Huwilismus
Große Dichter kommen aus Groß Borstel

Muss man aus Bremerhaven kommen, quasi mit dem Brackwasser der Weser getauft worden sein, um aus der Not des kargen Daseins, durchweht vom nassklammen Nordseewind die nordisch klaren Gedanken in reimende Worte zu formen? Solchen Ursprungs jedenfalls ist Jürgen Huwil Wahlen, der Begründer des Huwilismus in Groß Borstel. Pünktlich zu Redaktionsschluss trudelt eines seiner launigen Gedichte ins Kontor. Gute Gelegenheit, einen Stapel störender Steuerbescheide beiseitezuschieben und eines seiner Gedichte zu lesen. Die Mundwinkel dürfen wieder nach oben gehen. Der Redakteur bringt kurz noch die Absatzformate in Form und schickt das frische Werk an die Grafikerinnen.

Gelernt hat Jürgen Wahlen sinnigerweise bei A&O, Arbeitgeber war sein Vater, stolzer Besitzer eines kleinen A&O-Lebensmittelladens (später zwei), der sich aber wegen der zu geringen Ladenflächen nicht gegen die großen Ketten durchsetzen konnte. Jürgen Wahlen wählte fortan Größeres. Er begann mit Karstadt, wurde Abteilungsleiter und musste – das war so üblich in den großen Kaufhausketten – öfter umziehen und in anderen Orten arbeiten. Karstadt Mönckebergstraße und Bergedorf waren schließlich seine Stationen, doch dann wollte Jürgen Huwil sesshaft werden. Er bewarb sich bei Fegro/Selgros und war dort 25 Jahre Betriebsleiter.

Was die Kaufhauskarriere mit seiner Dichterei zu tun hat? Genau so viel wie Bremerhaven.

Um der Ödnis des Kaufhausdaseins zu entfliehen, zumindest in Gedanken, und um die Familie (schließlich vier Kinder) ernähren zu können, nahm Huwil den göttlichen Griffel der Dichtkunst nach Feierabend in die Hand.

„Ich hab‘ da fünf- bis sechshundert Gedichte und Lieder im Karton“, erzählt Jürgen Huwil Wahlen beim Interview im Cafébereich der Bäckerei Junge. Die Gedichte zeigte er einer Musikgruppe namens „Das Blancke-Trio“, die immer zum Hafengeburtstag in Bremerhaven auftrat und es vermutlich immer noch tun. Die vertonten ein Gedicht von Huwil Wahlen, und das kam so gut an, dass der junge Jürgen fortan zu jedem Hafengeburtstag liefern musste.

Später trat er auch im Schmidttheater in Hamburg auf, das war nach seiner Bergedorfer Zeit. Im Rahmen des Programms „Die Reste vom Norden“, durch das Ernie Reinhardt alias Lilo Wanders moderierend führte, durfte auch Jürgen Wahlen auftreten. Ebenso in der Schmidt-Mitternachtsshow, die vom NDR übertragen wurde. „Das war gut, das spülte Geld in die Kasse“, Jürgen Wahlen schmunzelt, als er sich an die Zeit im Schmidts erinnert.

„Einmal hatte ich einen Textaussetzer. Ich stand da mit meiner Gitarre, alles läuft gut. Und urplötzlich ging nichts mehr. Ausgerechnet an einer Stelle, wo aus Jürgen Jutta wurde.“ Das Auditorium nahm es mit Gelassenheit – an dem Abend waren nur Frauen zugelassen und Jürgen war quasi der einzige Mann. „Jutta, fang doch einfach nochmal von vorne an“, meinte Lilo Wanders. Und Jürgen hatte plötzlich einen neuen Namen.

Seit Mitte der 80er-Jahre wohnt Jürgen Wahlen in Groß Borstel. Seine Liebe zum Plattdeutschen hat er nicht verloren. Er kultiviert es, vielleicht auch, um die Erinnerungen an seine Kindheit wachzuhalten. Gegenüber von Bremerhaven wohnten die Großeltern in einem kleinen Dorf. Hühner, Enten, Gänse liefen im Innenhof. Im Dorf wurde ausschließlich Platt gesprochen.

Heute freut sich der eine oder die andere Groß Borstelerin über gelegentliche Gedichte in Platt. Jürgen Huwil Wahlen führt in eine andere Zeit. Eine Zeit, in der man noch ohne Facebook, Twitter und Instagram auskam. Aber dennoch sind die Gedichte immer wieder aktuell, wenn sie den Zeitgeist auf die Schippe nehmen.

Danke, lieber Jürgen. Wir freuen uns jedes Mal auf Deine Mail mit dem Gedicht des Monats.

Uwe Schröder

Preisfrage: Was ist das eigentlich für ein Name, Huwil?