Die Groß Borsteler Polizeiwache (Teil I)
Vielleicht fühlen sich manche der älteren Groß Borsteler derzeit an längst vergangene Zeiten erinnert. In den letzten Monaten gab es in dem ansonsten eher ruhigen Stadtteil nämlich eine Reihe von Überfällen auf Geschäfte, Einbrüche und Diebstähle. Schon Ende letzten Jahres, kurz vor Weihnachten, wurde der Geldautomat der Hamburger Sparkasse in der Borsteler Chaussee aufgebrochen oder gesprengt. Dann folgte im Februar ein Überfall auf die Budni-Drogerie gleich nebenan. Mit gezücktem Messer zwang der Täter eine Angestellte des Geschäfts zur Herausgabe des Kasseninhalts. Am 12. April wollten zwei maskierte Jugendliche die Tankstelle etwa 100 Meter weiter überfallen. Dabei benahmen sie sich schon vorher so auffällig, dass ein aufmerksamer Anwohner die Polizei rief. Als die Jugendlichen ihre Masken für den Überfall aufsetzten, war die Polizei schon da und verhinderte den Überfall. Die Polizei übergab die beiden minderjährigen, diesmal verhinderten, Straftäter ihren Eltern. Es ist nicht das erste Mal, dass die Tankstelle an der Borsteler Chaussee überfallen wurde. Schon im Januar 2021 hatte ein maskierter Mann versucht, mit einem Messer bewaffnet, die Tankstelle auszurauben. Der Angestellte der Tankstelle ließ sich damals jedoch nicht einschüchtern, und der Räuber floh ohne Beute. Er wurde trotz Fahndung nicht geschnappt. Am Freitag, den 26. April, ging die Raubserie weiter. Bei Öffnung des Ladens wurde der Kiosk am Warnckesweg überfallen. Zwei Männer passten den Angestellten ab und erzwangen mit vorgehaltener Schusswaffe die Herausgabe von Zigaretten und Geld. Am Nachmittag des gleichen Tages schlugen Räuber noch einmal zu und überfielen den Goldankaufladen gleich um die Ecke an der Borsteler Chaussee. Das kann ja kein Zufall sein. Hinzu kommen diverse Einbrüche, Einbruchsversuche am helllichten Tage, eine Reihe von Fahrraddiebstählen aus aufgebrochenen Schuppen und Garagen im März und Februar. Am Eppendorfer Moor klagen die Kleingärtner ebenfalls über zahlreiche Einbrüche in ihre Lauben. Des Öfteren wurden in den ruhigeren Straßen von Groß Borstel auch schon die Scheiben von parkenden Autos eingeschlagen und die Elektronik oder andere Dinge aus dem Inneren gestohlen.
Groß Borstel war laut Kriminal-Statistik der Jahre 2021 und 2022 im Bezirk Nord hinter Hoheluft-Ost noch der Stadtteil mit den wenigsten Straftaten. Mit unter 30 % war die Aufklärungsquote allerdings auch nicht besonders hoch.
Nun haben sich Kriminelle anscheinend vermehrt den Stadtteil Groß Borstel als Ziel ihrer finsteren Machenschaften ausgesucht. Vielleicht hat sich unter Hamburger Ganoven ja die Auffassung verbreitet, dass man die Groß Borsteler Geschäfte ungestört ausrauben, Häuser und Autos ungestört aufbrechen kann, weil die Polizei doch einigermaßen weit weg ist. Zwar befindet sich an der Deelböge die Akademie der Polizei, doch das ist keine Polizeistation. Das heute für Groß Borstel zuständige Polizeikommissariat 23 hat seinen Sitz in der Troplowitzstraße in Eimsbüttel. Gelegentlich durchstreifen auch die so genannten „bürgernahen Beamten“ (BÜNABE) den Ortsteil. Eine permanente Polizeipräsenz gibt es jedoch eher nicht. Das war aber nicht immer so. Bis 1977 hatte auch Groß Borstel eine eigene Polizeistation. Und die Polizeibeamten dort hatten alle Hände voll zu tun. Tatsächlich war Groß Borstel in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg das, was man heute einen kriminellen Hotspot nennt.
