Gesundheitsbelastungen durch Flugverkehr
Bei der Einweihung des Luftfahrt-Forschungszentrums auf dem Airbusgelände in Hamburg Finkenwerder im März letzten Jahres äußerte sich Bürgermeister Olaf Scholz geradezu begeistert über das neue Acoustics Lab (Akustik Labor), und zwar in dem Fehlglauben, das Labor würde dazu beitragen, die lärmgeplagte Bevölkerung in flughafennahen Wohngebieten mit neueren Entwicklungen zu beglücken, die Flugzeuge leiser machen könnten. Scholz musste vom Airbus-Chef Tom Enders während der Feierstunde belehrt werden. Das Akustik Labor beforsche zwar Methoden der Lärmsenkung, jedoch nur für die Passagiere im Inneren von Flugzeugen. Aktive Lärmbekämpfung im Außenbereich des Flugzeuges: leider keine.
Tatsächlich muss in den Passagierkabinen von Flugzeugen einiges für Gesundheit getan werden. Kerosinabgase und andere Schadstoffe landen in der Atemluft und sorgen bei einer sehr hohen Zahl von Vielfliegern und insbesondere beim Flugpersonal für schwere Krankheiten, die oft zur Berufsunfähigkeit führen. Es kam sogar zu Todesfällen durch Kabinenluftschadstoffe. Der amerikanische Forscher Mohamed B. Abou-Donia zeigt in der Studie der Duke Universität in North Carolina, dass ein Pilot an den Folgen von giftigen Stoffen starb. Diese gelangten über die Atemluft während seiner Arbeit im Cockpit in seinen Körper. Die Folgen waren schwerste Schädigungen des Nervensystems unter anderem im Bereich des Rückenmarks und des Gehirns, ausgelöst durch die über die Kabinenluft aufgenommenen giftigen Stoffe.
Bei den festgestellten hochgiftigen Stoffen handelte es sich um Organophosphate. Diese wurden früher bei der Produktion von chemischen Kampfstoffen wie Sarin verwendet und auch als Insektizid eingesetzt. Bei längerfristigem Kontakt entstehen schwere Nervenschäden und Krebs. Unveröffentlicht ist die Anzahl der Mitarbeiter des Kabinenpersonals, die sich deswegen krankmelden mussten oder berufsunfähig wurden. Die Fluggesellschaften geben die Zahlen nicht heraus.
Weit bedrohlicher noch ist die hohe Zahl der Anwohner in den Einfluggebieten von Flughäfen, die unter flugverkehrsbedingten Krankheiten leiden. Rund um den Frankfurter Flughafen beispielsweise – wir hatten in der letzten Ausgabe darüber berichtet – wird in einem Zehn-Jahres-Zeitraum mit mehreren tausend Sterbefällen und einigen zehntausend Krankheitsfällen gerechnet, die die Belastungen durch Flugverkehr als Ursache haben. Die zusätzlichen Gesamtkosten für allein für die lärmbedingte Krankheitsbehandlung werden für den Frankfurter Raum – jeweils für 10 Jahre – auf 150 Mio. Euro geschätzt (Quelle: E. Greiser, G. Glaeske: Soziale und ökonomische Folgen nächtlichen Fluglärms im Umfeld des Flughafens Frankfurt/Main).
Die Apologeten des Luftverkehrs behaupten nun, diese erschreckend hohen Zahlen basierten lediglich auf epidemiologischen Erkenntnissen, also Hochrechnungen und Schätzungen. Die Zahlen seien keine „echten medizinischen“ Beweise, dass Fluglärm die Krankheiten verursacht hat. Tatsächlich sind die Daten von über 1 Mio. GKV-Versicherten ausgewertet worden, und zwar in den Behandlungsgebieten Herz- und Kreislaufkrankheiten, Diabetes mellitus, Depressionen, Psychosen und Schizophrenien, Demenz und Morbus Alzheimer, Krebserkrankungen (außer bösartigen Neubildungen der Atmungsorgane). Und es zeigte sich in flughafennahen Wohngebieten, dass eben diese Krankheiten überproportional gehäuft auftraten. Der jährliche Mehraufwand von etwa 15 Mio. Euro fand mit statistischen Nachweismethoden, die in der Wissenschaft seit langem unstrittig sind, seine eindeutige Erklärung: Luftverkehr.
Die Flughafenbetreiber behaupteten dennoch unisono, epidemiologische Untersuchungen seien kein direkter Nachweis, dass Luftverkehr Krankheiten erzeugt. Doch, der medizinische Nachweis ist erbracht, widerlegt sie Thomas Münzel, Professor für Medizin an der Universität Mainz. Im European Heart Journal (2017, online 17. Februar 2017) veröffentlichte er die Ergebnisse einer international viel beachteten langjährigen Studie. Darin stellte Münzels Wissenschaftlerteam fest, dass Fluglärm, ähnlich wie bei den mit Fluglärm exponierten gesunden Probanden in einer Vorgängerstudie, bereits innerhalb eines Tages eine endotheliale Dysfunktion (Neumedizinisch für Arteriosklerose) auslöst, eine Überempfindlichkeit gegenüber gefäßverengenden Substanzen verursacht sowie die Stresshormonspiegel deutlich steigen lässt. Dies führt unter anderem zu Hypertonie (vulgo: Bluthochdruck). Verantwortlich hierfür war in erster Linie eine vermehrte Bildung freier Radikale als Folge des Fluglärms. Der direkte medizinische Nachweis ist also endlich erbracht. Danke Thomas Münzel!
