Vögel in Groß Borstel
Der Sperber
Noch vor wenigen Jahrzehnten war dieser kleine Greif ein reiner Waldbewohner – heute ist der Sperber (Accipiter nersus) auch in unseren Parks und Gärten anzutreffen. Er gehört in der Ordnung der Greifvögel (Accipitriformes) zur Familie der Habichtartigen (Accipitridae) und hier zur Gattung der Habichte und Sperber (Accipiter).
Der Name des Sperbers ist aus zwei althochdeutschen Substantiven entstanden: sparo (Sperling) und aro (Aar, Adler). Das althochdeutsche „spar(a)wäri“ und daraus das mittelhochdeutsche „sparwaere“, „sperwaere“ und „sperbaere“ benennt also eigentlich einen „Sperlingsadler“, sozusagen einen „Kleinen Adler“.
Sperberweibchen erreichen mit ihrer Körperlänge von 35 bis 41 cm und ihrer Flügelspannweite von 67 bis 80 cm fast die Größe von Habichtmännchen. Sperbermännchen sind mit einer Körperlänge von 29 bis 34 cm und einer Flügelspannweite von 58 bis 65 cm erheblich kleiner. Auch hinsichtlich der Färbung bestehen deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Erwachsene Sperbermännchen sind auf der Körperoberseite graublau, die Unterseite ist weißlich und fein quer gebändert, wobei beim Männchen diese Bänderung eine mehr oder weniger ausgeprägte braunrote bis orangerote Färbung aufweist. In manchen Fällen ist sogar der Hals orangerot. Weibchen zeigen sich weniger farbenprächtig: Sie sind auf der Körperoberseite braun, die Bänderung an der Unterseite ist meist nicht oder nur sehr gering rotbräunlich eingefärbt. Im Jugendkleid ist die Rückenfärbung der Sperber scheckig und die Brust weist eine noch grobe, fleckige Bänderung auf.
Die Flügel der Sperber sind relativ kurz, breit und an den Spitzen abgerundet. Der Schwanz ist verhältnismäßig lang und schmal. Diese Merkmale verleihen den Sperbern eine hohe Wendigkeit auf engem Raum. Das macht sie zu Spezialisten für die Singvogeljagd, was auch die Beine und Zehen dokumentieren: Die Beine sind sehr dünn und recht lang, die Mittelzehe ist stark verlängert. Alle Zehen haben sehr lange und spitze Krallen und verfügen zudem über ausgeprägte Haltebeeren, die beim Greifen ein lückenloses Schließen ermöglichen und so selbst einzelne Federn festhalten können. Die Beine des Vogels und die Wachshaut des Schnabels sind gelb. Der Schnabel zeigt sich schwarz, an der Basis blaugrau. Die Iris der Weibchen ist dunkelgelb, die der Männchen eher orange.
Sperber kommen mit Ausnahme von Island in ganz Europa vor. Hinsichtlich ihrer Häufigkeit stehen sie nach dem Mäusebussard auf Platz zwei. Je nach geografischer Lage sind Sperber Standvögel oder Teilzieher. Vollständig im Winter verlassen werden jedoch nur das mittlere und nördliche Skandinavien sowie Russland. Aus Mitteleuropa zieht nur ein geringer Teil vor allem der diesjährigen Sperber von September bis November in Richtung Südwesten. Der Heimzug beginnt Ende Februar und dauert mit Schwerpunkt März bis Anfang Mai.
Sperber brüten bevorzugt in zwanzig bis vierzig Jahre alten Nadelgehölzen mit möglichst hoher Baumdichte, die genügend Sichtschutz bieten. Dementsprechend ist auch in Hamburg der Lebensraum des Vogels gekennzeichnet durch gehölzdominierte Strukturen wie Wälder, Birkenbruchwälder, Grünanlagen und Gärten mit vielen Bäumen. Während Anfang der 1980er-Jahre der Bestand an Sperbern in Hamburg mit 10 bis 12 Brutpaaren angegeben wurde, beträgt er heute zwischen 80 und 100 Brutpaaren. Der Bestand wird allerdings zunehmend durch die wachsende Anzahl an konkurrierenden Habichten in unserem Stadtstaat gefährdet.
