Jürgen Huwil Wahlen 1948 – 2024
Wir haben uns nur einmal getroffen, und ich konnte mich sofort für Jürgen begeistern. Jemand, der leidenschaftlich dichtet, manchmal auf Plattdeutsch. Das war der Sound, den auch ich kennenlernen durfte. Jürgen war einer, dessen frühe Kindheit ebenfalls vom Nachkriegsdeutschland geprägt wurde.
Wir trafen uns im Café der Bäckerei Junge. Das quirlige Treiben um uns herum – es war Mittagszeit – war sofort vergessen, als wir die ersten Sätze wechselten. Jürgen kam aus Bremerhaven. Die Großeltern, bei denen er zeitweilig aufwuchs (so wie ich teilweise bei den Großeltern in einem Dorf an der Unterelbe), wohnten gegenüber Bremerhaven auf der anderen Seite der Weser, und sie sprachen ausschließlich plattdeutsch. Wie alle in dem kleinen Ort.
Wer die 50er-Jahre kennt, weiß, es war eine Zeit des Überlebenskampfes. Der Vater von Jürgen Wahlen eröffnete mutig einen kleinen A&O-Laden, später einen zweiten. Das waren winzige Tante-Emma-Nachbarschafts-Läden, die dann Anfang der 60er-Jahre mit großen Supermarktketten zu kämpfen hatten. Jürgen musste mit anpacken. Er lernte Einzelhandelskaufmann bei seinem Vater, wechselte, als die Läden nicht mehr richtig liefen, zu Karstadt, machte dort Karriere und war schließlich 25 Jahre Betriebsleiter bei Fegro/Selgros. Der Lebensunterhalt für seine Ehefrau Karin und den drei Kindern konnte so gesichert werden.
Jürgens heimliche Leidenschaft war die Dichterei. Nach Feierabend nahm Jürgen Huwil den göttlichen Griffel der Dichtkunst in die Hand. Er lernte eine Band kennen, die seine Texte vertonte und auf die Bühne brachte: Das Blancke-Trio. Die traten immer beim Bremerhavener Hafengeburtstag auf und brauchten jedes Jahr frischen Stoff. Den lieferte Jürgen Huwil Wahlen. „Ich hab’ da fünf- bis sechshundert Gedichte und Lieder im Karton“, erzählte mir Jürgen beim Interview.
Er trat auch selbst auf, mit Gitarre und seinen Gedichten. Regelmäßig in der Schmidt-Mitternachts-Show im NDR. Kleine Parts jeweils. „Aber das spülte Geld in die Tasche.“ Wir unterhielten uns lange über die Zeit in den Achtzigern, als Corny Littmann das Schmidttheater eröffnete. Wir beide kennen Corny und auch Ernie Reinhard, der als Lilo Wanders bekannt wurde. Das Gespräch war mehr ein Zurückbesinnen in unsere Zeit des Aufbruchs, ein Rückbesinnen auf die karge Zeit der Kindheit auf dem Land.
Jürgen konnte in seinen Gedichten hervorragend und dabei augenzwinkernd den Zeitgeist treffen. Er lieferte fast fünf Jahre, jeden Monat pünktlich zum Redaktionsschluss ein Gedicht. Auch kurz vor seinem Tod schleppte er sich in den ersten Stock seines Hauses im Wiegandweg und sagte seiner Karin, er müsse das Gedicht für den Juni-Boten noch abschicken.
Jürgen Hubert Wilhelm Wahlen verstarb am 16.05.2024 nach langer schwerer Krankheit.
Jürgen, die Zeit mit dir war wunderbar. Deine Gedichte sind sehr bewegend und amüsant. Es schmerzt, dass du so früh Abschied nehmen musstest. Du bleibst mir immer in besonderer Erinnerung.
Uwe Schröder