HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN

Fischgeschäft und -Räucherei in der Borsteler Chaussee 108

Wer heute in Groß Borstel frischen Fisch kaufen will, der kann dies nur noch im Großhandelskaufhaus Metro in der Papenreye erledigen, zu dem aber nicht jedermann Zutritt hat. Das war vor einigen Jahren noch anders.

Das Fischgeschäft in der Borsteler Chaussee war an jedem Werktag zur Mittagszeit ein beliebter Anlaufpunkt für die Groß Borsteler. Es gab dort nicht nur frischen Fisch zum selber braten, kochen oder backen, auch die frisch belegten Fischbrötchen und der Backfisch waren von legendärer Qualität. Und es gab in Groß Borstel noch einen zweiten Betrieb, der mit der Verarbeitung von Fisch zu tun hatte. Am Ende des Sträßchen Bekstück, das den Niendorfer Weg zumindest für Fußgänger mit der Papenreye verbindet, gab es einmal eine sehr aktive Fischräucherei. Beide Betriebe sind mit dem Namen Rolf verbunden: „Fisch Rolf“ hatte einen ganz ausgezeichneten Klang in Groß Borstel. Die Inhaber der beiden Betriebe, Herbert und Harald, waren Cousins.

Das Fischgeschäft befand sich in dem sehr auffälligen, weil hübschen alten Gebäudeensemble in der Borsteler Chaussee 108. Die Häusergruppe besteht aus zwei Gebäuden zur Straße hin und Anbauten im Hinterhof, alles in lichtem Weiß gestrichen, mit blauen Schmuckstreifen. Im kleineren der vorderen Gebäude befindet sich seit einigen Jahren die Änderungsschneiderei Shala. Der Fischladen war in dem größeren Gebäude untergebracht. Hinter den beiden großen Fenstern des Fischladens lachte der frische Fischfang die Passanten jeden Werktag fröhlich an und lud zum Besuch und zum Kauf ein. Diese Einladung nahmen viele Groß Borsteler gerne an, und so bildeten sich mittags vor der Ladentür regelmäßig längere Schlangen. Im Geschäft ließen sich Gisela und Herbert Rolf davon nicht nervös machen, hatten für jeden Käufer noch ein paar freundliche Worte übrig und sorgten trotzdem dafür, dass jeder schnell zu seinem Fisch kam.

Blick in den Innenhof
Harte Arbeit an den Altonaer Räucheröfen

Die Geschichte des Fischs im einstigen Bauerndorf Groß Borstel umfasst einige Jahrzehnte. Der Gründer der Tradition, Albert Rolf, war schon vor dem Ersten Weltkrieg nach Groß Borstel gekommen und hatte zunächst im Hinterhof an der Borsteler Chaussee 108 eine Fischräucherei betrieben. Sein Sohn Julius Rolf gründete dann 1922 die „See- und Flußfischhandlung Rolf“ und verkaufte dort neben Fisch auch Gemüse.

1933 wurden die Fischhandlung und die Fischräucherei getrennt. Die Räucherei fand ihren neuen Platz am Bekstück 36. Möglicherweise war die zunehmende Bebauung in Groß Borstel einer der Gründe dafür, mit der Räucherei an den damaligen Rand des Ortes zu ziehen. Ständiger Fischgeruch aus einer Räucherei, gleich nebenan, ist nicht jedermanns Sache. Geräuchert wurde damals ausnahmslos in den so genannten „Altonaer Räucheröfen“, gemauerte Räucheröfen, die mit Metalltüren verschlossen werden, und in denen nach einem aufwändigen, mehrere Stunden dauernden Verfahren, die Fische über einem Holzfeuer bei etwa 70 Grad geräuchert werden, bis sie ihren typischen Geschmack und ihre goldgelbe Farbe erhalten. Vorher werden die Fische einen halben Tag lang in eine Salzlake, angereichert mit Wacholderbeeren, Lorbeer und Zitronensaft eingelegt, was dem Fisch zusätzlichen Geschmack verleiht.

