AL BAFFO MUSS SCHLIESSEN

Groß Borstels Italiener macht Pause

Der 23-jährige Prospero Spagnolo kam 1982 aus der fernen Basilikata, jenem bildschönen, damals aber bitterarmen Landstrich im äußersten Süden Italiens. Er kam ins deutlich kühlere Hamburg, um hier als Koch zu arbeiten. Prospero Spagnolo kannte in Hamburg niemanden, blätterte also im Branchenbuch – ältere Groß Borsteler wissen noch, was das ist –, auf der Suche nach Restaurants mit italienisch klingendem Namen. „Le Tre Streghe (deutsch: Die drei Hexen), das ist italienisch!“, freute sich Propero und wählte die Nummer. Das Lokal liegt in der Stavenhagenstraße in Groß Borstel. Wo immer das auch sein mag, dachte er sich, es scheint noch in Hamburg zu sein.

„Annamaria buonasera“, meldet sich Annamaria, eine der drei Besitzerinnen.
Prospero, der damals nur rudimentär Deutsch sprach, legte fröhlich auf Italienisch los, fragte: „Buonasera Annamaria, brauchst Du zufällig einen Koch?“
„Nein“, antwortete die junge Wirtin. „Aber ruf doch mal bei Emilio an. Ich glaube, der sucht noch einen Koch.“
„Wer ist Emilio?“
„Emilio Paron Cilli. Er hat das Ristorante Rigoletto in Pinneberg.“
„Pinneberg!?“

Prospero rief an und hatte den Job beim Pinneberger Edel-Italiener. Dort arbeitete er drei, vier Jahre. Später auch in Wellingsbüttel und Wedel. Allerdings, er wollte nicht länger als angestellter Koch arbeiten, lieber etwas Eigenes aufmachen. Zusammen mit Donato Rovito, seinem Freund und damaligen Kompagnon, machte er sich auf die Suche.

Emilio, sein Ex-Chef, gab ihm den entscheidenden Tipp. „Ruf doch mal bei Eberhard an. Der hat das Lokal von Annamaria gekauft. Es steht leer. Es hat wohl nicht geklappt mit den drei Hexen.“

Prospero schwang sich in sein Auto, ein 2CV. Er war skeptisch. Ein Lokal, das sich nicht durchsetzen konnte, was soll das schon sein? Zudem: Sein Partner Donato war gerade im Urlaub. Prospero kam 1987 im kalten Februar in die Stavenhagenstraße, das erste Mal in seinem Leben in Groß Borstel. Am Anfang des Borsteler Bogens gab es einen kleinen Spar-Laden. Gegenüber die beliebte Fleischerei Uhrlau. Der pleitegegangene Laden des glücklosen Nachfolgers der drei Hexen war nicht weit vom ehemaligen Zentrum Groß Borstels entfernt. Die ehemalige Polizeiwache war auch in der Nähe, beherbergte damals eine Gastwirtschaft namens „Zur Wache“ (dort, wo jetzt die Hausmeister- und Reinigungsfirma Gregorio S. Reixelo ihren Sitz hat). Über den nahe gelegenen Niendorfer Weg quälte sich ein beachtlicher Durchgangsverkehr, alles potenzielle Gäste. Die Papenreye wurde erst in den Neunzigern mit dem Spreenende verbunden.

Es stellte sich heraus, Annamaria hatte das Lokal verkaufen müssen an Eberhard Brett. Der wollte es für seinen Schwiegersohn, der Koch gelernt hatte, zu einem feinen Lokal für die Groß Borsteler machen. Der Koch hatte jedoch kein glückliches Händchen. Die Groß Borsteler mieden das Lokal.

Aber Prospero verguckte sich sofort in das kleine Restaurant mit seinen maximal 30 Plätzen. „Ich habe mich in die Lampen verliebt!“

Die Lampen hat ein berühmter Mailänder Designer für Annamaria 1981 gestaltet: Günter Leuchtmann (1943 – 2005). Im Al Baffo (damals Le Tre Streghe) hingen die Prototypen seiner später berühmt gewordenen Leuchten, einer Konstruktion aus Messing und einer großen Glaskugel aus Muranoglas – bis zum 30.6.2021. Nachbauten kann man heute noch bei Lampen-Prediger kaufen. Sie haben nicht ganz die Anmutung von den Original-Prototypen im Al Baffo, aber fast.

Auch das massive Besteck ist ein Entwurf des Mailänders.
Wie das Pferd zum Cowboy gehört die Vespa zum Italiener.

Damit nicht genug. Auch die Bestecke sind von Günter Leuchtmann für Annamaria vermittelt worden; sie wurden von einer schwedischen Gesenkschmiede quasi in Handarbeit produziert und von einer Firma aus dem Raum Uetersen vertrieben.

