Editorial
„Die Politik muss für die Menschen Vertrauen und einen verlässlichen Rahmen schaffen.“ Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank
Liebe Borstelerinnen, liebe Borsteler,
wenn Sie diesen Boten in Händen halten – oder digital lesen! – ist es Anfang Dezember 2024. Wir feiern dann mit den Kindern Nikolaus, begeben uns auf die Jagd nach Weihnachtsgeschenken, trinken Glühwein auf Weihnachtsmärkten, zerbrechen uns den Kopf über Weihnachtsessen und die möglichst entspannte Familien-Choreografie für die Feiertage. Und wir haben eine große Sehnsucht nach einer freundlichen, warmen Atmosphäre, nach vertrautem Miteinander und Freude an gemeinsamen Erlebnissen.
Aber: Wir befinden uns auch mitten im Wahlkampf-Marathon! Bundestagswahl am 23. Februar 2025 und Hamburger Bürgerschaftswahl eine Woche später. So der Plan.
Warum müssen wir befürchten, dass der Wahl-Kampf! „schmutzig“ werden könnte? Uns die Advents- und Weihnachtszeit verderben könnte? Ist es nicht absurd, dass Parteien und Politiker so oft uns, ihre Wähler, zu überzeugen zu versuchen, indem vor allem auf die – angeblichen – Fehler und Schwächen der Mitbewerber fokussiert wird? Sollen wir das beste Konzept für unsere Stadt, für unser Land wählen oder den besten Schuld-Zuweiser? Sollen wir glauben, dass alle realen Probleme wie die kaputte Infrastruktur, der Klimawandel, die Migration und der Fachkräftemangel, der Krieg gegen die Ukraine und die stagnierende Wirtschaft durch neues Personal plötzlich gelöst sind?
Keine Partei hat für all diese Probleme eine Patentlösung. Und mit Sicherheit müssen in Zukunft wieder zwei, drei oder mehr Parteien zusammen Lösungen finden in den neuen Regierungen in Berlin und in Hamburg. Das Beharren auf die eigene Sichtweise als einzig richtige muss zum Scheitern jeder neuen Konstellation und Koalition führen. Nur bei gegenseitigem Bemühen, die verschiedenen Ansätze zur Lösung von Problemen verstehen zu wollen und Kompromisse zu suchen, werden die Parteien in Zukunft ihrer Verantwortung für unser Land und unsere Menschen noch gerecht.
Das bedeutet ein neues Politikverständnis: Bei zwei Partner – wie bisher meistens – ließen sich Kompromisse leichter finden. Bei mehreren, sehr unterschiedlichen Politikansätzen ist der Prozess komplizierter. Man denke nur an eine größere Familie mit unterschiedlichen Altersstufen, Charakteren, Vorlieben, Temperamenten und Lebenserfahrungen. Wenn sich dort jeder nur selbst durchsetzen will, selber glänzen will, mit den anderen konkurriert und versucht, den anderen schlecht zu machen und zu verpetzen, dann wird nicht nur Weihnachten ungemütlich! Dann wird man als Familie keinen Erfolg haben, und jeder Einzelne wird seine Energie im ineffektiven Dauerstress verbrauchen!
Was wir brauchen, ist Vertrauen. Vertrauen, dass sich Menschen um ein Amt bewerben, denen glaubhaft das Wohl der Gemeinschaft am Herzen liegt. Vertrauen in die handelnden Personen entsteht nicht durch Ego-Trips, Eitelkeiten, Abwertung der Mitbewerber, Dominanzgehabe und opportune, markige Aussagen, die nach der Wahl kaum einlösbar sind. Vertrauen erwirbt man durch Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Kompromissbereitschaft und gegenseitiges Wohlwollen. Das ist für mich Demokratie. In Groß Borstel und anderswo. Und dann kann Weihnachten kommen!
Ich wünsche Ihnen und uns allen eine gute Zeit und ein schönes Weihnachtsfest! Und bleiben wir zuversichtlich für das, was uns das neues Jahr bringt!
Herzlich Ihre Ulrike Zeising