Baugebiet Groß Borstel 31 – Wohnen ohne vernünftige Verkehrsplanung
Sechs Stockwerke hoch sollen die höchsten Gebäude werden, Wohngebäude auf dem südlichen Teil des Strüvergeländes am Niendorfer Weg und an der Stavenhagenstraße. Natürlich mit klangvollem Namen: Wohnen im Petersen Park.
Im nördlichen Teil des Geländes entstehen nach dem Willen der Investoren Gewerbebauten, und zwar mit einem Gebäuderiegel, der für Büros vorgesehen ist, und der die Wohnungen vor dem Lärm der Papenreye (und vor Fluglärm?) schützen soll. Das wäre dann zugleich zusätzlicher Lärmschutz für Groß Borstel.
Die Anzahl der Wohnungen wird mit 400 angegeben, es ist also mit weiteren 1.000 Einwohnern in Groß Borstel zu rechnen. Addieren wir das zu den 2.000 neuen Anwohnern des Tarpenbeker Ufers (ehemaliger Güterbahnhof Lokstedt), den 400 geflüchteten Menschen im Pehmöllers Garten und den einzelnen weiteren Nachverdichtungen durch kleinere Neubauten, zum Beispiel am Warnckesweg / Ecke Brückwiesenstraße, dann wird die Einwohnerzahl Groß Borstels in den kommenden zwei, drei Jahren um 40 bis 45 Prozent wachsen – von zurzeit 8.500 auf über 12.000 Einwohner. Das wird gut für den Einzelhandel und die Gewerbetreibenden, aber wird das auch gut für die neuen Bewohner und für Groß Borstel?
In der öffentlichen Plandiskussion am 7. Juni, bei der die notwendigen Bebauungsplanänderungen von Mitarbeitern des Bezirksamtes vorgestellt wurden, machten sich einige der in der Nähe wohnenden Anwohner Sorgen, die wir hier vorstellen wollen.
Die wesentlichen Fragen betrafen den Verkehr, der unweigerlich durch 1.000 neue Anwohner entstehen wird. Über welche Straße sollen sie Groß Borstel erreichen? Gibt es eine Zufahrt von der Papenreye? Wenn sie von der Niendorfer Straße nach Groß Borstel fahren, wie kommen sie dann zurück – dort gibt es zum Schutz der Wohngebiete seit langem eine Einbahnstraßenregelung? Soll die Einbahnstraßenregelung der Stavenhagenstraße zwischen Niendorfer Straße und Warnckesweg entfallen?
Eine Anregung aus der Zuhörerschaft lautete: Autofreies Wohnen. Dafür gibt es ja bereits schöne Konzepte, realisiert in verschiedenen Städten, bei denen sich die Bewohner verpflichten, aufs Auto zu verzichten. Dafür erhalten sie Stellplätze für ihre Fahrräder, Stationen für ausleihbare Lastenfahrräder und ein Wohnviertel, in dem die Kinder auf der Straße spielen können, weil es komplett autofrei ist.
Jedoch das geplante Gebiet ist für solche Träume viel zu klein. Rechtlich ist es zudem nahezu unmöglich, jemanden zum kompletten Autoverzicht zu verpflichten. Was ist, wenn der neue Mieter oder Eigentümer es sich nach Jahren anders überlegt? Was, wenn er irgendwann aus gesundheitlichen Gründen auf ein Auto angewiesen sein wird? Wie ist es mit Firmenfahrzeugen? Einer der Teilnehmer der Plandiskussion meinte, es war reine Zeitschinderei und klang extrem nach Ausrede, über das autofreie Wohnen zu diskutieren.
Was aber, wenn die neuen Anwohner – davon gehen wir aus – genauso eine hohe Autoquote haben werden, wie der Rest Groß Borstels? Ist dann die Borsteler Chaussee komplett dicht? Weicht der Verkehr dann doch durch die Wohngebiete aus? Das sind berechtigte Ängste, die durch die beiden Bezirksamtsmitarbeiter, die Stadtplaner Jorga und Boltres, nicht entkräftet werden konnten. Im Gegenteil: Sie meinten, für die Verkehrsführung sei letztlich die Straßenverkehrsbehörde zuständig, nicht aber das Bezirksamt. Und wie die Straßenverkehrsbehörde angesichts der neuen Situation dann entscheiden wird, das wisse man nicht.
