HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN
Der Groß Borsteler Schauspieler, Regisseur und Intendant Friedrich Siems (I)
Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde in der Borsteler Chaussee 290 Friedrich Siems geboren. Sein Vater trug den gleichen Namen und war der letzte Schmied von Groß Borstel. Die Schmiede hatte 1823 (oder 1832) J.H.F. Hagedorn für die Familie Siems bauen lassen, und bestimmt waren auch schon der Großvater von Friedrich Siems und der Urgroßvater als Schmiede in Groß Borstel tätig.
Vielleicht sollte auch Friedrich Siems Junior das Handwerk des Schmiedes lernen, oder er hat es sogar noch gelernt. Doch nahm sein Leben eine ganz andere Richtung, woran nicht zuletzt die politischen Umwälzungen in Europa mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs verantwortlich waren.
Als der Krieg begann, war Friedrich Siems 18 Jahre alt, also bereits im wehrpflichtigen Alter. Wann genau er in den Kriegsdienst eingezogen wurde, ist nicht bekannt, aber im Sommer 1918 war er als Soldat an der so genannten „Zweiten Schlacht an der Marne“ beteiligt. Unter der Führung von Erich von Ludendorff versuchte das deutsche Heer durch Einschließung der Stadt Reims an der Westfront Geländegewinne zu machen. Doch der Angriff wurde abgeschlagen und die Initiative ging nun endgültig auf die Alliierten über. Die alliierten Streitkräfte, zu denen Franzosen, Engländer, Italiener und Amerikaner gehörten, verloren allein in dieser Schlacht 135.000 Mann, die Deutschen hatten 168.000 Mann Verluste zu beklagen. Knapp 30.000 deutsche Soldaten wurden gefangengenommen, darunter auch Friedrich Siems. Am 20. Juli 1918 war Siems in den Kämpfen bei Tardenois, 20 Kilometer südwestlich von Reims, in britische Gefangenschaft geraten. Mit einer schweren Schusswunde an der linken Hand und einer weiteren Schusswunde am Unterleib brachten die Engländer den Gefangenen zusammen mit anderen Verwundeten zunächst in das Belmont Hospital in Surrey. Am 4. September 1918 wurde Siems in ein Kriegsgefangenenlager nach Nordengland verlegt, nach Skipton, in der Nähe von Leeds. Sehr wahrscheinlich hegte Friedrich Siems schon vor seiner Einberufung zum Wehrdienst eine Begeisterung für die Schauspielerei, denn noch im September 1918 wurde im Lager auf Initiative von Friedrich Siems, das „Raikeswood Camp Theater“ gegründet, und Siems wurde der Leiter dieser Theatergruppe.
Harriet Purbrick, Geschichts-Studentin an der Universität von Leeds, hatte sich im Rahmen ihres Studiums mit der Geschichte des Lagers beschäftigt und dabei auch die Einzelheiten zur Gefangennahme von Friedrich Siems und zur Geschichte der Theatergruppe herausgefunden. Bis zu ihrer Entlassung und Repatriierung im Oktober 1919 führten die Gefangenen mindestens 23 verschiedene Stücke auf, neben englischen Stücken auch deutsche Komödien. Friedrich Siems leitete die Gruppe, spielte aber auch selbst in einigen Stücken mit, zum Beispiel in Bernard Shaws „The Doctor’s Dilemma“ und Oscar Wildes „The Importance of Being Earnest“. In Wildes Stück übernahm er die weibliche Rolle, der Cecily Cardew, da es im Lager keine Frauen gab.
Nach seiner Rückkehr in die Heimat bewarb Friedrich Siems sich als Schauspieler bei den Vera-Filmwerken, die am Rand von Groß Borstel an der Alsterkrugchaussee ein sehr modernes Studio besaßen und quasi am Fließband Stummfilme produzierten. Friedrich Siems erste Rolle hatte er in dem Film „Aus der Jugendzeit“, der im November 1921 erschien. Er spielte an der Seite der damals sehr bekannten Theaterschauspielerin Martha Hachmann-Zipfer, die meist als Gast an verschiedenen Theatern, auch in Berlin und New York, zuletzt am Hamburger Schauspielhaus, auftrat. Martha Hachmann-Zipfer spielte auch die Hauptrolle im zweiten Film, an dem Friedrich Siems beteiligt war, Dunkle Gewalten“ aus dem Jahr 1924. Friedrich Siems wahre Leidenschaft galt jedoch dem Theater. Er spielte zunächst in Hamburg in einigen Kammerstücken mit. 1926 wechselte er dann nach Stuttgart und spielte bis 1927 am Landestheater Baden-Württemberg. Danach wechselte Friedrich Siems ins Regiefach. In den 1930er-Jahren inszenierte er Stücke am Reussischen Theater Gera und am Künstlertheater Berlin (vormals Komische Oper Berlin), dessen Oberspielleiter er 1935/36 war. In dieser Zeit war hier auch der aus Hamburg-Eimsbüttel stammende Detlef Sierck als Regisseur tätig. Nach seiner Emigration in die USA drehte dieser unter dem Namen Douglas Sirk einige sehr erfolgreiche Hollywood-Filme.
Für eine kurze Zeit war Siems auch Regisseur am renommierten Ständetheater in Prag. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs findet man seinen Namen in Programmzetteln des Hamburger Thalia Theaters, wo er als Regisseur beispielsweise 1942 Lessings Emilia Galotti inszenierte und im gleichen Jahr anlässlich von Gerhard Hauptmanns 80sten Geburtstag auch dessen Stück „Schluck und Jau“.
Über die Karriere von Friedrich Siems als Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter gibt es keine zusammenhängenden Quellen, aber man kann seine Stationen mit Hilfe von alten Theaterzetteln nachverfolgen, die in Antiquariaten noch angeboten werden. Und es gibt eine kleine autobiografische Quelle im Lübecker Bühnenbuch des Jahres 1945/46. Verschiedene Autoren schrieben über den Neubeginn des Theaterlebens nach dem Krieg. Lübeck war in geringerem Maße zerstört als andere Städte, aber die Einwohnerzahl war durch Flüchtlinge von 150.000 auf 250.000 angewachsen. Siems berichtet in seinem Aufsatz, wie er am 15. Oktober 1945 zum Leiter der Bühnen der Hansestadt Lübeck berufen wurde und welche schwierigen Bedingungen herrschten. So war das 1908 im Jugendstil erbaute Theatergebäude von der britischen Besatzungsmacht für die Truppenbetreuung beschlagnahmt worden. Die Bühnen der Stadt Lübeck mussten stattdessen zunächst das Kolosseum und den Deltapalast, ursprünglich ein Kino, für ihre Aufführungen nutzen. Friedrich Siems blieb jedoch nicht lange in Lübeck.
André Schulz
Wie die Karriere des Groß Borsteler Schauspielers und Regisseurs Friedrich Siems weiter verlief und was aus der alten Groß Borsteler Schmiede wurde, erfahren Sie in der nächsten Ausgabe des Borsteler Boten.