HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN

GROSS BORSTELS GRENZE ZU ÖSTEREICH

Wer den Tarpenbek-Kollau-Wanderweg entlang geht oder fährt, dem sind vielleicht einige Grenzsteine aufgefallen. Am Groß Borsteler Tarpenbek-Ufer, unweit des Lokstedter Damms, steht ein Stein mit der Nummer 15. Den Stein Nummer 16 findet man einige Hundert Meter weiter nördlich am Übergang vom Niendorfer Weg zur Groß Borsteler Straße, auf dem gegenüberliegenden Ufer.

Die Steine tragen die Aufschrift „H.P“., eine Abkürzung für Herrschaft Pinneberg, „F.R. VI“, ein Hinweis auf Fredericus Rex, den Sechsten, König von Dänemark und die Zahl des Jahres, in dem der Stein aufgestellt wurde, hier 1817. Tatsächlich handelt es sich nicht um die alten Original-Grenzsteine, sondern um zwei Exemplare einer ganzen Reihe von Nachschöpfungen, die etwa an den Stellen aufgestellt wurden, an denen die alten Steine standen. Die Aufstellung dieser Nachschöpfungen entlang der Tarpenbek wurden vom Bewahrer der Hamburger Grenzsteine, Wolf-Rüdiger Wendt, und seinen Mitstreitern organisiert. Die Steine markierten die Grenze zwischen der freien Stadt Hamburg und der Grafschaft Pinneberg-Holstein, die eine wechselhafte politische Geschichte hatte. Bis 1864 verlief hier die Grenze zwischen Hamburg und Dänemark und ab 1866 zwischen Hamburg und Preußen. Aber im Jahr 1865 war die Tarpenbek die Grenze zwischen Hamburg und … Österreich!

Das Dorf Groß Borstel war schon seit 1325 Teil des Hamburger Landgebietes und befand sich erst im Besitz des Hamburger Klosters Herwardeshude. Später gehörte es dem Kloster St. Johannis in Eppendorf. 1913 wurde Groß Borstel nach Eingemeindung schließlich ein Stadtteil von Hamburg. Die Dörfer Lokstedt, Niendorf oder auch Stellingen und Schnelsen lagen hingegen auf holsteinischem Gebiet und wurden bis 1640 von den Grafen von Schauenburg regiert. Nachdem der letzte Graf von Schauenburg Otto V. kinderlos gestorben war, beanspruchte der dänische König Christian IV die Nachfolge und regierte das Land nun in Personalunion. Das übrige Holstein stand schon seit 1447 unter der Herrschaft der dänischen Könige.

Das politische Beziehungsgeflecht in den ursprünglich schauenburgischen Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauenburg war recht kompliziert. Schleswig war ein Lehen des dänischen Königs, die Gebiete Holstein und Lauenburg hingegen ein Lehen des deutschen Kaisers. Gleichzeitig war vom dänischen König aber ein Zusammenhalt von Schleswig-Holstein garantiert worden.

Mit Beginn der Unruhen von 1848/49 kam es im März 1848 auch in Schleswig-Holstein zu einem Aufstand gegen den dänischen König. Die deutsche Bevölkerung in Schleswig-Holstein wünschte einen von Dänemark unabhängigen Bundesstaat, der zum Deutschen Bund gehören sollte, und wurde dabei von den anderen deutschen Bundesstaaten unterstützt.

Christian VI., 1699 – 1746, König von Dänemark sowie Herzog von Schleswig und Holstein. Das Hamburger Gymnasium „Christianeum“ ist nach ihm benannt.
Christian VII., 1749 – 1808, König von Dänemark, Herzog von Schleswig und Holstein sowie Graf von Oldenburg und Delmenhorst. Christian VII. galt als geistesgestört. Der Nachwelt bekannt ist er vor allem wegen der Affäre um seinen Leibarzt Johann Friedrich Struensee.
Friedrich VI., „Fredericus Rex“, 1768 – 1839, König von Dänemark, Herzog von Schleswig und Holstein. Seit 1784 bereits Regent für seinen geistig erkrankten Vater.

Es kam zu kriegerischen Handlungen zwischen Truppen der Staaten des Deutschen Bundes und Dänemark. Die so genannte „erste Schleswig-Holsteinische Erhebung“ war nicht erfolgreich und der Status Quo wurde im „Londoner Protokoll“ von 1852 festgeschrieben.