Man kann es sich aber denken. Wir kennen ja Wirtschafts- und Verkehrssenator Frank Horch. Hauptsache die Wirtschaft brummt. Kollateralschäden durch verlärmte Straßen müssen seiner Meinung nach hingenommen werden. Bei dem Wort Verkehrsbeschränkungen (siehe: Dieselbetrug der Autokonzerne) entstehen durchaus allergische Reaktionen beim Senator.
Die Entlastung der Borsteler Chaussee durch den Ausbau des Nedderfelds steht seit Jahren auf der Agenda, getan wird nichts. Im Gegenteil: Die Polizei unternimmt nichts gegen falsch parkende Autolieferanten, die mit ihren LKWs beim Abladen im absoluten Halteverbot das Nedderfeld so blockieren, dass die Anzahl der Durchfahrten im dreispurigen Nedderfeld auf 22.000 gesunken ist, während die zweispurige Borsteler Chaussee schon 27.000 tägliche (!) Durchfahrten von PKWs und LKWs zu verkraften hat.
Insofern hat die nächste Frage ebenfalls eine Berechtigung: Wie soll denn die Verbesserung des ÖPNV-Angebots aussehen? Bekanntlich hat Groß Borstel keinen U-Bahn-Anschluss. Erschlossen ist der Stadtteil nur über den 114er Bus, den 23er und zurzeit noch einer Schnellbus-Linie, die aber eingestellt werden soll. Nach dem Willen der Bezirkspolitik sollte die Taktung des 114er erhöht werden, der abends und am Wochenende nur alle 20 Minuten fährt. Wird das reichen? Wir glauben nicht. Zumal der 114er auch nicht weiterkommt, weil er jetzt schon dauernd im Stau auf der Borsteler Chaussee stecken bleibt.
Nächste Frage, gute Frage: Wie ist die Infrastruktur auf den neuen Anwohneransturm vorbereitet – also Kindergärten, Schulen etc.?
Antwort: Im Baugebiet soll eine neue Kita entstehen. Und die Schulen? Die Carl-Götze-Schule platzt jetzt schon aus allen Nähten und plant wegen des Neubaugebiets Tarpenbeker Ufer bereits eine Aufstockung. Die Aufstockung müsste also weiter aufgestockt werden. Geht das überhaupt? Beunruhigend ist zudem, dass die Schulbehörde erfahrungsgemäß mindestens drei bis vier Jahre für die Planung und Realisierung von Erweiterungsbauten benötigt.
Gewerbetreibende waren auf der Veranstaltung ebenfalls vertreten. Sie würden gerne in Groß Borstel auf dem Strüvergelände bleiben, haben aber Sorge, dass die Mieten durch den Neubau deutlich steigen werden. Sie wurden an den bei der Veranstaltung anwesenden Architekten, Herrn Heitmann, verwiesen. Wir werden nachfragen, was die Gespräche ergeben haben.
Fasst man die Veranstaltung zusammen, bleibt der Hauptkritikpunkt, dass wir uns zwar auf 1.000 neue Groß Borsteler Bürgerinnen und Bürger freuen können, dass aber die Verkehrs- und die Infrastrukturprobleme diese Freude mit Sicherheit überschatten werden. Wieder einmal plant die Behörde im Investorenauftrag Wohnungen für 1.000 neue Anwohner, ohne ein schlüssiges Verkehrskonzept vorlegen zu können. Schade, hier hätten wir Antworten erwartet. Auf keinen Fall werden wir es uns gefallen lassen, dass die Verkehrsprobleme in den bestehenden Wohngebieten noch zunehmen. Sie müssen von Durchgangsverkehr freigehalten werden.
Uwe Schröder