Auch die Zusammensetzung der Brennmittel, eine Mischung aus Buchen- und Erlenhölzern, die nicht brennen, sondern nur glimmen dürfen, haben Einfluss auf den Geschmack. Das Räuchern löst einen chemischen Prozess aus, bei dem Kohlenwasserstoffe, Phenole, Carbonyle (Formaldehyd) und Carbonsäuren freigesetzt werden. Der entstandene Formaldehyd wirkt mikrobiozid, tötet also Mikroben wie Bakterien, Viren und Pilze ab. Dem Fisch wird durch den Räuchervorgang auch zwischen 10 % und 40 % seiner Flüssigkeit entzogen, und er wird länger haltbar. Allerdings entstehen auch Stoffe, die als gesundheitsgefährdend gelten und deshalb aus dem Rauch rausgefiltert werden müssen.

Der letzte Betreiber der Räucherei war Harald Rolf, Jahrgang 1935. Er war 1953 in den Betrieb seines Vaters eingestiegen. Die Räucherei gab es zu dieser Zeit allerdings nur noch deshalb, weil im Zweiten Weltkrieg eine Fliegerbombe, die 20 Meter neben dem Haus eingeschlagen war, nicht gezündet hatte. Die Räucherei Rolf lieferte ihren Räucherfisch – Schillerlocken, Forellen, Heilbutt, Makrele, Aal, Rotbarsch und Bücklinge – noch handwarm in viele Hamburger Geschäfte und Restaurants. Die beste Zeit hatte die Räucherei in den 1980er Jahren. Nachdem es vor dem Krieg in Hamburg noch 60 Fischräuchereien gegeben hatte, schlossen die traditionellen Betriebe im Zuge der Urbanisierung nach und nach, und es blieben nur noch wenige Familienbetriebe übrig.

In den 1980ern war die Räucherei Rolf im Bekstück eine der letzten, die das Gewerbe noch in seiner traditionellen Form als Handwerk betrieben. An die 30 Mitarbeiter räucherten in dieser Zeit an 14 Öfen jede Woche mehrere Tonnen Fisch. Ende der 1980er Jahre wurden jedoch strengere Umweltauflagen eingeführt.

In der Räucherei am Bekstück wurde zuletzt nur noch der legendäre Rolf‘sche Aal in kleinen Mengen geräuchert.

Wer wie Harald Rolf auf traditionelle Weise räuchern wollte – und nur so erhält Räucherfisch seinen echten typischen Geschmack –der musste sich eine teure Abgaswaschanlage zulegen. Harald Rolf wagte die Investition, aber das brachte seinen Betrieb in existenzielle Bedrängnis. Die Altonaer Räucheröfen werden heute wegen der Geruchs- und Rauchbelästigung kaum mehr zugelassen, weshalb die industriellen Großräuchereien stattdessen nun Gasräucheranlagen verwenden, in denen zusätzlich Rauch in die Räucherkammer geblasen wird. Der Fisch schmeckt am Ende fast wie echter Räucherfisch – fast.

Durch die Jahre und die Farben, in zwei Reihen v. l. n. r.:
1980 ist das Haus noch gelb mit oranger Markise, 1982 kommt das Firmenschild dazu, 1983 wird das Haus hellgelb, Anfang der 2000er gibt es eine gestreifte Markise, 2004 wird das erste Gebäude weiß und blau gestrichen, 2012 erstrahlt das gesamte Gebäudeensemble in weiß-blau, die Ziermauer links ist sehr schön bewachsen.

Nach der politischen Wende in Europa 1990 gab es dann aber bald auch zunehmende billige Konkurrenz aus dem Osten. Gleichzeitig ging die Nachfrage nach Räucherfisch zurück. Harald Rolf beschloss deshalb, sich zur Ruhe zu setzen. 2007 gab es dann durch Zufall noch einmal ein Revival der Groß Borsteler Fischräucherei. Sein Golffreund Rüdiger Kowalke (1947-2019), seit 1980 Inhaber des Fischereihafenrestaurants, überredete Harald Rolf für sein Restaurant noch einmal nach traditioneller Art Räucherfisch zu liefern. So nahm Harald Rolf einen seiner Öfen wieder in Betrieb und räucherte mit der Hilfe eines einzigen Mitarbeiters noch einige Zeit einmal die Woche 50 Aale exklusiv für das Fischereihafenrestaurant.

