Persönlich gesehen

Mehria Ashuftah, 36

Sie kam kurz vor der Wende, also 1989 aus Afghanistan mit ihren Eltern nach Groß Borstel in die Erstaufnahmeunterkunft in der Sportallee. An Afghanistan hat sie keine Erinnerung, aber an den kaputten Fernseher in der Flüchtlingsunterkunft. Die Kinder saßen vor dem Fernseher, dessen Bild ausgefallen war, und sie hörten Schneewittchen, nur den Ton. „Spieglein, Spieglein“ waren die ersten Wörter, die sie in Deutsch sprechen konnte. Mehria Ashuftahs Eltern lebten zunächst in bitterer Armut. Aman Ashuftah, ihr Vater, unternahm alles, um arbeiten zu können. Zunächst trug er Zeitungen für den Borsteler Boten aus. Traute Matthes, die damalige Verlegerin, hatte engen Kontakt zur Familie Ashuftah. Die Ashuftahs wurden hin und wieder zum Kaffeetrinken in das Haus von Traute Matthes eingeladen. Dort lernten sie viel über die deutsche Sprache und die deutsche Kultur und Lebensart. Aman Ashuftah prägte sich jeden Tag drei neue Vokabeln ein, notierte sie säuberlich in sein Vokabelheft. Schnell wurde der gelernte Flugzeugingenieur selbstständiger Taxiunternehmer. Acht Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland konnte er ein Haus in Langenhorn bauen, in dem die Familie bis heute lebt.

Die Großeltern von Mehria Ashuftah, die später nach Deutschland übersiedelten, lebten in Jenfeld. In der Wohnung hing ein Bild mit einer Frau in einer schwarzen Robe. Die kleine Mehria fragte den Großvater: „Was ist das für eine Frau, die so streng blickt? Warum hast du dieses Bild an der Wand?“ Der Großvater antwortete: „Du wirst dich an sie nicht erinnern. Es ist Deine Tante.“ – „Und warum hat sie so ein schwarzes Kleid an?“ – „Sie ist Anwältin und Dozentin an der Uni in Kabul. Und eine Anwältin trägt so eine Robe.“

Am nächsten Morgen, einem Montag, berichteten die Kinder in der Carl-Götze-Schule im Stuhlkreis von ihren Erlebnissen. Mehria hatte endlich auch etwas Schönes zu berichten, und sie erzählte – noch in nicht perfektem Deutsch – die Geschichte von dem Bild an der Wand im Wohnzimmer des Großvaters. „Und das will ich auch einmal werden, Anwältin und Dozentin an der Uni!“

Die Reaktion war, wie oft: die Mitschüler lachten Mehria wegen ihrer Sprache aus. Was jedoch besonders schmerzte: Auch die Lehrerin lachte. Sie traute es der jungen Afghanin nicht zu, dass sie einmal Jura studieren würde.

„Warum bist du so traurig“, fragte der Großvater. „Die Lehrerin hat mich ausgelacht, als ich sagte, ich will Anwältin und Dozentin werden, wie meine Tante, auf die du so stolz bist.“ Der Großvater nahm die kleine Mehria an die Hand, ging in das nahegelegene Einkaufszentrum zum Fotografen und ließ ein kleines Foto von Mehria machen. Das Foto klebte er in die untere rechte Ecke des Bildes von der Tante. Und er sagte: „Wir werden jedes Jahr ein Foto von dir machen, bis ich eins von dir in einer schwarzen Robe habe – wie bei deiner Tante.“

Mehria Ashuftah ist heute 36 Jahre alt, hat ihr Jura-Studium abgeschlossen, unterrichtet an der juristischen Fakultät in Hamburg und am Institut für transkulturelle Kompetenz (ITK) für die Akademie der Polizei Hamburg. Mehria Ashuftah arbeitete als Rechtsanwältin, zurzeit in dem 1845 gegründeten internationalen Beratungsunternehmen Deloitte. Ihr Schwerpunkt ist Integration und Migration, das ist auch der Schwerpunkt ihrer Parteiarbeit. Mehria Ashuftah ist vor vierzehn Jahren in die SPD eingetreten und dort ist sie in der Arbeitsgruppe des Landesvorstands und im Bundesvorstand ebenfalls anerkannte Expertin für Integration und Migration. Sie arbeitet als Referentin bei der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) und ist Mitgründerin und Leiterin des Know Your Rights Teams der  der Refugee Law Clinic, die Migranten in rechtlichen Informationskursen bilingual informiert.

Ihre später in Deutschland geborenen Geschwister konnten ebenfalls studieren; der Bruder ist Informatiker, die Schwester Biologin.

Seit Anfang des Jahres ist Mehria Ashuftah Vorsitzende des SPD-Distrikts Groß Borstel. Herzlichen Glückwunsch, das ist eine gute Wahl. Auf die Frage, was sie in Groß Borstel verändern möchte, nennt sie an erster Stelle das Café im Stavenhagenhaus. „Das Café muss schnell wieder eröffnet werden.“ Zusätzlich nennt sie Rise, Verkehr, Geschäftsleben und nicht zuletzt Integration und Migration. Wir wünschen Mehria Ashuftah weiterhin viel Erfolg!

Text, Foto: Uwe Schröder