Die Ablehnung ist leichter und rechtssicherer zu begründen

Kommentar Zu Bebauungsplänen von Jörg W. Lewin

Aus meiner fachlichen Sicht entfalten die meisten „prähistorischen“ Bebauungspläne aus den 1960er Jahren, wie auch der Bebauungsplan Groß Borstel 1, keine Rechtswirksamkeit mehr.

Daher werden inzwischen dort die meisten Bauanträge auf der Rechtsgrundlage des § 34 Baugesetzbuch entschieden. Dieses scheint auch in der Woltersstraße 20 so zu sein. Der § 34 BauGB fordert die Einfügung eines Bauvorhabens „… in die Art und das Maß der baulichen Umgebung“. Die Höhe eines Bauwerkes ist ein Teil des „Maßes der baulichen Nutzung“. Ob das Vorhaben sich einfügt, ist eine Entscheidung der genehmigenden Behörde, hier des Bauamtes im Bezirk Hamburg-Nord.

Bei § 34 BauGB-Genehmigungen haben die Mitglieder des Bauausschusses überhaupt keine Entscheidungsbefugnis und werden in der Regel nicht informiert. Die Verwaltungsentscheidung unterliegt jedoch einem Ermessensspielraum, und der liegt u.a. darin, in welcher Größenordnung die vorhandenen Häuser und deren Höhen rechts, links und gegenüber dem Bauvorhaben als „in die einzufügende Umgebung“ herangezogen werden. In dem Fall Woltersstraße 20 muss nach meiner Rechtsauffassung auch die Gebäudereihe bis zum höheren Eckhaus an der Borsteler Chaussee mitberücksichtigt werden. Dann würde sich auch ein um 45 cm höherer Neubau in der Woltersstraße 20 in die Umgebung einfügen. Per Beschluss können Bauausschussmitglieder das Bauamt jedoch nicht anweisen, dieser Auffassung zu folgen.

In den Bauämtern ist man – verursacht durch nachbarschaftliche Klagen – inzwischen seltener bereit, den Ermessensspielraum zu nutzen. Also werden Bauanträge abgelehnt, die vor 10 oder 15 Jahren noch problemlos genehmigt wurden. Denn: „Die Ablehnung ist leichter und rechtssicherer zu begründen.“

Das dürfte im Fall Woltersstraße 20 ein Grund für die Ablehnung der 45 cm Gebäudeerhöhung gewesen sein, selbst wenn es im Ergebnis genau das Gegenteil dessen ist, was „in den politischen Reden“ zur sozialverträglichen Nachverdichtung immer gefordert wird.

Ein Glück nur, dass es Bauherrn wie Herrn Böckmann gibt, die trotzdem bauen.
Jörg W. Lewin

Jörg Lewin bei der Einweihung der Gert-Marcus-Straße am Tarpenbeker Ufer. Für die Ehrengäste aus Skandinavien, Nachfahren des Namengebers, hielt er eine Rede in makellosem Schwedisch.


Jörg W. Lewin war bis 2019 Bezirksabgeordneter der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord.
Er ist Stadt- und Landschaftsplaner und Inhaber von Planungsbüros in Hamburg und Neuruppin.