IN ZEITEN VON CORONA

Merkwürdig entschleunigt geht das Leben in Zeiten der Isolation. Spaziergänge durch beruhigte, teils fast menschleere Stadtteile. Einkauf manchmal vor nahezu leeren Regalen bei der Metro. Erste Coronafälle in entfernterer Bekanntschaft. Rückbesinnung auf den engsten Familienkreis.

Machen wir uns nichts vor: Die eigentliche Krise kommt noch. Es liegt im Rahmen des Wahrscheinlichen, dank Globalisierung: Selten zuvor ist die Weltwirtschaft von einer so umfassenden Krise betroffen gewesen. Die Versprechen der Regierungen, man werde die in Schieflage geratenen Unternehmen finanziell stützen, werden nur kurz helfen.

Der Staatshaushalt hat nur zu einem geringen Teil flexibel zur Verfügung stehendes Geld. Deutschland könnte sich aufgrund sparsamen Wirtschaftens in der Vergangenheit jetzt verschulden. Jedoch sehr bald ist auch dabei die Grenze erreicht. Bei wem auch verschulden?

Die Unternehmen können nur für kurze Zeit Löhne und Kurzarbeitergeld zahlen. Vielleicht ein, zwei Monate. Miete und sonstige Kosten fallen trotzdem an. Bei fehlenden Einnahmen ist – logisch – sehr schnell Schluss.

Die Automobilindustrie, Deutschlands wichtigster Industriezweig, sah sich bereits vor der Coronakrise in bedrohlicher Schieflage. Herbert Diess, VW-Vorstandsvorsitzender, meinte vor Aktionären im Januar: „Der Sturm geht jetzt erst los. Die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei.“ Man wiege sich in einer trügerischen Sicherheit, ähnlich wie der Handyhersteller Nokia, der mit seinen Modellen nach Apples iPhone nicht mehr konkurrenzfähig war, dennoch lange ausreichende Auslandsumsätze vorweisen konnte.

So auch VW vor der Krise, durch Exporte nach China und in die USA. Die sind seit Corona zusammengebrochen. Die Produktion ruht komplett. Leere Produktionshallen auch bei BMW und Mercedes. Keiner kauft Autos. Warum auch?

Umsatzeinbrüche außer im Lebensmittel-einzelhandel. Die Leute halten ihr Geld zusammen. Stillstand bei Tourismus, Gastronomie, Luftverkehr, Textilindustrie, Möbeln. Ein, zwei Monate geht es noch, dann brechen spätestens die ersten großen Unternehmen unter der Last der Kosten zusammen.

Restaurantbesuche waren bis zum 22. März nur noch bis 18:00 Uhr gestattet; jetzt sind die Restaurants bis auf den Außerhausverkauf geschlossen. Die Umsatzeinbußen sind exorbitant hoch. Der Einzelhandel kalkulierte – vor der Krise – mit Gewinnmargen von teilweise nur 1,5 bis 2 Prozent. Jetzt ist Verlust das tägliche „Geschäft“ des Kaufmanns. Keine Frage, das funktioniert nicht.

Nicht allein in Deutschland, auch weltweit. Kurz vor der Krise ging es an den Bestand der Grundrechte, als EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen nassforsch ein Hilfsprogramm für Griechenland verkündete. Nicht, um mehr Asylbedürftige aufnehmen zu können. Im Gegenteil: Für Militärausgaben zur Abwehr von Asylbewerbern, zur Verhinderung der Wahrnehmung des Menschenrechts auf Asyl an der griechischen Grenze. Für Schüsse von griechischen Schnellbooten auf Schlauchboote von Flüchtlingen. Gleichzeitig Meldungen von deutschen Stadtverwaltungen, die tausende Flüchtlinge aufnehmen würden – wenn sie es denn dürften. Ja, wir schaffen das. Aber wir wollen es nicht. Das soll christdemokratisch oder sozialdemokratisch sein?

Die Probleme in Afrika und Asien sind seit Jahrzehnten nicht im Ansatz gelöst. Niemand hat eine Idee. Der Klimawandel treibt Menschenmassen in die Flucht, und zwar unweigerlich, sagen sämtliche ernstzunehmenden Wissenschaftler. Die Migrationsprobleme werden durch Corona verschärft.

Die Coronakrise dauert angeblich ein, zwei Jahre an. Das Virus kann bis zu zwei Drittel der Bevölkerung infizieren. Für Frühjahr 2021 sind erste Medikamente angesagt. Bis dahin steht exponentielles Wachstum der Infektionszahlen zu befürchten. Soweit das Horrorszenario, das wir bald schon Realität nennen müssen.

Wachstumskritiker und Suffizienz-Ideologen reiben sich die Hände. Sie hoffen auf Rückbesinnung. Schluss mit dem Konsumterror und dem Wachstum um jeden Preis. Die Älteren von uns wissen, wir können auch anders. Man braucht gar nicht so viel zum Leben. Einen Teil des Gemüses, das wir benötigen, können wir auch selbst anbauen – Urban Gardening genannt. Fitness-Studio spart, wer aufs Auto verzichtet und konsequent Fahrrad fährt oder zu Fuß geht.

Wir brauchen keine Milch aus Bayern und Gemüse aus Südspanien. Unsere Milch- und Gemüsebauern aus der Nachbarschaft Hamburgs liefern auch gerne wieder direkt. Wir sollten lieber kleine dezentrale Handels- und Hilfsketten aufbauen, Nachbarschaftsläden statt Handelskonzerne. Die industrielle Lebensmittelerzeugung ist ohnehin der Weg in eine kranke Umwelt.

Groß Borstel wird umdenken können. Der Stadtteil hat eigentlich alles, was es braucht, um zufrieden zu sein. Sogar Ruhe. Der Flughafen hat seinen Betrieb weitgehend eingestellt. Lufthansa-Chef Carsten Spohr meldet eben, seine Flotte fliegt aktuell nur fünf Prozent des Normalbetriebs und das mit halbleeren Flugzeugen. Lassen wir es dabei. Denken wir um. Lassen wir doch lieber ein paar Kühe auf den Flughafenwiesen grasen, als nach der Krise weiterzumachen wie bisher. Konversion heißt das Stichwort der Stunde. Bitte bleiben Sie bitte gesund und seien Sie kreativ. Schicken Sie uns gerne Ihre Ideen, wie es weitergehen könnte, an redaktion@grossborstel.de.
Uwe Schröder