HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN: DAS GUSTAV-FALKE-HAUS
Um 1900 entstand an der Brückwiesenstraße eine Reihe von Villen, die dort heute noch zu sehen sind. Eine dieser Villen, das Haus an der Brückwiesenstraße 27, gehörte dem Dichter Gustav Falke. Falke stammte aus Lübeck, 1853 dort geboren,
und kam als 15-Jähriger 1868 nach Hamburg, um hier eine Buchhändlerlehre anzutreten. Nach der Lehre arbeitete er als Buchhändler in Essen, Stuttgart und schließlich in Hildburghausen in Thüringen. 1878 kehrte er nach Hamburg zurück. Da in Hamburg keine Anstellung als Buchhändler zu finden war, begann er an der Seite seiner Mutter, einer Klavierlehrerin, ebenfalls Klavierunterricht zu geben. 1890 heiratete er eine seiner Schülerinnen, Anna Theen, mit der er drei Kinder bekam. In diesem Jahr begann Falke auch erste Gedichte zu veröffentlichen. Falkes literarisches Vorbild war der naturalistisch ausgerichtete Detlev von Liliencron. Beide Lyriker waren bald in enger Freundschaft verbunden, beide verband aber auch der Kampf um den täglichen Broterwerb, wobei Falke mit seinen bescheidenen Einnahmen als Klavierlehrer noch besser gestellt war als der ständig von hohen Spielschulden geplagte Lebemann Liliencron. Aus der materiellen Not schöpfte Falke aber auch Kraft, wie dieses von ihm überlieferte Zitat beweist: „Wer in seinem Leben zu wenig gelitten hat, bleibt rettungslos mittelmäßig.“ 1902 schlug der Literaturprofessor August Sauer Gustav Falke für den Literaturnobelpreis vor. Der Preis wurde aber an einen anderen deutschen Autor vergeben, an Theodor Mommsen. Im fortgeschrittenen Alter besserte sich die materielle Situation von Liliencron und Falke. Der inzwischen sehr populäre Liliencron erhielt seit 1901 für seine Arbeiten ein von Kaiser Wilhelm II. gestiftetes jährliches Ehrengehalt von 2000 Goldmark. Falke wurde anlässlich seines 50sten Geburtstages ab 1903 von der Stadt Hamburg für seine literarischen Leistungen ebenfalls mit einem lebenslangen Ehrensold belohnt. Er erhielt jährlich 3000 Mark. Zu seinem 60sten Geburtstag wurde die Zahlung auf 5000 Mark erhöht. Mit dem Geld war Gustav Falke nun in der Lage, für sich und seine Familie ein Haus zu bauen. Am 28. April 1904 legte der Architekt H. C. Lührmann die Baupläne vor. Als Standort für sein Haus wählte Falke den ländlichen Vorort Groß Borstel. In seiner Autobiografie „Die Stadt mit den goldenen Türmen“ – gemeint ist Falkes Geburtststadt Lübeck – lässt Falke die Leser an seiner Freude am neuen Besitz teilhaben:
„In Groß Borstel, auf hamburgischem Landgebiet, baute ich mir ein Haus. Ein schmaler Streifen Wiesenland war urbar zu machen; nur ein alter Weißdorn stand darauf, der aus vielfachen Wurzeln drei phantastisch gewundene Stämme nach verschiedenen Seiten ausstreckte und so ein breites, in der Blütezeit von Bienen durchsummtes Dach herstellte. Sonst musste jedes Sträuchlein gepflanzt werden, sollte sich die grüne Wiesenwildnis in einen Garten verwandeln. Wege wurden gezogen, Beete angelegt, ein Teich ausgehoben, und es entstand ein freundliches Besitztum, das die darauf verwendete Mühe vielfältig lohnte.“ (1)
Natürlich war Detlev Liliencron, inzwischen von einem ärmlichen Zimmer an der Palmaille in Altona, unweit von Klopstocks Grab, nach Alt-Rahlstedt umgezogen, häufig bei Falke in Groß Borstel zu Besuch. Die Flucht aus dem hektischen Treiben der Großstadt in eine romantisierte ländliche Idylle ist sowohl bei Liliencron wie bei Falke ein wiederkehrendes Thema. Falke fand seinen privaten Frieden am Ufer der damals noch nicht begradigten Tarpenbek, in seinen Worten:
