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Der “Borsteler Jäger”

Der „Borsteler Jäger“
aus den „Hamburger Nachrichten, 115. Jahrg., Nr. 510, Abend-Ausgabe vom 23.7.1906

„Durch das in den letzten Tagen vielbesprochene Vermächtnis Alfred Beit an seine Vaterstadt gelangt ein Grundstück wiederum in den Besitz des Hamburger Staates, welches gerade vor 70 Jahren von der hamburgischen Kämmerei veräußert worden ist! Es ist das ehemalige kleine Gehölz in Groß Borstel mit der Dienstwohnung und dem Dienstlande des von der Verwaltung des St. Johannis-Klosters angestellt gewesenen Forstaufsehers und Jägers, das jetzt als Wirtshaus und Forststück sehr bekannte, in der Gemeinde Groß Borstel belegene Grundstück „zum Borsteler Jäger“.

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So sieht das
Waldstück
„Borsteler Jäger
heute aus.

Die Stadt Hamburg war erst wenige Jahre vor 1836 in den Besitz dieses Grundstücks gelangt. Durch die im Jahre 1830 vollzogene Vereinbarung des Staates mit der Verwaltung des St. Johannis-Klosters war der Staat in alle obrigkeitlichen und gutsherrlichen Rechte des Klosters getreten und hatte damit auch den klösterlichen Angestellten übernommen und dessen Dienstwohnung und Dienstland in Groß Borstel mit dem daranstoßenden Gehölz erworben.
In älterer Zeit hatte der klösterliche Forstaufseher und Jäger seinen Wohnsitz im Kloster Bilsen, wo ein ansehnlicher, dem Kloster zur Verfügung stehender Holzbestand war, während die Hölzungen in den anderen Klosterdörfern sehr unbedeutend waren. Auch das Jagdregal des Klosters übte dieser Klosterbeamte aus; ihm lag die Pflicht des Jagens innerhalb der Feldmarken des Klosters ob, er hatte das geschossene Wild an die Klosterbehörde abzuliefern und empfing für jedes abgelieferte Stück ein Schießgeld. Als im Jahre 1803 das waldreiche Dorf Bilsen an Holstein abgetreten wurde, gegen tauschweisen Erwerb von Alsterdorf durch das St. Johannis-Kloster, wurde dem Bilsener Forstaufseher und Jäger Groß Borstel als Wohnsitz angewiesen. Erst kurz vorher war ein neuer Beamter angestellt worden, Peter Wehling, Sohn des verstorbenen, im Jahr 1753 angestellten älteren Peter Wehling, der vermutlich bei seinen Lebzeiten bereits von seinem Sohn vertreten worden war. Für den Jäger, der von nun an mit Aufsicht über Hölzungen wenig zu tun hatte, wurde neben der klösterlichen kleinen Eckerkoppel auf dem Borsteler Felde eine Dienstwohnung erbaut, ihm auch aus dem unurbar liegenden Felde Dienstland angewiesen. Nach des jüngeren Peter Wehling Tod ward sein Sohn Cornelius klösterlicher Jäger, und dieser war es, der 1830 aus dem Dienst des Klosters in den Dienst des Staates übertreten sollte.

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Cornelius Wehling, der jüngere,
ließ sich gern in der Jagdkleidung
seiner Vorfahren
fotografieren.

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Cornelius Wehling, der ältere, besserte durch die Betreibung einer Gastwirtschaft sein Einkommen etwas auf.
Groß Borstel war von der Stadt Hamburg gut mit der Kutsche oder auch zu Fuß zu erreichen.
Das brachte nicht nur Gäste aus der Umgebung zu ihm.

Aber der Staat hatte keine Verwendung für ihn, denn für die Forsten des Staates waren geeignete Beamte längst vorhanden, und auch der vom Heiligen-Geist-Hospital staatsseitig übernommene Forstaufseher und Jäger in Langenhorn hatte wenig zu tun; es kam hinzu, daß gerade in jener Zeit die Ausnutzung des staatlichen Jagdregals verpachtet ward, also jede Tätigkeit eines staatlich angestellten Jägers erlosch. Wehlings Gehalt war sehr gering: er bezog 200 Mark alter Währung, erhielt in jedem 2. Jahr einen Anzug und empfing das Schießgeld für das von ihm erlegte Wild; außerdem war er auf die Erträge aus seinem Dienstland angewiesen, aber er hatte durch die Betreibung einer Gastwirtschaft eine Nebeneinnahme, die infolge der hübschen Lage seiner Wohnung schon damals allmählich sich gesteigert haben wird. Im Jahre 1836 entschlossen sich die Behörden, den Jägerhof in Groß Borstel, welchen bis dahin Wehling bewohnt und bewirtschaftet hatte, zu verkaufen.

