Sportwettkämpfe. Die Kita soll in der Sporthalle auch einige Gruppenräume erhalten. Der Bau der Sporthalle hätte schon begonnen, würde da nicht noch das Relikt aus den 1940er Jahren halb aus der Erde ragen, der alte Tiefbunker.
Zur Vorbereitung des Rückbaus ließ das Schulbauamt den Bunker zunächst freilegen und dann fachmännisch begutachten. Auch die Historiker des Vereins „Hamburger Unterwelten“ interessierten sich für das Objekt. Nachdem ein großer Teil des Wassers im Bunker abgepumpt war, konnten die Fachleute durch einen Lüftungsschacht ins Innere gelangen und sich dort umsehen. Mit Stirnlampe wateten sie durch das knietiefe Wasser. Die Freunde der Hamburger Unterwelten dokumentierten, was hier einst gebaut wurde, und die Hamburger Schulbehörde überlegte, wie man diesen massiven Betonbau – 30 Meter lang, 15 Meter breit und 3 Meter tief – für die Anwohner und die Umgebung am verträglichsten entfernen konnte. Patrick Thielen hat die Begehung in seinem Podcast „Der Bote im Ohr“ im April 2024 hörbar gemacht: https://der-bote-im-ohr.podigee.io/40-38-der-bunker-am-broedermannsweg.
Eigentlich sollte der Abriss des Bunkers schon im Herbst 2024 erledigt werden. Das Vorhaben hat sich jedoch verzögert. Anfang 2025 war das Relikt aus der Zeit des letzten Krieges noch von außen zu „bewundern“.
André Schulz