Ein ständiger Unruheherd war das so genannte „Männerlager“, ein Soziallager an der Sportallee, Ecke Weg beim Jäger. Das Wohnheim, war im August 1951 von der Hamburger Sozialbehörde für zunächst 500 Menschen, darunter alleinstehende Flüchtlinge, Kriegsheimkehrer, Vertriebene und Obdachlose eingerichtet worden. Später wurden hier auch Familien untergebracht. Die Zahl der Bewohner stieg dann im Laufe der Jahre auf fast 2800 Menschen an.
Mit Gründung der Einrichtung gehörten Nachrichten über kriminelle Aktivitäten und auch brutale Verbrechen in Groß Borstel zum regelmäßigen Brot der Polizeireporter der Hamburger Zeitungen. Oft sparten sich die Übeltäter aus dem Männerlager lange Wege und überfielen gleich die Geschäfte im Ortsteil oder brachen hier in Häuser und Wohnungen ein. Gelegentlich „arbeiteten“ sie auch auswärts. Manchmal befanden sich die geschädigten Geschäfte in Groß Borstel, aber die Täter waren von außerhalb „eingereist“.
Am 8. März 1958 wurde gleich eine ganze Reihe von Hamburger Stadtteilen von einer großen Einbruchsserie heimgesucht. Innerhalb von 24 Stunden kam es zu 29 Einbrüchen in Hamburger Geschäfte, die meisten geschahen nachts. Auch Groß Borsteler Geschäfte gehörten zu den Geschädigten. Im Lager eines Lebensmittel-Großhändlers im Lokstedter Damm stahlen die Diebe 50 Flaschen Gin, Cognac und Liköre, 50 Pfund Butter, 20 Pfund Mettwurst und 40 Pfund Käse. Aus einem Verkaufspavillon am Weg beim Jäger wurden Waren im Wert von 800 Mark gestohlen. Schließlich wurden die Einbrecher, eine Bande von jungen Leuten, auf frischer Tat geschnappt. Sie stammten diesmal allerdings nicht aus Groß Borstel, sondern aus Flottbek. Und Laubenaufbrüche gehörten auch damals schon zur Tagesordnung, auch wenn man hier meist nur geringe Beute machen konnte.
Regelmäßig kam es auch unter den Bewohnern des Wohnlagers zu Gewaltverbrechen, bisweilen auch mit Todesfolge. Auch vor Kindern und Jugendlichen machten die Übeltäter bei ihren Verbrechen keinen Halt. Die Straßen in der Nähe des Lagers waren für Passanten ein lebensgefährliches Pflaster. Von einer ganzen Reihe von Überfällen und sogar Mordfällen wurde berichtet.
Im Juli 1968 hob die Polizei eine 12-köpfige Bande aus, die zuvor über 50 Einbrüche und zwei Raubüberfälle begangen hatte und deren Mitglieder größtenteils im Soziallager an der Sportallee lebten. 18 Monate lang hatte die Polizei nach den Tätern gesucht. Im April 1969 sorgte dann die Bande „Schwarze Hand“ für Angst und Schrecken im Lager. Die Bandenmitglieder überfielen an den Zahltagen andere Insassen des Lagers, vor allem Rentner, schlugen sie zusammen und raubten ihnen Wertsachen und die gerade erhaltene monatliche Rente. Da sie die Opfer durch Drohungen einschüchterten und deshalb niemand etwas sagen wollte, kamen die Beamten des Groß Borsteler Polizeireviers 47 der Bande erst spät auf die Schliche.
Wo das Groß Borsteler Polizeirevier seinen Standort hatte und warum es aufgelöst wurde, erfahren Sie in der nächsten Ausgabe des Boten.
André Schulz