Das Fischgeschäft an der Borsteler Chaussee 108 war 1964 von Julius Rolf auf seinen Sohn Herbert übergegangen. Herbert Rolf hatte eigentlich eine Ausbildung als KFZ-Mechaniker absolviert, entschloss sich dann aber doch, das alteingesessene väterliche Fischgeschäft weiterzuführen. Wer bei Ihm Fisch kaufte, erhielt nicht nur die in Papier eingepackte Ware, sondern bekam noch eine ordentliche Portion Humor mit auf den Weg. Dieser war trotz langer Arbeitstage der ständige Begleiter von Herbert Rolf. Seine Frau Gisela unterstützte ihn auf liebenswürdige Art dabei. Frühmorgens fuhr Herbert Rolf täglich auf den Fischmarkt, um seinen Kunden besonders frischen Fisch verkaufen zu können. Nach Ladenschluss musste der Laden noch aufgeräumt und gesäubert, die restlichen Fische kühl weggestellt werden.

40 Jahre lang bestimmte dies den Tagesablauf des Ehepaars Rolf. Im Mai 2004 war dann Schluss. Die Rolfs verkauften den Fischhandel an Andreas Jäger, der ihn erst an gleicher Stelle und dann ein paar Häuser weiter, an der Borsteler Chaussee 114 fortführte. In das ursprüngliche Ladenlokal zog die Immobilienfirma Böttcher & Cie ein.

Nach dem Verkauf seines Geschäfts konnte Herbert Rolf seinen Ruhestand nicht lange genießen. Er starb im August 2010.

Das Fischgeschäft, nun an der Borsteler Chaussee 114, wurde um einen Imbiss erweitert, doch mit dem Ehepaar Rolf war auch der besondere Zauber des Fischverkaufs in Groß Borstel verschwunden. Inzwischen wurde das Geschäft aufgegeben. Nun befindet sich hier die Filiale einer Fast-Food-Kette.
André Schulz



GUT ZU WISSEN:
Räuchern im Altonaer Ofen

Altonaer Öfen sind Räucheröfen, in denen in traditioneller Weise über offenem Holzfeuer geräuchert wird. Zum Garen wird in der Regel Buchenholz verwandt. Für die goldgelbe Färbung und einen besonders delikaten Geschmack folgt ein weiteres Räuchern über Erlenholz. Diese traditionelle Räucherweise ist langwierig und arbeitsaufwändig.

Der Schornstein wurde erst im 10.–11. Jahrhundert entwickelt, vorher gab es vor allem Einraumhäuser, bei denen der Rauch von der Kochstelle durch das ganze Haus zog und über Öffnungen im Dach entwich. Das führte dazu, dass das ganze Haus beheizt wurde. Nahrungsmittel wurden nahe der Kochstelle oder unterm Dach vor Nagern oder Haustieren gesichert aufgehängt und dort automatisch getrocknet und geräuchert. Die lange Haltbarkeit solcherart konservierter Waren und die bei einer Schlachtung oder einem Fischzug anfallenden großen Mengen an Fleisch oder Fisch führten dazu, das Räuchern gesondert auszuführen, indem der Rauchfang am Dachboden endete oder sich dort zu einer „Rauchkammer“ erweiterte.


HÄUSER UND GESCHICHTEN

In Groß Borstel gibt es sicher noch viele Häuser, an denen sich Geschichten ranken, vielleicht auch bei Ihrem Haus. Falls Sie meinen, diese Geschichte sollte erzählt werden, dann setzen Sie sich doch mit mir in Verbindung: andreschulz@hamburg.de.