Die Carl-Götze-Schule und ihre Vorgänger
Die Carl-Götze-Schule am Brödermannsweg ist nicht die einzige, aber die erste und älteste Schule in Groß Borstel. Sie steht praktisch im Zentrum des Stadtteils und feierte kürzlich Richtfest für einen Erweiterungsbau. Groß Borstel wächst. Das Schulgebäude, so wie wir es heute kennen, wurde 1954 geplant und 1959 fertiggestellt. Am Morgen des 29. Juni 1959, um 8.00 Uhr nahm W. Suhr, seit 1954 der Schulleiter, in einer feierlichen Zeremonie den Schlüssel für die neue Schule entgegen. Der Neubau war für die damalige Zeit ausgesprochen modern, mit hellen, farbenfrohen und funktionalen Räumen. Neben den Lehrern und Schülern und einigen Offiziellen der Stadt Hamburg war auch der Architekt des gelungenen Neubaus bei der Eröffnung anwesend. Siegfried Wolske hatte sich kurz zuvor mit einem ganz anderen Entwurf unter den Architekten Deutschlands einen Namen gemacht. Von ihm stammte der Entwurf für die in Bonn neu zu bauende Beethovenhalle. 1954 hatte die Stadt Bonn dafür einen Wettbewerb ausgeschrieben, den Siegfried Wolske mit seinem Entwurf vor 109 anderen Einreichungen gewonnen hatte. Er wurde mit der Bauleitung und auch der künstlerischen Oberleitung beim Bau der Beethovenhalle betraut. Die Beethovenhalle wurde einige Wochen nach der Eröffnung der Schule in Groß Borstel, am 8. September 1959 im Beisein des scheidenden Bundespräsidenten Theodor Heuss sowie des neuen Bundespräsidenten Heinrich Lübke eingeweiht. Seit 1990 steht die Halle unter Denkmalschutz.
Bevor der Neubau am Brödermannsweg gebaut wurde, stand hier schon ein Schulgebäude, 1834 als erstes richtiges Groß Borsteler Schulhaus an fast gleicher Stelle errichtet. Zuvor hatten die Kinder des Dorfes Jahrzehnte lang Unterricht im Schulraum einer alten Kate an der Stavenhagenstraße erhalten. Der Dorflehrer wohnte mit seiner Familie in dem kleinen Haus und teilte sich dieses auch noch mit dem Kuhhirten des Dorfes. Das hatte traditionelle Gründe, denn bevor in Groß Borstel der erste Lehrer angestellt wurde, hatte der Kuhhirte im Winter, wenn das Vieh in den Ställen stand, den Unterricht erteilt.
Erst 1735 kam der erste hauptamtliche Lehrer nach Groß Borstel. Er hieß Jost Phillip Weinreben und wurde praktischerweise in der Hirten- oder Schulkate mit einquartiert. Der Lohn des Lehrers war recht erbärmlich, weniger als 100 Mark Courant im Jahr. Dieses Fixum erhielt er vom Kloster St. Johannis, zu dem Groß Borstel gehörte. Außerdem zahlten die Bauern ein Schulgeld, oder sie zahlten es auch nicht. Weil die Kinder auch lieber aufs Feld als in die Schule geschickt wurden, beschwerte sich Lehrer Weinreben 1755 beim Kloster St. Johannis. Patronus Cornelius Poppe sandte daraufhin eine schriftliche Ermahnung an die Groß Borsteler Bauern.
Im Laufe der folgenden Jahrzehnte verfiel die Schulkate allmählich. Neben ungeklärten Zuständigkeitsfragen zwischen dem Kloster St. Johannis und der Dorfgemeinde litten Hamburg und auch Groß Borstel infolge der Napoleonischen Kriege am allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang. Schon 1801 wurden im Zuge der Kriegshandlungen erstmals Soldaten des dänischen Kavallerie-Regiments „Graf Ahlefeldt“ für zwei Monate in Groß Borstel einquartiert. Später folgten Franzosen und Russen. Die Bauern mussten jedes Mal auf ihre Kosten für Unterkunft und Verpflegung der Soldaten sorgen.
Nach dem Abzug der Franzosen 1814 besserte sich die wirtschaftliche Situation allmählich, aber es dauerte noch einige Zeit, bis sich etwas in der Groß Borsteler Schule tat, die wegen gestiegener Schülerzahl aus allen Nähten platzte.
Seit 1792 war Joachim Friedrich Petersen der Dorflehrer von Groß Borstel und unterrichtete etwa 100 Kinder in dem inzwischen halb verfallenen Schulhaus. Am 18. Dezember 1824 klagte der Lehrer in einem Brief an den Hamburger Bürgermeister und die Vorsteherin des Klosters St. Johannis:
„Der Schulkaten ist in der Beschaffenheit, daß er einem Viehstall ähnlicher ist als einem Schulhause. Er ist ohne Schornstein, und von Rauch und Dampf einwendig so schwarz, daß man an die Wände kleben kann. Auch ist das ganze Local für die Kinder viel zu klein.“
Acht Jahre später, inzwischen 81 Jahre alt, schrieb Petersen einen weiteren Brief, da sich nichts geändert hatte und bat um Versetzung. Inzwischen war die Anzahl der Schulkinder auf 121 angewachsen, die Schulstube bot jedoch eigentlich nur Platz für 30 Kinder.
Die Landherrenschaft Geestlande fasste den Neubau eines Schulhauses in Groß Borstel schon ab 1829 ins Auge. Als neuer Standort wurde das Eckgrundstück an der Borsteler Chaussee, damals noch viel schmaler, zum Brödermannsweg ausgewählt. Auf dem Grundstück blieb noch lange Zeit ein Teich stehen, der von den Bauern als Viehtränke genutzt wurde. Erst 1916 wurde dieser zugeschüttet. Finanziert wurde der Neubau durch den Verkauf des alten Grundstückes an der Stavenhagenstraße und durch Spenden von Groß Borsteler Bauern und Hamburger Honoratioren. Die Kosten für den Neubau beliefen sich auf 5225,- Mark Courant.
1833 wurde mit den Arbeiten unter der Leitung des Groß Borsteler Zimmermanns Claus Schmuck begonnen. Das neue Schulhaus hatte einen Grundriss von etwa 15 mal 10 Metern, war eine Etage hoch und hatte ein hohes reetgedecktes Satteldach. In dem Haus sollte auch der Lehrer wieder eine Wohnung für sich und seine Familie finden. Der Kuhhirte musste sich eine andere Bleibe suchen.
Am 30. September 1834 konnte das erste richtige Groß Borsteler Schulhaus eingeweiht werden. Zum 120sten Geburtstag, 1954 führte die Schule den 30. September als feierlichen „Einweihungstag“ ein. Zu dieser Zeit war aber auch das alte Haus in die Jahre gekommen und musste wenige Jahre später dem modernen Neubau weichen.
Seit 1991 ist die Groß Borsteler Schule nach dem Hamburger Reformpädagogen Carl Götze benannt, der von 1914 bis 1919 Lehrer an der Schule in Groß Borstel war. Carl Götze war Zeichen- und Mallehrer. Zusammen mit dem Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark organisierte er Ausstellungen mit Kinderzeichnungen. Über den Kontakt mit Carl Götze fand auch der Maler Friedrich Scharping den Weg nach Groß Borstel und wurde hier ansässig.
André Schulz