Häuser, die Geschichten erzählen

Das Haus, das in die Erde muss (Teil 3)

Ein Haus, das in die Erde muss? Unter diesem etwas spitzfindigen Titel wurde im April und Mai 2020 im Borsteler Boten von der Geschichte des Hauses in der Woltersstraße 20 und den Schwierigkeiten bei der Planung eines Neubaus erzählt. Das Haus ist zusammen mit dem Nebenhaus Nr. 18 eines der ältesten Häuser in der Straße, 1910 erbaut.

Baufortschritt_nach_8_Monaten
Erdgeschossdecke_2022_04_08
Dachgeschoss_2022_09_23
Dachstuhlerrichtung_nach-17_Monaten

Nach dem Tod seines Besitzers Harmut Böckmann planten die Erben wegen des nicht mehr zeitgemäßen Zustandes des Hauses einen Neubau. Das Genehmigungsverfahren erwies sich als schwierig und zur Erfüllung der Bauvorschriften sollte es ein Stückweit in die Erde hinein gebaut werden. So erklärt sich der Titel. Damit war der Zweiteiler eigentlich abgeschlossen, die Geschichte aber noch nicht, wie sich herausstellte.

Als Generalunternehmer für den Neubau hatten die Erben, das Ehepaar Böckmann, die Firma Kagebau aus Hohenlockstedt ausgesucht. Der Generalunternehmer ist bei einem Bauprojekt der einzige Vertragspartner des Bauherrn und koordiniert die Bauphasen sowie die beteiligten Subunternehmen. Im Vertrag werden die Bauabschnitte und die Termine festgelegt, an denen der Bauherr die vereinbarten Raten der Baukosten zu überweisen hat. Kommt es zum Verzug, muss der Generalunternehmer Abzüge hinnehmen. Im Januar 2020 wurden zwischen dem Ehepaar Böckmann und Kagebau die Einzelheiten des Vertrages fixiert und im März 2020 von Kagebau bestätigt: Bauzeit 15 Monate, Tätigkeitsbeginn: Spätsommer 2020. Im Oktober sollte der Abriss des Altbaus beginnen.

Baufortschritt_nach_23_Monaten

Nach den Verzögerungen bei der Planung des Hauses war das Ehepaar nun guter Dinge in Bezug auf den Neubau. Sieben moderne und lichte Wohnungen würden in der ruhigen und schönen alten Woltersstraße entstehen. Die Wohnungen sollten einigermaßen marktgerecht, aber immer noch günstig vermietet werden. Später einmal könnten die Kinder, wenn sie es wollten, mit ihren Familien dort einziehen.

Allerdings meldete sich bald das zuständige Prüfamt in der Baubehörde. Sie beurteilte die von Kagebau eingereichten Statikberechnungen für den Nebenbau als fehlerhaft und verlangte vor Beginn der Arbeiten eine Korrektur. Die neuen Berechnungen wurden im Dezember 2020 genehmigt. Das alte Haus konnte abgerissen werden und der Neubau beginnen. Nach Beginn der Arbeiten wurden vom Prüfamt jedoch die Bewehrungspläne zur Absicherung der Baustelle bemängelt und mussten ebenfalls verbessert werden. Wieder verstrich ungeplant Zeit. Inzwischen zeigte schon der Frühling im März 2021 seine ersten Anzeichen. Das Ehepaar Böckmann fragte sich, ob die Wahl des Generalunternehmers die richtige gewesen war.

Immerhin: Nachdem das Prüfamt die neuen Pläne genehmigt hatte, konnte im Mai 2021 mit der Herstellung der Sohlplatte und des Kellers begonnen werden. Die Kagebau rechnete nun damit, im März 2022 mit dem Bau fertig zu sein, also mit sechs Monaten Verzug gegenüber dem ursprünglichen Plan. Das Prüfamt wies aber den Bauunternehmer als Nächstes auf das Fehlen einer prüffähigen Bauablaufbeschreibung für den Anschluss der Sohlplatte an das Nachbargebäude hin, was zu neuerlichem Stillstand führte. Nachdem Kagebau im November 2021 auch diese Unterlagen nachreichen konnte, wurde als neuer Fertigstellungstermin August 2022 errechnet. Nun ging es erst einmal weiter voran. Im Januar und Februar 2022 gelang dem Bauunternehmen die Fundamentabgrenzung zum Nachbargebäude, nachdem der Prüfstatiker die Unterlagen freigegeben hatte. Der Bauleiter verlegte die vermutliche Fertigstellung nun aber um drei weitere Monate nach hinten. Ziel: November 2022. Jeder Monat Verzug war für die Bauherren bitter, denn er bedeutete jeweils einen weiteren Monat Mietausfälle für sieben neue Wohnungen (65-135 qm).

Ein neues Jahr hatte begonnen. Mitte März 2022 war der Rohbau des Erdgeschosses abgeschlossen, nur noch zwei weitere Geschosse waren zu bauen. Weitere Planungsfehler verzögerten jedoch den Fortgang erneut. Im April wurde die Decke des Erdgeschosses aufgeschüttet, zunächst noch nicht komplett, da die Montage aller Balkone noch nicht abgeschlossen war. Ende April waren auch die Arbeiten für das Mauerwerk des 1.Obergeschosses weitgehend beendet. Da der Prüfbehörde aber noch kein Baustelleneinrichtungsplan vorlag, notwendig für die Aufstellung eines Autokrans, gab es im Juni und Juli 2022 noch einmal einen Baustopp.

Der Leser ahnt es, dies war nicht der letzte Baustopp. Nach vielen zähen Verhandlungen zwischen dem Bauherrn und dem Generalunternehmer waren die Fronten nun doch etwas verhärtet. Das Ehepaar Böckmann behielt jetzt Zahlungen ein. Kagebau weigerte sich weiterzubauen. Mitte März 2023 (!) reicht das Ehepaar Böckmann Klage beim Landgericht ein. Ein riskanter Schritt, denn ein stärkerer Gegner wie ein Bauunternehmen kennt mit Hilfe seiner Anwälte viele Tricks, um das finanzielle Risiko der schwächeren Seite zu vergrößern, indem zum Beispiel der Streitwert in die Höhe getrieben wird oder der Prozessfortgang verschleppt wird. Inzwischen interessierte sich auch der Norddeutsche Rundfunk für den Fall und berichtete in seinem Lokalfernsehen darüber.

fertiger-Neubau

Im Mai 2023 ging es dann doch weiter, jedoch nicht ohne neue Probleme im Baufortschritt. Und dann endlich: Am 31. Juli 2024, vier Jahre nach Baubeginn, konnte der fertige Neubau endlich abgenommen werden. Es ist ein schönes Haus geworden, mit schönen Wohnungen. Die Mühen des Baus sieht man den Wohnungen nicht an, nur den Gesichtern der Bauherren.

Torsten Böckmann sieht den Hauptgrund für die massiven Verzögerungen in der Vergabe der verschiedenen Bauaufträge an zu viele überforderte Subunternehmer: „Kommt es an einer Baustelle zu einer Verzögerung, geht es an einer anderen Baustelle auch erst Wochen später weiter.“

Nachdem die Schwierigkeiten begannen, hat Torsten Böckmann in einem Blog im Internet (www.woltersstrasse20.de) sehr detailliert den Fortschritt bzw. Nicht-Fortschritt dieses Bauvorhabens dokumentiert und zieht dort folgenden Vergleich: 1930 bis 1931 wurde in New York das Empire State Building gebaut, mit 102 Stockwerken. Bauzeit 20 Monate. Was läuft hier falsch?

André Schulz