(K)eine Transitstrecke durch Gross Borstel
Hamburg ist ein Verkehrsknotenpunkt. Im Süden und Osten berührt die Bundesautobahn 1 die Stadt. Im Westen durchschneidet die A7 Hamburg. Schon 1938 wurde der Bau der Autobahnverbindung von Hamburg nach Hannover begonnen, konnte aber erste 1962 fertiggestellt werden. Heute reicht die A7 von der dänischen Grenze im Norden bis nach Füssen im Süden. Ein wichtiges Verbindungsstück ist der Elbtunnel.
Der Plan einer Reichsautobahn durch Hamburg wurde schon vor dem Krieg gefasst. Die Straße sollte die „Hauptstadt der Schifffahrt“ im Westen durchqueren und die Elbe mit einer gigantischen Hängebrücke mit 160 Meter hohen Pylonen nach dem Vorbild der George-Washington-Brücke in New York überwinden. Nach dem Krieg gaben die Verkehrsplaner die Idee einer Elbhochbrücke auf und entschieden sich für den Bau eines Tunnels unter der Elbe. Die Pläne entstanden schon 1955. Der Bau wurde aber erst 1968 begonnen.
Ein wichtiger Anstoß für den Ausbau des Straßennetzes im Norden und war die Entscheidung des Internationalen Komitees aus dem Jahr 1966, die Olympischen Sommerspiele 1972 nach München und Kiel zu vergeben. Im Olympiazentrum Kiel-Schilksee fanden die Segelwettbewerbe statt. Die Verkehrsplaner erwarteten deshalb auch im Norden einen großen Ansturm von Besuchern, die sich in Kiel die Segelwettbewerbe ansehen wollten. Viele würden mit dem Auto kommen. Eine gewisse Eile beim Ausbau der Fernverkehrsstraßen war deshalb geboten.
Im Norden von Hamburg wurde als erstes Teilstück der neuen „Nordachse“, die Hamburg mit Kiel und später mit Dänemark verbinden sollte, die Strecke vom Autobahnkreuz Hamburg-Nordwest bis Schnelsen angelegt und im November 1967 freigegeben. Im Dezember 1970 reichte die A7 bis Quickborn-Heide, im Juli 1971 bis Bad Bramstedt und im August 1972 bis in die Nähe von Kiel, gerade rechtzeitig vor Beginn der Olympischen Segelwettbewerbe, die am 26. August begannen.
Im Prinzip konnte man nun also im Sommer 1972 auf deutschen Autobahnen aus dem Süden der Bundesrepublik bis ganz in den Norden fahren. Es fehlt nur noch ein Verbindungsstück: der Elbtunnel. Ende 1974 sollten die Arbeiten abgeschlossen sein. Wie aber sollte bis zur Fertigstellung des Tunnels der Fernverkehr von den südlichen Autobahnen zur neuen Nordachse und umgekehrt durch Hamburg fließen? Eine Frage, die auch deshalb schwierig zu beantworten war, weil die Hauptverkehrsadern durch die Hamburger Innenstadt zu Beginn der 1970er Jahre ohnehin schon vor dem Kollaps standen.
Die Hamburger Verkehrsplaner entwarfen nun einen Plan, den Transitverkehr unter Vermeidung der Elbnordbrücken und der Innenstadt auf Nebenstrecken und Schleichwegen durch Hamburg zu leiten – unter anderem durch schmale Straßen von Groß Borstel. Ein Teil der Straßen musste dafür verbreitert und ausgebaut werden.
Aus Süden kommend sollte der Durchgangsverkehr von der Autobahnanschlussstelle Moorfleet über die Andreas-Meyer-Straße, das Billbroker Industriegebiet, die Grusonstraße, über die Horner Rampe, die Rennbahnstraße, die Nordschleswiger Straße, die Habichtstraße und den Jahnring geleitet werden. Diese Strecke wurde dann zu einem Teilstück des heutigen Ring 2. Hinter der Deelböge sollte der Transitverkehr dann aber durch die Borsteler Chaussee geführt werden, die kurz zuvor ohnehin schon verbreitert worden war. Da der Durchbruch zur Papenreye damals noch nicht vorhanden war, er entstand erst 1989, sollte der Transitverkehr Richtung Norden nun seinen Weg links ab über den Warnckesweg, die Stavenhagenstraße, den Niendorfer Weg, die Groß Borsteler Straße bis hin zur mehrspurigen Kollaustraße nehmen und von dort bis zur neuen Autobahn A7.
Das Bundesverkehrsministerium hatte dem Plan 1971 bereits zugestimmt und wollte den Ausbau der der Nebenstraßen finanzieren. Der ADAC sah das Vorhaben skeptisch. Auswärtige Autofahrer würden in der verwinkelten Streckenführung die Orientierung verlieren und ein Unfall mit einem LKW würde zum Zusammenbruch des Verkehrs auf dieser Strecke führen, argumentierten die ADAC-Verkehrsexperten. Für den Ausbau der Straßen in Groß Borstel mussten auch eine Reihe von Bäumen des alten Baumbestandes gefällt werden. In Groß Borstel regte sich gegen die Pläne heftiger Widerstand.
Die „Bürgerinitiative Groß Borstel“ ließ im Stadtteil Tausende von Flugblättern verteilen und sammelte Unterschriften. Als Gegenvorschlag brachte man eine Durchleitung des Transitverkehrs durch das Nedderfeld in die Diskussion.
Die Hamburger Baubehörde verfolgte ungeachtet der Anwohnerproteste jedoch ihren Plan und fing im Oktober 1971 an, als Vorbereitung für die Verbreiterung der Straße die ersten Bäume am Straßenrand der Groß Borsteler Straße zu fällen. Dank der heftigen Proteste gegen die Baumaßnahmen konnten aber 18 Bäume vor dem Kahlschlag gerettet werden.
Im Oktober 1971 kam es schließlich zu einem Gespräch zwischen Vertretern von Groß Borstel mit den Hamburger Parteien. Daran nahm auch der Hamburger SPD-Politiker Hans Apel teil. Hans Apel stammte aus Barmbek und war ein Politiker alter Schule, bürgernah und mit festen Grundsätzen. Er hatte eine Kaufmannslehre abgeschlossen und dann in Wirtschaftswissenschaften promoviert. 1974 wurde er unter Bundeskanzler Helmut Schmid Finanzminister, 1978 Verteidigungsminister. Groß Borstel gehörte zu seinem Wahlbezirk. In dem Treffen wurden die verschiedenen Optionen diskutiert. Gegen die von den Groß Borstelern vorgeschlagene Transitführung über das Nedderfeld sprach, dass man von der Kollaustraße nicht gut links abbiegen konnte. Hans Apel hatte dann die zündende Idee: Er schlug den Bau einer Ampelanlage an der Kreuzung vor. So kam es. Damit wurde es möglich, den Durchgangsverkehr um Groß Borstel herum durch das Nedderfeld zu leiten. Der Ausbau der kleinen Groß Borsteler Wohnstraßen wurde eingestellt. Die Anwohner dort konnten aufatmen. Der Versuch, den Elbtunnel-Ersatzverkehr durch Groß Borstel zu leiten, war allerdings nicht der letzte Angriff der Verkehrsplaner auf den Stadtteil.
André Schulz