FEHLSTART BEI MOIA

GEDANKEN ZUM GESCHÄFTSMODELL / Von Uwe Schröder

Moia ist bekanntlich ein in Groß Borstel ansässiges VW-Tochterunternehmen, das mit Elektrofahrzeugen bis zu sechs Personen plus Fahrer befördert. On-Demand, wie man heute in schönem Denglisch zu sagen pflegt. Man bestellt den Shuttle-Service, per App, geht zu einem nahegelegenen Haltepunkt und der Elektrokleinbus nimmt auf dem Weg zum Ziel möglichst viele Mitfahrer auf. Das senkt den Preis, der zwischen HVV und Taxi liegen sollte. Ist das Ziel nach einigen Zwischenstopps erreicht und hat sich während der Fahrt kein weiterer Passagier eingebucht, dann muss das Moia-Fahrzeug zurück zur Station in Groß Borstel.

E-Mobilität wird nicht erst seit Angela Merkel von vielen Seiten gefordert. Der VW-Konzern unter Herbert Diess setzt komplett alles auf die Elektro-Karte. Daimler hält sich bedeckt, will aber ab 2030 keinerlei Diesel und Benziner mehr bauen. Wasserstoff scheint zwar die umweltfreundlichste Alternative zu sein, aber die am wenigsten praktikable. Der HVV hat in diesem Jahr seine Wasserstoffbusse abgeschafft. Das Netz an Wasserstofftankstellen in Deutschland ist für Privat-Pkw äußerst dünn, also keine ernstzunehmende Alternative.

Verkehrswissenschaftler und Stadtentwickler sagen: Moderne Verkehrspolitik ist – bezogen auf den motorisierten Individualverkehr – Mobilitätsverhinderung. Das setzt allerdings eine andere Stadtentwicklung voraus. Leben, Arbeiten, Freizeit, Einkaufen gleich um die Ecke. Kurze Wegebeziehungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad, ein vernünftiges Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln, so wie wir es vor der Automobilisierung hatten. Das ist besser als endlose Hin- und Herfahrerei und stundenlanges Stehen im Stau. Aber an moderner Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik fehlt es bekanntlich im verschlafenen Hamburg. Autofreie City von 11 bis 23 Uhr? Dieses tolle Projekt des Bezirks Hamburg Mitte scheint gerade zu scheitern. Polizei und Verkehrsbehörde äußern massive Bedenken.

Hamburg meine Perle schläft
Versuchen wir mal, die Theorie der Moia-Befürworter mit den Argumenten der Autolobby zu widerlegen. In der öko-unverdächtigen Zeitschrift Auto Motor Sport tobt eine lebhafte Debatte darum, dass E-Autos angeblich gar nicht so umweltfreundlich seien, wie allerorten behauptet wird. Laut Auto Motor Sport haben die Professoren Hans-Werner Sinn, Christoph Buchal und Hans-Dieter Karl die Gesamtenergiebilanz eines Tesla Model 3 mit der eines Mercedes C220d (Diesel) in einer 54-seitigen Studie verglichen. Ergebnis: Die Energiebilanz des Diesels sieht tatsächlich besser aus als die des Teslas. Und zwar selbst dann, wenn man eine CO2-neutrale Stromerzeugung über den gesamten Lebenszyklus zugrunde legt, also beginnend bei der Produktion und bis zur Verschrottung des Fahrzeugs.

Kritisiert wurde, dass Teslas Model 3 – verglichen mit dem Diesel-Mercedes – deutlich übermotorisiert sei, der Vergleich würde also hinken. Deswegen legte Volkswagen nach und beauftragte fünf Gutachter, einen E-Golf mit einem aktuellen Diesel-Golf hinsichtlich ihrer CO2-Bilanz zu vergleichen. Der Konzern verkauft als einziger ein Automodell, das sowohl mit Diesel- als auch mit Elektromotor geordert werden kann. Ergebnis der Gesamtrechnung „von der Wiege bis zur Bahre“: Der E-Golf stößt 119 g CO2 pro Kilometer aus, der Diesel-Golf 140 g. Diese für den E-Golf gerade noch positive Bilanz kommt allerdings nur zustande, wenn man einen fiktiven EU28-Strom-Mix zugrunde legt. Bei dem von Volkswagen so genannten „German Mix“, dem tatsächlichen deutschen Stromangebot also, schneidet der E-Golf schon knapp schlechter ab als der D-Golf: 142 g CO2 pro Kilometer. Bei rein ökologisch produziertem Windstrom belastet der E-Golf, unter anderem wegen der extrem aufwändigen Batterieproduktion, immerhin noch mit 59 g pro gefahrenem Kilometer, gerechnet über den gesamten Lebenszyklus, die Umwelt.