In der Folge versuchte Dänemark, Schleswig und Holstein als Teil des Staates in der „Verfassung für den Dänischen Gesamtstaat“ festzuschreiben. Das wurde 1855 von der holsteinischen Ständeversammlung und 1858 auch vom Deutschen Bundestag abgelehnt. In der Novemberverfassung von 1863 versuchte Dänemark, wenigstens Schleswig rechtlich verbindlich an Dänemark zu binden, trennte es damit aber von Holstein ab, was gegen verschiedene Vereinbarungen verstieß. Der Deutsche Bund stellte am 16. Januar 1864 ein Ultimatum an Dänemark mit der Aufforderung zur Rücknahme der Novemberverfassung. Als Dänemark dieses verstreichen ließ, überschritten preußische und österreichische Truppen die Eider. Der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 wird als erster der drei Deutschen Einigungskriege gezählt. Es folgte der Preußisch-Österreichische Krieg von 1866 und der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71.

Bekanntlich leitete die Erstürmung der Düppeler Schanze durch preußische Truppen am 18. April 1864 die dänische Niederlage ein. Nicht so bekannt ist der Anteil Österreichs und seiner Marine. Bis 1918 war Österreich-Ungarn eine europäische Großmacht. Das Staatsgebiet reichte weit nach Ost- und Südosteuropa. Da die preußische Marine zu schwach für eine Auseinandersetzung mit der starken dänischen Marine war, schickte Österreich im März 1864 zwei Fregatten und ein Kanonenboot mit 900 Mann Besatzung und 90 Kanonen in die 3000 Seemeilen entfernte Nordsee. Bei Helgoland, damals englisch, lieferten sich die österreichischen Kriegsschiffe am 9. Mai 1864 ein heftiges Gefecht mit drei Fregatten der dänischen Marine. Drei kleine preußische Schiffe waren zu weit entfernt, um eingreifen zu können. Nachdem die österreichische SMS Radetzky Feuer gefangen hatte, zogen die österreichischen und preußischen Schiffe sich bei Dunkelheit nach Cuxhaven zurück. Die dänischen Schiffe segelten nach Kopenhagen. Drei Tage nach der Seeschlacht wurde ein Waffenstillstand vereinbart.

Die Fregatte „Radetzky“, der Stolz der österreichischen Marine, war in die Kampfhandlungen vor Helgoland verwickelt. Einige Jahre später wurde sie in der sagenumwobenen Schlacht von Lissa (Adriatisches Meer) von den schlussendlich sieglosen Italienern versenkt. Ein Bild dieser Schlacht aus dem Museo del Risorgimento, Rom, ist das Titelbild dieses Artikels.


Da bei den Friedensverhandlungen in London keine Einigung über Schleswig-Holstein erzielt werden konnte, wurden die Kämpfe wieder aufgenommen und endeten erst im Oktober 1864 mit der endgültigen Niederlage Dänemarks und dem Verlust von Schleswig-Holstein. In Gedenken an seine 32 toten Offiziere und Matrosen errichtete Österreich im Park an der Palmaille in Altona ein Denkmal. Es steht jetzt in der Grünanlage am Elbuferweg.

Die siegreichen Koalitionäre Preußen und Österreich vereinbarten zunächst eine gemeinsame Verwaltung von Schleswig-Holstein-Lauenburg. 1865 wurde vereinbart, dass Schleswig und Lauenburg von Preußen, Holstein von Österreich verwaltet wurde. Beim Überschreiten des alten Borsteler Stegs über die Tarpenbek am Ende des Lokstedter Damms, war man nun also politisch in Österreich. 1866 kam es im Streit um die Vorherrschaft in Deutschland zum Krieg zwischen Preußen und Österreich. Holstein fiel danach an Preußen. Nach Hamburg eingemeindet wurden die Dörfer jenseits der Tarpenbek erst 1937.

André Schulz

Mit bestem Dank an Wolf-Rüdiger Wendt für seine Hinweise zu Stein Nr. 15.

Gedenken an Österreichs 32 gefallene Offiziere . Das Denkmal steht in der Grünanlage am Altonaer Elbuferweg