UND, WIE LEBT ES SICH IM TARPENBEKER UFER?
DREI BEWOHNERINNEN BERICHTEN
Linda Dahlinger, Tamara Hess und Christiane Thon wohnen im Tarpenbeker Ufer und berichteten Anfang Dezember im Regionalausschuss der Bezirksversammlung und im Begleitgremium über Probleme am Tarpenbeker Ufer. Der Bote wollte wissen, welche Probleme in den Gremien dargestellt wurden und hat die Drei daraufhin zu einem Interview über die Wohnsituation eingeladen.
Doch zunächst, damit kein schiefes Bild entsteht, äußerten sich alle drei sehr zufrieden mit dem Wohnen im Tarpenbeker Ufer. „Es ist unser kleines Dorf“, meldet sich Tamara Hess. „Die Kinder lieben das. Es ist abgeschlossen und geschützt.“ Sie hat zwei Kinder, der Sohn ist fünf Jahre alt, die Tochter zwölf. Die drei jungen Mütter berichten von einem wirklich tollen Gemeinschaftsgefühl.
Die anfängliche Skepsis zwischen Eigentumswohnungsbesitzern und Sozialwohnungsmietern ist inzwischen nicht mehr vorhanden. Die drei Baufelder scheinen im besten Sinne sozial gut durchmischt zu sein. Die Bewohner haben viel Kontakt untereinander, besonders natürlich über die Kinder. Die rennen durch die Innenhöfe, fühlen sich sicher, besuchen wie selbstverständlich Nachbarkinder, klopfen an und fragen: „Kommst du mit raus zum Spielen?“ Mütter können Nachbarn fragen, ob die mal eben auf die Kinder aufpassen können, wenn sie kurz zum Einkaufen fahren wollen. Denn das ist manchmal gar nicht so einfach in Groß Borstel, sagen die Drei.
Es fehlen Läden mit frischem Angebot. Käse, Fisch, Fleisch, Obst. Rewe ist recht weit weg, und Gerüchte gehen um, der Mietvertrag mit Rewe laufe aus und Lidl stünde auf der Lauer. Dann hätten wir keinen Laden mehr mit Frischetheken, meinen die Drei einhellig. Ein Lichtblick sei Groß Borstels kleiner Wochenmarkt am Donnerstag, der aber für Berufstätige kaum zu erreichen ist.
Kommt die Sprache auf die Baufirma, äußern sich die drei jungen Frauen ebenfalls positiv über Otto Wulff. Und besonders, das heben sie hervor, sind die beiden Quartiersmanagerinnen vom Tarpenbeker Ufer, Eyleen Urban und Sabrina Winterberg, zu loben. „Die geben sich echt viel Mühe“, sagen sie. „Zum Beispiel mit dem Laternebasteln und dem Laternenumzug im November in der Kirche St. Peter, der auch noch durchs Tarpenbeker Ufer führte.“
Was auch geglückt zu sein scheint: Die Bewohner fühlen sich zu Groß Borstel gehörig. „Wir sind Groß Borsteler, eindeutig“, meint Christiane Thon. „Aber klar, noch mehr definieren wir uns über das Tarpenbeker Ufer.“
So weit, so gut. Es ist aber nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Was fehlt, ist die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Viele Familien haben sich wegen der fehlenden Anbindung ein oder gar zwei Autos gekauft. Freie Parkplätze sind abends kaum zu bekommen. Es wird sogar im Wendehammer, also im Halteverbot, am Ende der Gert-Marcus-Straße geparkt. Tiefgaragenplätze sind angeblich ausgebucht. Und im nächsten Jahr sollen drei weitere Baufelder bezugsfertig werden. Besser wird’s also nicht.
Ganz große Probleme bereitet die ungeklärte Schulsituation. Christiane Thon: „Ich bin hierhergezogen, gerade wegen der Nähe zur Carl-Götze-Schule.“ Die jedoch platzt jetzt schon aus allen Nähten. Die Abteilung Schulbau der Schulbehörde hat offensichtlich viel zu spät angefangen, die Schulen baulich vorzubereiten für die sich schon seit Jahren abzeichnenden steigenden Anmeldezahlen durch die Neubaugebiete.
