Das Jakob-Junker-Haus
Eine der festen Größen im Bild von Groß Borstel ist die Heilsarmee mit ihrem Jakob-Junker-Haus an der Borsteler Chaussee 23. Das Haus, so wie wir es jetzt kennen, wurde in den 1970er-Jahren gebaut, aber die Heilsarmee ist in Groß Borstel schon viel länger präsent. Im nächsten Jahr feiert sie hier ihren 100. Geburtstag.
Die Heilsarmee (Salvation Army) ist eine evangelische Freikirche mit starker sozialer Ausprägung, die nach dem Vorbild einer Armee straff organisiert ist. Sie wurde 1865 von dem Methodisten-Pfarrer William Booth als Christliche Erweckungsgesellschaft (Christian Revival Association) gegründet, um tatkräftig gegen das soziale Elend vorzugehen, das Booth in den Slums des Londoner East End miterlebte. Das Motto lautete: „Soup, Soap, Salvation“. 1878 wurde daraus der Name „Salvation Army“ abgeleitet, auf Deutsch: Heilsarmee. Tatkräftige Unterstützung erhielt William Booth von seiner Frau Catherine. Frauen waren in der Heilsarmee den Männern von Anfang an gleichgestellt.
Nach ihrer Gründung in England fasste die Heilsarmee bald auch in anderen Ländern Fuß. 1886 gründete sie in Stuttgart ihren ersten deutschen Stützpunkt. Der Schotte George Scott Railton brachte die Heilsarmee 1890 nach Hamburg, nachdem sie aus Berlin und Preußen ausgewiesen worden war. Railton bezog eine Wohnung in der Nähe des Hauptbahnhofes und hielt dort Versammlungen ab. In einem Schuppen am Valentinskamp bot er Platz für fünf Arbeitslose. Im folgenden Jahr besuchte auch der Gründer William Booth auf einer Deutschlandtournee Hamburg und sprach vor 100 geladenen Gästen im Hotel Streit`s am Jungfernstieg. 1899 gründete die Heilsarmee in Hamburg ihre erste große Einrichtung, ein „Frauenrettungsheim“ in Eppendorf. Zwischen 1904 und 1913 wurden vier Männerheime für insgesamt 550 wohnungslose Männer geschaffen, darunter auch ein Wohnheim an der Borsteler Chaussee. In den 1920er-Jahren kamen noch zwei weitere Frauenheime und ein Hospiz in der Talstraße hinzu. Und 1930 kaufte die Heilsarmee in Harvestehude das ehemalige Gebäude einer Schule für höhere Töchter und richtete dort ein Altersheim ein. Für die umfangreichen Aktivitäten in Hamburg war vor allem Otto Bobzin (1869-1937) verantwortlich. Er war als Sohn einer Schweriner Kaufmannsfamilie nach Hamburg gekommen, hatte hier zunächst in seinem Beruf gearbeitet und war 1905 in die Heilsarmee eingetreten. Dank seiner guten Kontakte fand er bei der Einrichtung der neuen Häuser viel Unterstützung bei den Hamburger Behörden.
Das Grundstück an der Borsteler Chaussee hatte die Heilsarmee 1904 aus den Mitteln gekauft, die Jakob Junker ihr hinterlassen hatte. Junker, 1849 in Rheinböllen geboren, hatte am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen und war aus den Kämpfen als tiefreligiöser und sozialer Mensch zurückgekehrt. Als erfolgreicher Unternehmer bot er Obdachlosen Arbeit und richtete Gebetskreise ein. Schließlich gab er seinen Beruf auf, trat in die Heilsarmee ein und absolvierte eine Ausbildung als Kapitän der Heilsarmee. Als er 1901 starb, hinterließ er sein Vermögen der Salvation Army.
1910 kaufte die Heilsarmee an der Borsteler Chaussee auch das Nachbargrundstück hinzu. Auf den beiden Grundstücken befanden sich zwei Villen aus der Gründerzeit und einige kleinere Nebengebäude. Otto Bobzin richtete in den Gebäuden ein Männerwohnheim ein, in dem Wohnungslose eine Bleibe finden konnten.
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, wurden die Sozialeinrichtungen der Heilsarmee zwangsweise eingezogen und für andere Zwecke genutzt. Nach 1945 erhielt die Heilsarmee ihre Gebäude zurück. Die beiden Häuser in Groß Borstel wurden wieder als Männerheime genutzt, erwiesen sich dafür aber im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer weniger als geeignet. Die Heilsarmee entschloss sich schließlich zum Abriss der alten Häuser und zu einem zweckmäßigeren Neubau. Nach zweijähriger Bauzeit wurde am 17. Mai 1977 ein neues, fünf Stockwerke hohes Haus eingeweiht und nach Jakob Junker benannt. Etwa 100 Personen konnten im neuen Wohnheim nun untergebracht werden. 1979 pachtet die Heilsarmee zeitweise auch das Nachbargrundstück der aufgegebenen Gärtnerei Erdmenger hinzu und richtete dort einen Gebrauchtmarkt für Heimwerker ein. Auf den Blumenbeeten der Gärtnerei entstand eine Minigolfanlage ein. Von 1985 bis 1991 betrieb die Heilsarmee mit den Männern in ihrem Wohnheim ein Möbellager und ABM-Werkstätten mit einer Tischlerei und einer Polsterei. Ende der 1980er-Jahre hatte die Heilsarmee zeitweise auch das Wohnhaus der Gärtnerei Goiny an der Borsteler Chaussee 65 angemietet und hier einige Zeit ein „Stöberlädchen“ unterhalten, in dem man gebrauchte Elektrogeräte und handwerkliche Arbeiten der Wohnheimbewohner kaufen konnte. Schon Otto Bobzin hatte die Idee verfolgt, den Wohnungslosen durch das Angebot von Arbeit ein Stück Menschenwürde zurückzugeben. Mit der Änderung der Gesetzgebung im Zuge der „Hartz-Reform“ war der Heilsarmee diese Form der „Arbeitsvermittlung“ aber nicht mehr erlaubt.
Leiterin des Männerwohnheims ist inzwischen Maren Siewert. Sie ist Mitglied der Heilsarmee, gleichzeitig aber auch eine von 18 Angestellten im Männerwohnheim, darunter neun Sozialpädagogen. Eine der Aufgaben besteht darin, für die Bewohner Wohnungen zu finden, denn das Wohnheim ist nur als Übergangsbleibe gedacht. Doch die Chancen haben sich in den letzten Jahren immer mehr verschlechtert. „Zuletzt ist es immer schwieriger geworden, für die Bewohner eine Wohnung zu finden. Der Wohnungsmarkt ist unglaublich angespannt“, berichtet Maren Siewert.
Seit 2013, nun also schon im zehnten Jahr, bietet die Heilsarmee mit Unterstützung von Ehrenamtlichen auch den „Borsteler Tisch“ an. Jeden Mittwoch erhalten Bedürftige hier für den symbolischen Preis von 1 Euro Lebensmittel, die von der Hamburger Tafel und Lebensmittelhändlern zur Verfügung gestellt werden. Jede Woche versorgen sich etwa 160 Haushalte mit 400 Menschen aus diesem Angebot. Die Heilsarmee unterhält zudem eine Kleiderkammer, aus der sich Bedürftige mit gebrauchter und gut erhaltener Kleidung bedienen können.
André Schulz