Die Moia-Fahrzeuge sind erheblich größer und schwerer als ein VW Golf, und sie konsumieren den „German Mix“. VW stellt leider keine Moia-Vergleichszahlen zur CO2-Gesamtbilanz zur Verfügung. Wir können aber annehmen, die Bilanz der Moia-Kleinbusse fällt deutlich schlechter aus als die beim Golf.
Und es kommt noch eines hinzu: das Paketfahrerproblem. Die Klimabilanz von Paketwagen ist unter anderem deswegen suboptimal, weil sie über den Tag gesehen maximal halbvoll, tatsächlich zumeist aber viel zu gering beladen rumfahren. Zuviel Auto, wenig Pakete. Deswegen sieht man volle Paketwagen so gut wie nie. Ein voll besetzter Moia-Wagen wurde allerdings auch kaum gesichtet.

Die Moias müssen zudem immer leer zurückkommen, weil sie keine Stellplätze in der Stadt besetzen dürfen. Und sie fahren nach jeder Rückkehr wieder leer zum nächsten ersten Fahrgast. Das steigert die Negativbilanz. Nicht sehr geschickt eingefädelt.

Frage: Warum steigt VW in so ein problembeladenes Projekt ein? Antwort: Subscription Economy. Das ist zugegebenermaßen kein Borsteler Slang, aber hinter diesem Stichwort verbirgt sich ein brisantes Geschäftsmodell. Es beschreibt ein wirtschaftliches Prinzip, das mit unterschiedlichen Ausgabepreisen arbeitet. Bei geringem Kapital- und Materialeinsatz. Gerne mit Abobindung der Kunden.

Nicht einfach zu erklären, aber ich will es versuchen. Apple fing vor zehn, fünfzehn Jahren an, darüber nachzudenken, was man sonst noch machen könnte, außer Computer und iPhones zu fertigen. Die macht Apple nicht selbst, sondern lässt sie von fleißigen Chinesen produzieren. Apple hat das Thema also längst aus der Hand gegeben. Folglich überlegten Steve Jobs & Kollegen, was noch profitabler sein könnte: iTunes und Apple Music wurden geboren. Musik-Streamingdienste, die zeigten, wohin die Reise geht. Apple verdient zwar mit dem iPhone, hat mit seinen Produkten aber mit dem tendenziell freien Fall der Profitrate zu tun. Doch mit iTunes und Apple Music setzte sich Steve Jobs ein weiteres Denkmal. Es werden keine Dinge mehr verkauft, keine CDs, sondern nur noch der Nutzen. Ähnlich Uber. Milliardenschwerer Konzern vermittelt Fahrten, besitzt dafür aber kein einziges Auto. Oder Amazon und Alibaba. Verkaufen Waren, ohne deren Eigentümer zu sein. Sie vermitteln nur. Oder HBO in den USA. Verkauft Fernsehsendungen, Preis je nach Nachfrage.
Was jetzt bei Uber & Co zukunftsweisend, aber nicht unbedingt positiv ist: der Abrechnungs-Algorithmus. Uber bietet zum Subskriptionspreis an, sprich: Die Fahrt kann unterschiedlich teuer berechnet werden – genau wie bei Moia. In der Rush Hour teurer als am Sonntagmorgen. Besonders hemmungslos agiert HBO. Manche Fernsehsendungen kosten dem Konsumenten 100 US-Dollar, so etwa der Boxkampf des Amerikaners Floyd Mayweather gegen den Iren Conor McGregor. Zusätzlich zum Abopreis. Und HBO streicht allein mit dieser einen Sendung Milliarden ein.

Kein Wunder: Alle Weltkonzerne versuchen, auf den Zug der Subscription Economy aufzuspringen. Neben Apple auch Google und Amazon, Microsoft etc. Denn die Dinge muss man nicht besitzen. Der Besitz erschwert die Mobilität, und Besitz erschwert es den Unternehmen, die Kunden abhängig zu machen. Wer eine Wohnung sein Eigen nennt, fühlt sich unabhängiger. Aber der mobile Mensch? Der mal hier und mal dort arbeiten muss? Bremst ihn das Eigentum? Bucht er nur den Nutzen Wohnen? Noch sind wir trotz AirBnB nicht soweit, aber bei den Autos fängt es bereits an. Volvo vermietet Autos. Man kann jährlich wechseln. Man braucht nicht zu kaufen. Man zahlt nur noch den Nutzen.

Und wenn man eine Reise oder einen Mietwagen online bucht, dann bieten die Buchungsportale teurer an, wenn die Familie am Wochenende nett zusammensitzt. Am Montag ist es noch teuer, aber am Dienstag wird es deutlich günstiger. Günstiger ist es, wenn man nicht mit einem teuren Applegerät bucht. Wenn man jung ist und nicht alt. Wenn man in privilegierten Wohngegenden wohnt (Google Streetview!) und so weiter.
Die profitabelsten Konzerne, das sind nicht die Stahlkocher von früher, längst nicht mehr die großen Autokonzerne, nicht die Handybauer von vor zehn Jahren –, es sind die Wissengeneratoren. Sie heißen Google, Facebook, Instagram, WhatsApp, Youtube, Twitter, Snapchat, Netflix, Spotify etc.