Wer das erste Mal ins Al Baffo kam – oder damals ins Le Tre Streghe –, blickte fasziniert auf diese feinen Details. Prospero ging es 1987 nicht anders. Er sagte direkt zu und übernahm den Laden. Egal, ob sein Partner Donato nach seinem Urlaub mitmachte oder nicht.
Donato blieb noch ein Jahr, zog dann weiter. Prospero hielt es nun fast dreißig Jahre in Groß Borstel. Seine beiden Töchter, Ursula und Chiara, wurden geboren, das Restaurant ernährte die Familie. Manchmal schwärmte Prospero davon, er wolle wieder zurück nach Süditalien. Geblieben ist er dennoch. In der Freizeit schraubte er an seinen alten Moto Guzzis oder er restaurierte seine 60er-Jahre-Vespa. Seinen italienischen Akzent hat er in all den Jahren nicht verloren.

„Missgünstige Zeitgenossen“, so schrieb der Groß Borsteler Automobilhistoriker und Oldtimerjournalist Wolfgang Blaube vor etlichen Jahren in der Welt, „könnten das Angebot bei Al Baffo als konservativ bezeichnen, was durchaus nicht unzutreffend wäre. Doch gilt es, das Positive darin zu erkennen. Modische Gerichte kommen gemäß der Philosophie des Hauses nicht auf den Teller, ebenso gibt es weder Cola noch Limo. Weil diese Getränke, so Prospero, nicht zu seinen Kompositionen passen. Basta. Der Mann hat halt seine eigenen Gesetze, und er lässt sie seine Gäste spüren.“

Die Speisekarte wird auf einer Kreidetafel notiert. Bestehend oft aus saisonalen Gerichten. Sensationell die kleinen (!) Pfahlmuscheln, unübertroffen die Kalbsleber mit Salbei und als Beilagen Kartoffeln und Wurzeln. Die Weine stammen aus seiner italienischen Heimatregion, die Winzer kommen zumeist aus Prosperos Heimatstädtchen Senise, und sie sind allesamt bekannt mit Prospero.

Ab 1. Juli ist sein Restaurant geschlossen. Es weicht dem Neubaugebiet Petersen Park. Man hätte eigentlich drumherum bauen müssen, dieses kleine Stück Italien in Groß Borstel unter Denkmalschutz stellen und retten müssen.
Tatsächlich ist das Lokal uralt. Einige wenige Groß Borsteler werden sich erinnern, dass es bis in die sechziger Jahre „Storchennest“ hieß. Die Stavenhagenstraße, damals noch nicht asphaltiert, eine Pflasterstraße.

Salute Prospero, stai attento.

„Ich habe noch Fotos gesehen, auf denen vor dem Lokal eine Kutsche stand“, erzählt Prospero. „Die ehemaligen Besitzer hießen Gerda und Helmut Kuhn. Sie betrieben ein urdeutsches Restaurant und gingen dann irgendwann in Rente. Den ursprünglichen Tresen gibt es immer noch, er wurde von den Tre Streghe nur mit dicken Aluplatten verkleidet.“
„Was machst du, wenn du im Juli ausziehen musst?“
„Erst mal muss ich alles ausräumen. Die Lampen habe ich alle verkauft. Bis auf eine, die behalte ich. Dann mache ich eine Pause, vielleicht fahre ich im Herbst in den Süden.“
„Willst du wieder ein neues Restaurant eröffnen?“
„Ja, auf jeden Fall hier in Groß Borstel. Ich wohne hier, meine Freundin Petra lebt hier, und ich würde gerne hierbleiben. Groß Borstel ist wie ein kleines Dorf. Jeder kennt jeden. Ich liebe das.“
„Was für eine Art von Restaurant schwebt dir denn vor?“
„Am liebsten ein so kleines wie dieses hier. Überschaubar. Es ist ja bekannt: Es ist sehr schwer, gutes Personal für die Gastronomie zu bekommen. Allein schaffe ich es aber auch nicht. Glücklicherweise habe ich Hilfe durch meine Tochter Ursula. Ich würde gerne ein kleines Bistro-ähnliches Restaurant betreiben. Etwas weniger aufwändig. Vielleicht mit langen Tischen, an denen man sich zusammensetzen kann. Ein Treffpunkt für einen Caffé zwischendurch, für ein Glas Wein, einen kleinen oder auch großen Imbiss. Oder eben ein schönes italienisches Essen am Abend.“

Ein geeignetes Lokal hat Prospero noch nicht gefunden. Vielleicht meldet sich ein Vermieter, wenn bei ihm etwas frei wird, unter redaktion@borsteler-bote.de. Wir leiten Ihr Angebot an Prospero Spagnolo weiter.
Uwe Schröder