EDITORIAL
Liebe Borstelerinnen und Borsteler,
„Veränderung ist bedrohlich.“ Dieser Psychologen-Satz benennt eine Grundangst von uns Menschen. Nur daher erklärt sich, warum oft – und gerade von Frauen – Umstände ertragen werden: Das Bekannte erscheint sicherer als die Veränderung.
Am 26. September – also nach Redaktionsschluss – fanden die Bundestagswahlen statt. In dem Wahlkampf wurde wie kaum zuvor davor gewarnt, bloß nicht zu viel, zu schnell, zu grundsätzlich zu verändern. Wissenschaftler und Klimaexperten machen weltweit seit Jahrzehnten unmissverständlich deutlich, das Gegenteil ist notwendig: Nur schnelles, entschlossenes Handeln kann verhindern, dass die Kipp-Punkte im Klimawandel eine unumkehrbare Veränderung des Lebens auf der Erde erzwingen. Und die Parteien versuchen zu beruhigen, dass wir ohne gravierende Einschnitte auskommen werden?
Als die Eiszeit das Leben auf der Erde über weite Strecken zum Erliegen brachte, war der Mensch daran noch nicht beteiligt. Der Klimawandel heute ist menschengemacht. Nun müssen wir ihn bremsen: mit allem, was wir wissen und umsetzen können. Umkehren können wir ihn nicht. Nur wenn weltweit auf allen Gebieten die Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung die obersten Prinzipien unseres Handelns werden, können wir den Lebensraum für unsere Kinder und Enkel erhalten.
Wenn ich „weltweit“ schreibe, meine ich damit selbstverständlich auch Groß Borstel! Hier ist mit dem RISE-Prozess Veränderung möglich. Ein Lackmus-Test für den Nachhaltigkeitswillen der Hamburger Regierungsparteien wird die Umgestaltung der Borsteler Chaussee sein. Bisher verweigerte die Innenbehörde, Tempo 30 vor Schulen und Kindergärten zu genehmigen – der Durchgangsverkehr muss ja durch unser Dorf fließen! Wird in dem Konzept für die Umgestaltung der Borsteler Chaussee neben besseren Fuß- und Radwegen auch eine echte Reduzierung der klima- und gesundheitsschädlichen Verkehrsmenge stehen? Ein großräumiges Verkehrskonzept, das den Durchgangsverkehr im Norden über die Alsterkrugchaussee, vom Ring 2 über Rosenbrook und Nedderfeld führt und so unsere Wohngebiete und die Borsteler Chaussee deutlich beruhigt? Am 2. Dezember soll im Stadtteilbeirat das sogenannte Integrierte Entwicklungs-Konzept (IEK) in der Beiratssitzung vorgestellt werden. Dann werden wir mehr wissen.
Was das Verkehrskonzept für die Borsteler Chaussee mit dem Klimawandel zu tun hat? Wenn „Der Autoverkehr muss fließen!“ weiterhin das Primat der Verkehrspolitik ist, dann wird sich nichts an der Aufenthaltsqualität im Stadtteil ändern. Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, muss neben Alternativen zum Verbrennungsmotor und mehr Radverkehr auch der ÖPNV näher an die Hamburger Bürger heranrücken: Statt Milliarden in den Bau der U 5 zu verschwenden, die frühestens 2040 fertig sein soll, wäre es ein Zeichen von Weitsicht, schnell ein intaktes, oberirdisches und nutzerfreundliches Stadtbahnnetz zu installieren. Es wäre deutlich klimafreundlicher. Berlin ist schon so weit, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, und baut viele stillgelegte Tram-Strecken wieder auf.
Liebe Borstelerinnen und Borsteler, ich weiß heute beim Schreiben dieses Textes nicht, wie die Wahl am 26. September ausgehen wird und welche Koalitionen daraus entstehen werden. Aber ich weiß, was immer man uns erzählen wird: Wir haben keine Alternative zur Veränderung. Wir schaffen das. Yes, we can. Los geht’s.
Herzlich, Ihre Ulrike Zeising