Liebe Borstelerinnen und Borsteler,
seit fast einem Jahr sprechen wir miteinander in den Beteiligungsworkshops und Beiratssitzungen des Rise-Prozesses. Wir, das sind die Bewohner von Groß Borstel einerseits und die Vertreter von Fachbehörden und steg Hamburg andererseits. Diese haben den Auftrag, den Prozess nach der Mechanik abzuarbeiten und zu managen, die allen Rise-Prozessen vorgegeben ist: Das heißt, es müssen eine bestimmte Menge an Beteiligungsveranstaltungen mit den jeweiligen Stadtteilbewohnern durchgeführt werden und Berichte (Integriertes Entwicklungskonzept) über den Prozess und die vorgeschlagenen Projekte an die übergeordnete Stadtentwicklungsbehörde, die Träger öffentlicher Belange (Müllabfuhr, Feuerwehr, Grünamt, Polizei, HVV etc.), die Bezirksversammlung und wen-auch-immer zur Abstimmung vorgelegt werden.
Wir Bürger durften die Probleme und unsere Wünsche und Vorschläge für Groß Borstel 2018 in einem Workshop mit ungefähr 100 Menschen äußern. In diesem Jahr, durch die Corona-Einschränkungen, gab es ausschließlich Video-Konferenzen, in denen wir uns beteiligen konnten. Dies ist für viele Menschen eine große Hürde und generell für einen echten kreativen Prozess, in dem jeder seine Ideen und Bedürfnisse im Stadtteil äußern soll, denkbar ungeeignet. Eine offene Diskussion wird so sehr erschwert, und die Moderatoren eines solchen Formats wurden häufig in einer dominanten und frontal informierenden Rolle erlebt.
Zuletzt gab es viel Unmut, der den Borsteler Boten und den Kommunalverein auf vielfältige Weise erreichte. Man fühlt sich nicht ausreichend beteiligt, nicht ernst genommen mit den eigenen Vorschlägen, oft abgewürgt und belehrend behandelt. Es wird geargwöhnt, dass viele Entscheidungen schon in den Fachbehörden gefallen sind und dass die Beteiligungsformate nur die vorgegeben Maßgaben erfüllen, aber dass man die dort artikulierten Bedürfnisse der Bürger als störend und unangemessen wegmoderiert.
Prägnantes Beispiel ist der sogenannte Marktplatz am Brödermannsweg, der die meiste Aufmerksamkeit und Diskussion bisher auslöste. Mit allen Mitteln wird versucht, diesen Platz als ungeeignet darzustellen und dafür die Straße vor Edeka, den Platz vor dem Ärztehaus Borsteler Chaussee 102 oder auf dem Kirchengelände zu pushen mit dem Argument, dass die Marktbeschicker lieber und besser an der Borsteler Chaussee angesiedelt werden sollen.
Und hier ist ein Punkt, an dem wir aneinander vorbeireden: Den offiziellen Vertretern geht es darum, die Marktstände einmal die Woche im neu gestalteten „Zentrum“ von Groß Borstel unterzubringen. Das Zentrum mit guter Aufenthaltsqualität soll die Kreuzung Borsteler Chaussee / Brödermannsweg werden. Ist es sicher, dass es eine echte Reduzierung des Durchgangsverkehrs geben wird und die Borsteler Chaussee zu einem freundlichen Ort mutiert, an dem man sich gern aufhält?
Wir Borsteler – pardon, aber wir wohnen und leben hier! – wollen nicht nur einmal die Woche die Marktstände an einen anderen Ort bringen. Wir brauchen endlich gute Orte, wo wir uns treffen können. Wir haben ein wunderschönes Stavenhagenhaus mit einem herrlichen Parkgrundstück, welches seit Jahrzehnten vom normalen Borsteler nur betreten werden darf, wenn dort eine offizielle Veranstaltung stattfindet. Können wir wirklich darauf hoffen, dass es mit Rise ein offenes Haus wird, ein Treffpunkt für uns alle, oder wird es nur ein Kulturzentrum, wo man ab und zu einem Konzert, einer Lesung lauschen darf?
Wir haben einen Platz im Brödermannsweg, umgeben vom schönen Kitagelände, den beiden Schulen, dem Sportplatz mit Gastronomie und 200 m vom „Zentrum“. Hier soll etwas Schönes entstehen! Nicht bloß ein paar Bänke oder ein Spielgerät. Jeder, der die Länder im Süden liebt, weiß, was es dazu braucht: Ein Platz, auf dem man sich gerne trifft und klönt und wo an Markttagen Leben ist, aber auch unter der Woche vielleicht ein, zwei Foodtrucks stehen, die Crêpes, Eis, Espresso, Hot Dogs … verkaufen.
Rise wurde für Groß Borstel beantragt, um die Menge an Neubewohnern aus dem Tarpenbeker Ufer und demnächst Petersen Park in den Stadtteil zu integrieren. Integrieren heißt, dass Menschen sich kennen, sich treffen. Zwanglos, nicht nur bei gezielten Veranstaltungen. Die Kinder aus der Kita, aus der Schule, vom Sport abholen und zusammen mit anderen Eltern einen Kaffee trinken, während die Kinder spielen und mit ihren Rollern herrumfahren. Mit unseren neuen Nachbarn vom Tarpenbeker Ufer ins Gespräch kommen – gerade dort haben viele Menschen die Idee des Marktplatzes begeistert aufgenommen, der Neu- und Alt-Borstel perfekt verbindet.
Schulbau Hamburg hat fast zehn Jahre verschlafen, dass die Carl-Götze-Schule den Bedarf aus den Neubaugebieten nicht aufnehmen kann. Warum haben sie nun den Vorrang, die Baumaterialien für den Schulbau jahrelang auf dem von uns gewünschten Marktplatz zu deponieren und damit jede Entwicklung des Platzes zu boykottieren? Wer sagt uns, dass nach den Jahren noch der Wille und das Geld vorhanden ist, um dort einen schönen Treffpunkt für uns zu schaffen? Ich befürchte, dass auf diese Weise das Projekt – leider, leider, es ist kein Geld mehr vorhanden! – verhindert wird.
Auf der Mitgliederversammlung am 13. Oktober wurde angeregt, gemeinsam Vorschläge zu erarbeiten, wie wir Bürger mit den Managern des Rise-Prozesses wieder in einen gleichberechtigten Dialog kommen. Dies wollen wir auf der Versammlung des Kommunalvereins am 10. November 2021 in der Kirche St. Peter tun.
RISE heißt: Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung. Es heißt nicht, nur neue Gehwege, Radwege und Straßengestaltung umzusetzen. Es ist für die Menschen gedacht, damit sie besser zusammenleben können. Wäre das ein Ansatz für die weitere Diskussion, damit wir nicht aneinander vorbeireden?
Herzlich, Ihre Ulrike Zeising