Häuser, die Geschichten erzählen: Woltersstrasse 20
Das Haus das in die Erde muss. Teil 2
Schon mancher hat die Erfahrung gemacht, dass das Bauen eines Hauses ein großes Abenteuer ist. Das gilt wohl besonders für ein Bauvorhaben in der Großstadt und gilt noch mehr, wenn es sich bei dem Bauvorhaben um ein Mehrfamilienhaus handelt.
Das Abenteuer beginnt schon weit vor dem ersten Spatenstich. Torsten Böckmann hatte von seinem Vater das Haus in der Woltersstraße 20 geerbt, ein Mehrfamilienhaus, das zusammen mit der Woltersstraße 18 ein Doppelhaus bildet. Die Inspektion ergab, dass das Haus in keinem zeitgemäßen Zustand mehr war und so beschlossen Torsten Böckmann und seine Frau Ursula, es neu bauen zu lassen. Erfahrung mit dem Hausbau hatten sie zwar bisher nicht, waren aber zuversichtlich, dass sie mit der Beratung der Fachleute zu einem guten Ergebnis kommen würden. Anhand von alten Fotografien sollte der ursprüngliche Doppelhauscharakter, der durch den Wiederaufbau nach dem Krieg verloren gegangen war, wiederbelebt werden. Das Ehepaar Böckmann beauftragte einen Architekten, der einen den Anforderungen entsprechenden Entwurf anfertigte.
Bisher waren in dem Haus Woltersstraße 20 sechs Wohneinheiten untergebracht. Die Hamburger Bauordnung verlangt bei Neubauten ab fünf Wohneinheiten die Einrichtung von mindestens zwei barrierefreien Wohnungen. Durch Weglassen des Erdgeschosssockels – wegen der Barrierefreiheit notwendig – und Reduzierung der Deckenhöhen von 3,10 m auf 2,60 m war es möglich, in das Haus ein zusätzliches Vollgeschoss mit einer weiteren Wohnung zu integrieren. Die Gesamtwohnfläche würde sich dadurch von 400 m2 auf 640 m2 erhöhen.
In der Großstadt Hamburg wird Wohnraum dringend benötigt, deshalb dachten Ursula und Torsten Böckmann, dass die Schaffung einer weiteren Wohnung eine gute Idee sein müsste. Da es sich bei dem Neubau um die Hälfte eines Doppelhauses handelte, musste bei der Planung natürlich darauf geachtet werden, dass der Neubau sich mit seiner Fassade und seinem Dachfirst wieder harmonisch an das Nebengebäude anpasste. Die Neuaufteilung im Haus berücksichtigte dies. Sie zog keinerlei Veränderung der Kubatur im Vergleich zum Bestandshaus nach sich.
Mit diesem Entwurf stellten die Bauherren beim Bauamt im Bezirksamt Nord eine Bauvoranfrage – und die wurde abgelehnt. Das Bauamt legte dabei den Bebauungsplan Groß Borstel 1 von 1965 zugrunde (gegenüber gilt Groß Borstel 21 von 1981), der bei Bauvorhaben in „offener Bauweise“ maximal zwei Wohneinheiten in einem Haus vorsieht – also nicht sieben, und maximal zwei Vollgeschosse. In der Begründung hieß es: „Das Gebäude fügt sich nicht ein, es ist deutlich überdimensioniert. Auch eine Befreiung von § 2 Abs. 2 (Wohneinheitenklausel) könnte für sieben Wohneinheiten nicht erteilt werden, da diese eine Verdreifachung der zulässigen Wohneinheiten wäre.“
Ursula und Torsten Böckmann waren ob des „Vorbescheides“ allerdings verblüfft, schließlich befanden sich im Haus Woltersstraße 20 ja bereits sechs Wohnungen – und nicht zwei.
Bei Neubauten, und dabei handelte es sich ja hier, kann man sich jedoch nicht auf Bestandsschutz berufen. Ursprünglich war das das Haus 1920 mit zwei Geschossen und zwei Wohnungen errichtet worden, nach einer Teilzerstörung im Krieg, wurde es 1950 angesichts der Wohnungsnot gemäß der Wiederaufbauordnung mit drei Geschossen und sechs Wohnungen wiederhergerichtet.
„Die Entscheidung des Bauamts überraschte uns auch dahingehend, da es erklärtes Ziel der Politik in Hamburg ist, im Bestand nachzuverdichten und Grünflächen nicht anzutasten“, erklärte Torsten Böckmann.
Ursula und Torsten Böckmann legten Widerspruch gegen den Bescheid ein und hatten dafür auch gute Argumente. Nach zähen Verhandlungen bekam das Bauamt ein Einsehen und stimmte dem Bauantrag im Großen und Ganzen doch zu. Ein paar Änderungen am Entwurf wurden zur Auflage gemacht.