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So fuhren die Hamburger zu Pfingsten
nach Groß Borstel. Über die Borsteler
Chaussee und den Weg beim Jäger
(der Abschnitt von der Borsteler
Chaussee bis zum Licentiatenberg
wurde 1933 in Spreenende umbenannt)
gelangten sie zur Gaststätte „Borsteler
Jäger“.
Besonders an Renntagen auf der benach-
barten Borsteler Rennbahn hatte die
Familie Wehling alle Hände voll zu tun
in der Gaststätte.

Es wurde bestimmt, daß das Grundstück als Halbhufe (kleinerer Bauerhof) der Dorfschaft angegliedert werden solle, jedoch ohne die Berechtigung des künftigen Besitzers zur Mitnutzung des Moores der Hufner und Halbhufner… Käufer wurde für einige Tausend Mark, außer einer jaehrlich zu erfolgenden Grundmiete von 120 Mark jetziger Währung, der bisherige Besitzer, Cornelius Wehling. Das hübsch gelegene Grundstück ward bald ein beliebter Ausflugsort für Hamburger, und der Wirtschaftsbetrieb kam, wenigstens für die Sommermonate, zu ansehnlichem Umfange. Cornelius Wehling starb in den achtziger Jahren (des 19. Jahrhunderts) im 92. Lebensjahr, nachdem er schon vorher sein Grundstück und die Gastwirtschaft seinem Sohne Cornelius, dem jüngeren, überlassen hatte. Letzterer, welcher hochbetagt heute noch in Groß Borstel ansässig ist, verkaufte vor mehreren Jahren (am 30.9.1902) seinen Besitz für 265.000 Mark an Alfred Beit. Das Grundstück, insbesondere das Gehölz, blieb seitdem unverändert; der Wirtschaftsbetrieb wurde verpachtet… ”.
Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 622-1/108, B 189, J.Fr, Voigt

P.S. Soweit der Bericht aus dem Jahre 1906, in dem Alfred Beit in seinem Testament den “Borsteler Jäger” der Stadt Hamburg vermacht hatte. Der von Beit angestellte Wilhelm Hartkopp blieb bis Anfang der 1920er Jahre weiterhin Pächter der Gaststaette. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der große Tanzsaal in ein “Filmtheater” umgewandelt, das bis 1964 bestanden hat. Aus dem Kino wurde dann das “Tanzcafé KiKi”, später eine Discothek. Im Außenbereich entstand eine “Minigolfanlage mit 18 Bahnen”, die sich fast 25 Jahre – bis 1989 – erhalten hat.

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Die Reliefs an der
linken Hauswand
erinnerten noch bis
vor kurzem an die Jägerfamilie
Wehling.

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Das Foto zeigt das „Tanzcafé KiKi“, das sich später
in eine Diskothek verwandelte.

Durch die ständige Erweiterung der Lufthansa Technik und das immer stärker werdende Verkehrsaufkommen ging der Ausflugscharakter völlig verloren, und Anfang 1993 gab der letzte Pächter die Gaststaette auf.
Ende 1995 wurde der “Borsteler Jäger” in eine Gemeinschaftsunterkunft für Zuwanderer u.a. aus der Türkei und Afghanistan umgebaut und im Mai 1996 bezogen. Nach etwa 10 Jahren bestand hierfür kein Bedarf mehr.
Und wieder stellte sich die Frage: Was wird aus dem “Borsteler Jäger”? Erst Ende 2010 sollte sie beantwortet werden. Der Verein “Kinderkreisel e.V.” plante, das alte Gebäude in eine moderne Kindertagesstätte umzubauen, und zwar in Kooperation mit der benachbarten Lufthansa Technik, die für die Kinder ihrer Mitarbeiter Betreuungsmöglichkeiten anbieten wollte. Von den vorgesehenen
90 Plätzen – darunter 45 Krippenplätze – sollte aber auch anderen interessierten Eltern ein Kontingent zur Verfügung stehen.

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Die Kindertagesstätte
„Kinderkreisel e.V.“

Mit viel Fingerspitzengefühl
wurde das sehr heruntergekommene
Gebäude  des „Borsteler Jägers“
restauriert und der alte Baum-
bestand weitmöglichst geschont.

Wo sich einst die Ausflügler aus Hamburg im “Borsteler Jäger” bei Kaffee und Kuchen labten, tummeln sich jetzt seit 2012 die Kinder
des Vereins “Kinderkreisel e.V.”                                                                                                                    Traute Matthes-Walk