„Wie hatte ich es nur solange in der Stadt aushalten können? Wo der Blick immer gegen Mauern prallt, und wo das vielfache Getöse des Tages, zu einem wirren, kaum mehr beachteten Lärm verschlungen, sich bis in die Nacht fortsetzt und uns wahnsinnig machen würde, wenn wir nicht dagegen abstumpften. Hier draußen war Friede und Stille, ein weiter Himmel, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, alle Jahreszeiten im sanften Wandel, hier war helles Grün des Sommers und leuchtender Schnee des Winters, war der violette Geist des erwachenden Frühling und waren die tausend Farben des noch einmal beim lauschenden Abschiedsfest aufjubelnden Herbstes; hier war der ganze Kreis des holden Lebens geschlossen, und der Mensch, teilnehmend, leidend und wirkend, mitten darin.“ (2)
Liliencron starb 1909. Die Figur auf Liliencrons Grab auf dem Friedhof Rahlstedt schuf Falkes Schwiegersohn Richard Luksch. Falke erlebte noch den Beginn des Ersten Weltkriegs. Dem Zeitgeist entsprechend stellte er seine schriftstellerische Arbeit nun in den Dienst deutschnationaler Kriegspropaganda und wurde dafür 1915 mit dem preußischen Roten Adlerorden ausgezeichnet. Neben zahlreichen Gedichten, von denen fast 500 von verschiedenen Komponisten vertont wurden, veröffentlichte Gustav Falke Kinderbücher, Romane und Erzählungen, einige in niederdeutscher Sprache. Außerdem gehörte Falke zum Kreis der Autoren, die für den Kölner Schokoladeproduzenten Ludwig Stollwerck an der literarischen Veredelung der schon seit 1840 produzierten Stollwerck-Sammelbilder und Sammelalben mitarbeitete. Gustav Falke starb 1916. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Ohlsdorf (AC 7, 109-113, in der Nähe der „Dichterecke“.)
Beide, Liliencron und Falke, sind heute fast vergessen. Ihre Werke gehören nicht einmal mehr zum Lehrplan in Hamburger Gymnasien. In der Nähe des Schlump gibt es die seit 1921 nach ihm benannte Gustav-Falke-Straße. In einen Klinkerbau am Ende der Straße ist eine Büste des Dichters eingelassen, von der man aber nicht mehr weiß, wer sie geschaffen hat und wann sie aufgestellt wurde. Wer durch Groß Borstel geht, findet mit dem 1952 aufgestellten Gustav-Falke-Denkmal im Herbstscher Park am Ende der Frustbergstraße noch eine Spur des Dichters.
Und dann gibt es noch die Gustav-Falke-Villa in der Brückwiesenstraße 27. Dort hat man den Vorbesitzer keineswegs vergessen und nicht nur deshalb, weil der Name des Dichters unter dem Giebel an der Hausfassade eingetragen ist. Lutz Thalacker hat einige Dokumente zur Geschichte des Hauses in einem Aktenordner gesammelt, darunter den Bauplan des Hauses, Fotos, eine Kopie eines handgeschriebenen Briefes, Grundbucheinträge oder auch die Genehmigung zum Umbau des Falke‘schen Hühnerstalls in eine Autogarage.
Nach dem Tod von Gustav Falke verkaufte seine Witwe das Haus, möglicherweise im Jahr 1921, an einen Herrn Schmidt. Dieser stand in Beziehung zur Groß Borsteler Pferderennbahn, die noch bis zum Zweiten Weltkrieg auf dem Gelände des heutigen Flughafens existierte. Er besaß vielleicht einen Rennstall oder ein Rennpferd. Nach seinem Tod übernahm 1947 seine Tochter Susanne Schmidt, verheiratete Neuer, das Haus und vermietete es dann an mehrere Mietparteien. Dafür wurde die Villa in einzelne Wohneinheiten aufgeteilt. 1980 kauften Dietlinde und Lutz Thalacker die Villa, entfernten die nachträglich errichteten Zwischenwände und richteten es nach und nach im Stile des ursprünglichen Zustandes wieder her. Der luftige Wintergarten wurde durch einen massiven Anbau ersetzt. Heute erstrahlt das Haus im gleichen hellen Blau wie zu Gustav Falkes Zeiten. Und die alten Bäume auf dem Grundstück hatte Gustav Falke mit seinen Augen auch schon erblickt.
Herzlichen Dank an Dietlinde und Lutz Thalacker für die Unterstützung.
André Schulz