Hier schließt sich der Kreis, denn das braucht jetzt großes Kino: Unmengen an Daten zu sammeln kann nicht jeder, und sie in einem großen Algorithmus zu verknoten, daraus Angebote generieren, Bedürfnisse vorhersehen, Wünsche bei Verbrauchern erzeugen, einen passenden Preis basteln und den Menschen Produkte zeigen, bei denen sie glauben sollen, nein, von denen sie überzeugt sind, dass es gerade jetzt günstig ist, die Produkte sofort zu bestellen –, das ist die Kunst.

Der US-Einzelhändler Target weiß laut Handelsblatt bereits bei seinen Kundeninnen beim Onlinekauf, ob sie schwanger sind – bevor sie es selbst wissen. Deren Einkaufsverhalten verrät dem Algorithmus schon vor dem Frauenarzttermin alles, um die genau richtigen Produkte auf der Website anzubieten.

Googeln Sie mal „Treppenlift“ und beobachten Sie doch bitte anschließend die Werbung auf ihrem Computer. Plötzlich poppen die Seniorenprodukte auf. Einige wissen noch, wie es früher ohne Google ging. Ist gar nicht so lange her. Aber Google & Co haben längst das Zepter übernommen. Selbst Russland oder China mussten aufgeben. Sie konnten sich dem nicht entziehen.

Löst Moia Verkehrsprobleme?
Zurück zu Moia. Beim Volkswagenkonzern stellte sich 2015 die Frage: Was machen wir, wenn eines Tages keiner unsere Autos will? Und wie können wir bei den Großen mitspielen? Die Antwort: Gleich in die Vollen, wir versuchen es mit Subscription Reality, VW schwimmt fortan mit im Milliardenmarkt Mobilität. (Anmerkung: Die Geschichte um den VW-Skandal hat bereits Ohnsorg-Qualitäten.)

Wäre da bloß nicht die ach so nervige Hamburger Taxi-Innung. Sie unterstützt einen einzelnen Taxifahrer, der gegen die Moia-Zulassung klagt und zunächst eine einstweilige Verfügung erstritten hat. David gegen Goliath. Moia durfte nun statt der für den Testbetrieb angestrebten 500 Fahrzeuge vorläufig nur 100 in Betrieb nehmen. Die können die Nachfrage nicht ansatzweise befriedigen. Angeblich sollen Buchungsanfragen für täglich etwa 600 Fahrzeuge kommen; bei nur 100 Moias erzeugt das wenig zufriedene Kunden. Wenn nur einer von sechs Kunden mitfahren darf, ist der Start von Volkswagens Vorzeigeprojekt schon mal kräftig versemmelt.

Die Boten-Redaktion hat aus diesem Grund den im letzten Boten angekündigten Betriebsausflug mit Moia zunächst verschoben. Das sind keine guten Bedingungen; die Aussagen über die Qualitäten von Moiafahrten würden kaum ein realistisches Bild abgeben können.

Man fragt sich ohnehin, wie voll es auf Hamburgs Straßen noch werden soll. Die Pkw-Zulassungszahlen steigen und steigen – 2019 schon fast 800.000, ein Plus von 11.000 Pkw gegenüber 2018. Und zwar trotz Fahrradoffensive und Busbeschleunigung.

Die Busse bleiben im Stau stecken. Die Radwege sind zugeparkt oder marode. Auf der Fahrbahn herrscht Krieg zwischen Autofahrern und Radfahrern. Fußgänger, folgt man den Meldungen der Hamburger Polizei, werden regelmäßig umgefahren. Und die Verkehrspolitik des Hamburger Senats verfällt in eine seltsame Duldungsstarre, anstatt Antworten zu liefern.

Der klagende Taxifahrer hat Recht, wenn er sich vor dieser Konkurrenz fürchtet. Die Innung sieht über 1000 Jobs in Gefahr. Und die Innenstadt kann es nicht verkraften, wenn hunderte Moias den Jungfernstieg, den Neuen Wall und die Mönckebergstraße verstopfen und auf der Suche nach Kunden Warteschleifen drehen. Uber hat im Ausland gezeigt, wie es geht. Erst den preislich geregelten Taxiverkehr durch billigere Konkurrenz (prekäre Fahrerlöhne, Billigpreise) zerstören. Dann brutal die Preise erhöhen, ohne jede öffentliche Kontrollmöglichkeit.

Vielleicht ist Moia tatsächlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.