Barbara Blunck, die engagierte Schulleiterin der Carl-Götze-Schule, hat ihre Behörde frühzeitig auf die zu erwartende Schülerschwemme vorbereitet. Im Bebauungsplanverfahren wurden die Behörden detailliert informiert, bevor der Plan von der Bezirksversammlung beschlossen wurde. Man hätte also genügend Zeit gehabt, die Schule zu erweitern. Jetzt sind die Häuser fertig, und der Ausbau der Schule hat noch nicht einmal begonnen.
Folge: Die Viereinhalbjährigen werden neuerdings zum Schulreifetest in die Marie-Beschütz-Schule eingeladen – in die Erikastraße! Das sind vom Tarpenbeker Ufer im günstigen Fall über zwei Kilometer gesundheitsgefährdender Fußweg entlang der Tarpenbekstraße, mit 70 000 Autos täglich eine von Hamburgs am stärksten befahrenen Straßen. Laut, voller Abgase. Unzumutbar. Zu Fuß von den Kleinen unmöglich zu schaffen. Öffentliche Verkehrsmittel? Fehlanzeige.
Die Befürchtung: Wenn die Carl-Götze-Schule nicht rechtzeitig mit der Erweiterung der Gebäude fertig wird, müssen die Kleinen in die Marie-Beschütz-Schule.
Zwar wird von der Behörde beteuert, es werde eine Lösung geben. Notfalls mit Containern. Aber richtig glauben können es die Eltern nicht. Entscheidend für die Schulzuweisung sind drei Faktoren: die Sprachreife des Kindes, ob Geschwisterkinder zu der Schule gehen und die Nähe des Wohnortes.
Dummerweise hat die Schulbehörde den Anni-Glissmann-Weg zwei verschiedenen Schulbezirken zugewiesen: Nur die Hälfte des Weges gehört zur Carl-Götze-Schule. Anmelden kann man sich natürlich überall. Es herrscht theoretisch sogar Wahlfreiheit in Hamburg. Wie die Schule dann entscheidet, ob sie überfüllt ist oder nicht, das sollen die Schüler und die Eltern abwarten?
Das hier ist Hamburg und nicht Absurdistan. Also liebe Carl-Götze-Schule, liebe Barbara Blunck! Macht doch mal eine Info-Veranstaltung für die verunsicherten jungen Eltern im Tarpenbeker Ufer. Ladet Behördenvertreter ein und redet mal Tacheles mit denen. Mal sehen, ob dann Klartext kommt, sprich eine Garantie für die Kinder: Wer im Tarpenbeker Ufer wohnt und schulpflichtig wird, darf in die nahe gelegene Carl-Götze-Schule. Wohin denn sonst bitteschön?
Die Carl-Götze-Schule liegt bekanntlich gleich gegenüber dem Tarpenbeker Ufer, nur den kurzen Anni-Glissmann-Weg entlang und dann über den Brödermannsweg. Übrigens, auch das ist eine Gefahrenstelle, weil die Autos viel zu schnell über den extra leicht erhöhten Überweg fahren. Hier wäre ein Zebrastreifen auf dem Übergang mit heller Beleuchtung dringend notwendig. Geht woanders doch auch.
Stichwort Beleuchtung. Auch die ist klasse im Tarpenbeker Ufer und auch am Anni-Glissmann-Weg. Aber der Weg im Kleingartenverein und auch der Tarpenbek-Wanderweg ist super schlecht bis gar nicht beleuchtet. Idealer Drehort für Gruselgeschichten. Das soll dann der Schulweg sein?
Tamara Hess hat es ihrer 12-jährigen Tochter untersagt, den Schulweg zum Heilwig-Gymnasium durch das finstere Kleingartengebiet zu nehmen. Der Tarpenbek-Wanderweg ist ebenfalls keine Alternative. Auf dem engen Weg hat man die Wahl: Es kommen entweder rücksichtslose Radfahrer (auch zu schnell) oder dunkle Gestalten entgegen. Das wünscht man sich nicht und frau schon gar nicht.
Es ist ein Armutszeugnis und tragisch für eine reiche Stadt, wenn sie ein riesiges Wohngebiet plant und bauen lässt, jedoch die Wegebeziehungen vernachlässigt, die Schulen nicht rechtzeitig fertigstellt, den öffentlichen Nahverkehr einfach nicht mit einplant und dann auch noch völlig überfordert ist, ein paar Lampen aufzustellen.
Uwe Schröder