Soweit, so gut. Das Ehepaar Böckmann kündigte den Mietern, da sie das Haus ja abreißen wollten. Eine Mieterin widersetzte sich der Kündigung. Nachdem die Böckmanns eine vergleichbare Wohnung vermittelt hatten, erklärte auch sie sich bereit auszuziehen, aber nur gegen Zuzahlung einer fünfstelligen Abfindung. Ein anderer Mieter ging im Nachhinein gegen die Kündigung vor, da sich der Beginn des Baus in die Länge zog und er eine widerrechtliche Kündigung unterstellte und erstritt ebenfalls eine Abfindung.
Ursprünglich wollten Ursula und Torsten Böckmann dem Architekten die Baudurchführung übertragen, verlangten aber für das Bauvorhaben eine garantierte Kosten-obergrenze. Eine solche wollte der Architekt jedoch nicht zugestehen und so ging man ohne Einigung auseinander.
Ursula und Torsten Böckmann suchten sich nun einen Generalunternehmer für den Bau – in Hamburg und Umgebung kein leichtes Unterfangen – fanden aber einen. Der neue Generalunternehmer stellte bei der Sichtung des Bauplanes fest, dass im Entwurf Zwischendecken mit einer Dicke von 30 cm vorgesehen waren.
Bei seinen Baudurchführungen benötigte er aber Decken mit mindestens 45 cm Dicke, um dort die nach neuen Standards erforderliche Technik unterbringen zu können. Das Haus würde also abweichend vom ursprünglichen Plan – und vom schon bewilligten Bauantrag – 45 cm höher werden.
Ursula und Torsten Böckmann nahmen Kontakt zum Bauamt auf. Das Bauamt war jedoch zu keinerlei Zugeständnissen mehr bereit, obwohl Ursula und Torsten Böckmann nichts unversucht ließen, die Mitarbeiter in der Behörde in Verhandlungen doch noch umzustimmen. Angesichts der schon getätigten erheblichen Investitionen wollten die Böckmanns das Bauvorhaben nicht aufgeben und folgten nun einem Vorschlag aus dem Bauamt: Das Haus muss 45 cm in die Erde tiefer gelegt werden. Natürlich ist diese Lösung mit einem erheblichen finanziellen Mehraufwand verbunden.
Wer selbst einmal den Bau eines Mehrfamilienhauses plant, sollte folgenden Kosten ins Auge schauen:
Zusatzkosten Bauvorhaben:
Architekt: 50.000 Euro
Bauantrag: 10.000 Euro
Grundbucheintrag: 10.000 Euro
Brandschutzgutachten: 3.000 Euro
Schadstoffgutachten: 2.100 Euro
Bodengutachten: 1.650 Euro
Einrichtung Baustellenzufahrt: 5.250 Euro
Luftbildaufnahme zur Gewährleistung der Kampfmittelfreiheit: 500 Euro
Juristische Prüfung der Werkverträge: 6.000 Euro
Zu den aufgeführten Kosten kamen im konkreten Fall noch 1800 Euro für einen Anwalt und 25.000 Euro Abfindung für die Mieter hinzu – das alles, ohne dass ein Arbeiter eine Schaufel in die Hand genommen hat.
„Hier zeigt sich ganz deutlich“, so Torsten Böckmann, „dass das von der Politik verkündete „Bündnis-für-das-Wohnen“ an veralteten Bebauungsplänen seine Grenze findet.
Diese sind mit einer zeitgemäßen Bebauung unter Berücksichtigung aller Vorschriften gar nicht mehr kompatibel. Ich nenne nur die Energiesparverordnungen und die Verordnung zur Vermeidung von CO2. Bebauungspläne könnten auch angepasst werden, aber es fehlt in den Behörden an qualifiziertem Personal.“
Das Bauamt auf der anderen Seite ist bei der Prüfung von Bauanträgen angehalten, neben den Interessen der Bauherren auch die Interessen der Nachbarn zu prüfen. In jüngerer Zeit gab es eine Reihe von neuen gesetzlichen Vorschriften, die den Ermessensspielraum verkleinern, da ja gegen jedes Bauvorhaben bei Nichtbeachtung der Vorschriften geklagt werden kann.
Wollen Sie auch bauen? Arbeiten Sie sich in das Thema ein: https://www.hamburg.de/hamburg-nord/bauleitplanung/ Einige Semester Jura, Spezialgebiet Baurecht und eventuell Mietrecht, werden sich als vorteilhaft erweisen.
André Schulz