Neustart bei Fleischerei Günther
Betrieb zieht in die Papenreye
„Ich bin seit vierzig Jahren in Groß Borstel“, Fleischermeister Stefan Günther muss schlucken, als er von seiner Entscheidung berichtet. „Die Umzugsentscheidung ist mir wirklich nicht leichtgefallen, das können Sie mir glauben!“ 1981 hatte Stefan Günther bei Fleischermeister Hans Uhrlau in dessen seit 1862 existierenden Betrieb die Lehre begonnen, 1988 die Meisterprüfung abgelegt und zwei Jahre darauf den Betrieb von Hans Uhrlau übernommen.
„Ich bin der Familie Uhrlau außerordentlich dankbar, dass sie alle die Jahre zu mir gestanden haben und mir meine Arbeit und meinen Beruf hier ermöglicht haben.“ Stefan Günther hat nach wie vor ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Vermietern. „Allerdings mussten wir unabhängig vom Mietvertrag einige Entscheidungen treffen, die die Zukunftsfähigkeit des Betriebs verbessern sollen.“ Die alten Räume waren zu klein, im hinteren Bereich auch sehr verwinkelt. Die Investitionen, die aufgrund neuer Vorschriften innerhalb der nächsten drei Jahre getätigt werden müssten, wären immens gewesen. Und größer wäre die Verkaufsfläche dann auch nicht geworden.
Die Fleischerei Günther verkauft neben dem sehr erfolgreich laufenden Fleischereigeschäft allein beim Mittagstisch täglich 300 Essen. „Die Leute kommen nicht nur aus der unmittelbaren Nachbarschaft, sie kommen von der Lufthansawerft, von Otto Wulff, die nehmen teilweise weite Wege in Kauf, auch um mal etwas Anderes zu essen.“
Etwas Anderes – das ist, was die Fleischerei Günther besonders macht. Sie arbeiten beispielsweise mit einer Schweinezüchterin in Haselau (Wedeler Marsch), die sich dem Tierwohl verpflichtet fühlt.
Günther: „Mein Kompagnon Christian Döhler und ich sind dort immer wieder, sehen die Ferkel aufwachsen und im Stroh herumtoben, und wenn dann 120 Kilo später so ein Tier geschlachtet wird, dann sorge ich auch aus Respekt vor der Natur dafür, dass das Tier komplett bei uns verwertet wird.“ Man schmeckt den Unterschied. Tiere, die glücklich gelebt haben, die sich bewegen können, liefern ein anderes Fleisch als industriell hergestellte Ware.
Ebenso verfährt die Fleischerei Günther bei den Galloway-Rindern, die in der Nähe von Glücksburg an der Flensburger Förde frei aufwachsen, und wenn sie geschlachtet werden, keinen langen Transport im Viehlaster zum allergünstigsten Schlachtbetrieb über sich ergehen lassen müssen. Der Schlachtbetrieb für Günthers Rinder ist gerade einmal zwölf Kilometer von der Weide entfernt. Das Tier erlebt deutlich weniger Stress, die Fleischqualität ist entsprechend besser.
„Und was ist neu beim Neustart?“, fragen wir den Fleischermeister. „Wir bauen auf 400 Quadratmetern in der Papenreye direkt neben Staples eine gläserne Fleischerei. Die Kunden haben mehr Platz im Laden, wir haben allein 35 Sitzplätze für den Mittagstisch, und hinter dem Tresen können sie die Produktion live sehen, die nur mit einer Glaswand vom Verkaufsbereich getrennt ist.“ Zudem soll es Außenplätze geben, für schönes Wetter in coronafreien Zeiten.
Für die Stammkunden, die den weiten Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad nicht zurücklegen können, und die auch kein Auto haben, will die Fleischerei Günther einen Lieferdienst mit zwei Elektrorollern organisieren.
Groß Borstels Zentrum verliert damit einen weiteren stark frequentierten Laden. Stefan Günther will seinen Kundenstamm natürlich behalten, ein Teil wird den weiten Weg jedoch scheuen. Und sicher wird sich auch in Niendorf rumsprechen, dass sich an der Papenreye einer von Hamburgs besten Fleischereibetrieben niedergelassen hat.
„Schon 2007 mussten wir unsere Produktion am Standort Borsteler Bogen einstellen und in eine befreundete Schlachterei auslagern. Es hatte einfach zu viele Beschwerden gegeben.“ Immer häufiger wenden sich Mieter an die Behörden oder drohen gar mit Gerichtsverfahren, wenn Bäckereien (Hönig), Konditoreien (Horn) oder eben Fleischereibetriebe (Günther) in der Nähe von Wohnungen angesiedelt sind. Die Arbeit beginnt sehr früh, es gibt Lärm durch Lieferungen, die abgeladen werden müssen. Die Anforderungen an Schall- und sonstigen Immissionsschutz sind erheblich. Auch am neuen Standort musste die Fleischerei mit einem Schallschutzgutachten nachweisen, dass vom Betrieb in der Nacht nicht mehr als 35 dB(A) Lärm emittiert werden – nahe der Einflugschneise des Flughafens!
Die Stadt der Viertelstunde, die Anne Hidalgo in Paris verwirklichen will, die Stadt, in der Einkauf, Arbeit, Freizeitstätten innerhalb einer viertel Stunde fußläufig erreicht werden können, ist so natürlich nicht in Groß Borstel zu verwirklichen. Die Bezirke in Hamburg erhöhen die Daumenschrauben für Gewerbetreibende mit Auflagen und beobachten gleichzeitig verwundert den Fortzug von Einzelhandel und Gewerbe aus den Stadtteilen. Anwohner beschweren sich wegen jeder gefühlten Kleinigkeit. Auch wenn sie nicht im Recht sind: Den Gewerbebetrieb nervt die zunehmende Unsicherheit in Wohn-Mischgebieten.
Die Bezirke haben zwar eine Richtlinie erlassen, nach der zur Zentrumsstärkung der Stadtteile die Ansiedlung von Supermärkten an den Stadtteilrändern unzulässig ist. Ein Abwandern von Kleingewerbe verhindert diese Richtlinie nicht. Und auch unser eigenes Verhalten sollten wir grundlegend überdenken, wenn wir über die Zentrumsstärkung und die Ansiedlung neuer Betriebe in Groß Borstel nachdenken.
Sehen wir es mal positiv: Fleischer Günther hat am neuen Standort seine eigene Produktion wieder. Seine spezielle, auf Qualität ausgerichtete Philosophie wird uns erhalten bleiben und das mit einem verbreiterten Sortiment. Vielleicht gelingt es ihm, wenn der Wochenmarkt in Groß Borstel tatsächlich vergrößert wird, einen Marktstand im Zentrum bei Junge oder im Brödermannsweg zu betreiben, wenn der Wochenmarkt dahin verlegt wird.
Und wenn wir googlen und es genau nehmen, wie weit es denn nun wirklich ist: Von Junge bis zum gegenwärtigen Standort im Borsteler Bogen sind es zu Fuß 7 Minuten, zum neuen Standort dann eben 22 Minuten. Also eine viertel Stunde länger.
Uwe Schröder