So langsam bricht das argumentative Kartenhaus der Flughafenbetreiber zusammen. Kennern der Materie ist klar, dass sie das Ausmaß der Gesundheitsschädigung durch Luftverkehr kaum noch verbergen können. Das Umweltbundesamt, Chefin Barbara Hendricks (SPD), fordert seit Jahren ein Nachtflugverbot von 22.00 bis 6.00 Uhr, also in der Zeit, in der die Nachtruhe gesetzlich vorgeschrieben ist. Allerdings kann sie sich nicht gegen ihren Kollegen Verkehrsminister Dobrindt (CSU) durchsetzen, der auch mit dem Luftverkehr stramm in die verkehrs- und klimapolitische Steinzeit marschiert. Nachdem die Ticketsteuer 2011 schon von 8 Euro auf 7,50 Euro gesenkt wurde, will Dobrindt sie nun komplett streichen, damit das Fliegen noch attraktiver wird. Auf die Mehrwertsteuer bei Flügen mit Auslandszielen und auf die Kerosinbesteuerung verzichtet er ohnehin schon.
Luftverkehr ist bekanntlich 10-mal klimaschädlicher als etwa Pkw-Verkehr. Hinzu kommt, dass die schädlichen CO2-Abgase in der Stratosphäre abgesondert werden, in einer Luftschichthöhe, wo sie jahrelang, teilweise jahrzehntelang klimaschädlich verbleiben, weil sie dort nicht abgebaut werden können – es gibt hier oben bekanntlich keine Bäume, die CO2 umwandeln können.
Resigniert vermeldet das Umweltbundesamt auf seiner Webseite: „Der Luftverkehr – insbesondere der internationale Luftverkehr – wies mit einem Zuwachs von 43,6 % in diesem Zeitraum (2000 bis 2015) den stärksten Anstieg auf.“
Immer wieder berichtet das Hamburger Abendblatt von neuen „Destinationen“ (Neudeutsch für: Ziele) der Fluggesellschaften. Betrachtet man die Hauptrouten, die von in Hamburg startenden Flugzeugen angeflogen werden, dann stellt man fest, dass die meisten Ziele wesentlich besser mit der Bahn erreicht werden können. Häufige Ziele sind beispielsweise München und Frankfurt, gefolgt von Stuttgart und Düsseldorf. Niemand wird behaupten, dass es ökologisch sinnvoll ist, für diese Entfernungen ins Flugzeug zu steigen. Und ökonomisch ist es, wenn wir die Gesamtrechnung ansehen, kompletter Unsinn.
Noch nie hat das Hamburger Abendblatt über die Ultrafeinstaubbelastung am Hamburger Flughafen berichtet. Ultrafeinstaub, das ist jener Staub, dessen Partikel so klein sind, dass man sie nicht mit bloßem Auge erkennen kann. Größe kleiner als 100 Nanometer. Er entsteht unter anderem durch schnelldrehende Motoren, zum Beispiel Common-Rail-Dieselmotoren oder Turbinen, ist also messbar in der Nähe von großen Verkehrskreuzungen, aber eben auch an und auf Flugplätzen. Ultrafeine Stäube können in Blutbahn und Gehirn gelangen, Herzinfarkt und Krebs auslösen. Offiziell gemessen werden sie bislang nicht – für Fachleute ein Skandal.
Joachim Alt und Wolfgang Schwämmlein, Initiative Fluglärm Mainz e.V.
Was Joachim Alt und Wolfgang Schwämmlein von der Initiative Fluglärm Mainz e.V. im letzten Jahr auf ihrem von Vereinsmitteln gekauften Messgerät ablasen, erschreckte sie nicht wenig: Die Messwerte stiegen durch den Flugbetrieb mindestens um das Vierfache. Noch 19 Kilometer vom Flughafen entfernt stieg die Konzentration der Partikel in einem Kubikzentimeter beim Überflug von Flugzeugen von rund 4.000 auf 16.000 an. In Flörsheim maßen Joachim Alt und Wolfgang Schwämmlein gar eine Konzentration von rund 40.000 Partikeln pro Kubikzentimeter, in Raunheim und Kelsterbach waren es sogar bis zu 80.000. Im Abfertigungsbereich auf dem Flughafen werden Werte von über 100.000 Partikeln gemessen. Das Gerät haben Schwämmlein und Alt inzwischen an die Hamburger Initiative BIG Fluglärm ausgeliehen. Die Ergebnisse ihrer Messungen veröffentlichen wir hier in Kürze.
Vielleicht hilft es, in dem Streit um den ständigen Zuwachs an Flugverkehr ein Zeichen für wirksame Maßnahmen zur Belastungssenkung für die Hamburger Bevölkerung zu setzen. Eine Beschränkung der Betriebszeiten auf 16 Stunden täglich (am Wochenende 14 Stunden), also eine Nachtruhe von 22.00 bis 6.00 Uhr (am Wochenende bis 8.00 Uhr) wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Uwe Schröder