Sperber jagen ihre Beutetiere – überwiegend kleine Vögel bis zur Größe von Tauben – in bodennahem Flug oder von einem versteckten Ansitz aus in einer kurzen, schnellen Verfolgung entweder in Bodennähe oder auch durch alle Vegetationsschichten bis in die Baumkronen. Dabei sind sie äußerst wendig, können die Flugrichtung fast im 90-Grad-Winkel ändern und sich in der Luft um bis zu 180 Grad drehen. Diese Verfolgungen – auch in Sträucher, Hecken und sogar Gebäude hinein – gehen so blitzschnell vonstatten, dass das menschliche Auge sie kaum erfassen kann. Die Beutetiere werden mit den Fängen gegriffen und die Krallen so lange tief in die Beute gebohrt, bis diese sich nicht mehr bewegt. Zusammen mit seinen relativ langen Beinen ermöglicht diese Jagd- und Tötungsmethode dem Sperber das Fangen von vergleichsweise großen und wehrhaften Beutetieren, zu denen neben hauptsächlich Vögeln auch Mäuse, Fledermäuse und kleine Reptilien gehören.
Männchen erbeuten Vögel bis maximal Amselgröße, Weibchen können Vögel bis zur Größe von Eichelhähern und sogar Tauben schlagen.
Insbesondere im Winter sind Sperber auch in unseren Gärten zu beobachten, wie sie in der Nähe von Vogelfutterhäusern versteckt lauernd auf Beutevögel warten. Manchmal ist beobachtet worden, dass sie bei der Jagd sogar durch diese Futterhäuser hindurch fliegen.
Sperber sind im zweiten Kalenderjahr geschlechtsreif. Während der Fortpflanzungszeit führen die Vögel in der Regel eine monogame Saisonehe. Nur jetzt, im Brutrevier, hört man ihre kurzen, schnellen Kontaktrufe. Dabei sind die Sperber allerdings so zurückhaltend, dass sie nicht weiter als 50 Meter zu hören sind. Gegenüber in das Revier eindringenden fremden Vögeln zeigen Sperber einen „Ausdrucksflug“, indem sie mit langsamen, aber kräftigen Flügelschlägen über das Nest fliegen.
Während der schon im Winter beginnenden Balz kreisen beide Vögel über dem Brutrevier, um dann nacheinander im Sturzflug zu landen. Zur Paarbildung und -bindung gehören regelmäßige Beuteübergaben des Männchens an das Weibchen – entweder an einem Übergabeplatz oder in der Luft.
Als Brutplatz bevorzugen Sperber Nadelholzbestände, wo diese nicht vorhanden sind, weichen sie auf dichtes Laubholz aus. Das relativ flache Nest wird meist Anfang April aus trockenen, unbelaubten Zweigen mit Rindenstücken in der Mulde gebaut und hat einen Durchmesser von etwa 60 cm sowie eine Höhe von etwa 20 cm. Das Gelege besteht meist aus vier bis sechs Eiern, die recht rundlich und auf weißem Grund mehr oder weniger ausgeprägt bräunlich gefleckt sind. Sowohl während der 33 bis 35 Tage dauernden und nahezu ausschließlich vom Weibchen geleisteten Brut als auch während der ersten Nestlingszeit sorgt das Männchen für die Nahrungsbeschaffung. Das Futter wird an einem weniger als 50 Meter vom Nest entfernten Rupf- und Übergabeplatz vom Männchen an das Weibchen übergeben, das dann die Jungvögel füttert. Dieser Übergabeplatz ist durch die Vielzahl der herumliegenden Federn der gerupften Beutetiere auffälliger als der Nistplatz selbst.
Die Jungen bleiben etwa 30 Tage im Nest, können aber schon ab etwa dem 25. Tag bei Gefahr abfliegen. Noch zwei bis drei Wochen halten sie sich dann in der Umgebung auf und werden dort von den Eltern gefüttert.
Insbesondere die Jungvögel, aber durchaus auch brütende Altvögel, werden mitunter von Habichten, seltener von Waldkäuzen oder Baummardern erbeutet.
Sperber wurden ungefähr ab Mitte des 19. Jahrhunderts als „Niederwildschädlinge“ und auch zum „Schutz der Singvögel“ intensiv bejagt. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts zahlte sogar der „Deutsche Bund für Vogelschutz“ Abschussprämien! Dennoch war der Bestand zu der Zeit nie gefährdet. Erst ab etwa 1955 brachen die Bestände großflächig in West- und Mitteleuropa ein, verursacht durch Vergiftung mit dem Pestizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), das sich in der Nahrungskette Insekten – Singvögel – Sperber stark anreicherte und zu massiver Beeinträchtigung der Fortpflanzung führte. Auch das als Pestizid eingesetzte Dieldrin spielte in diesem Prozess eine erhebliche Rolle. Beide Pestizide verursachten ab 1955 das völlige Verschwinden des Sperbers im landwirtschaftlich genutzten Flachland. Mit dem schrittweisen Verbot des DDT in Westeuropa ab 1972 (in der DDR ab Mitte der 1980er-Jahre) erholten sich die Bestände schließlich. Sperber können bis zu 15 Jahre alt werden, ihr Bestand gilt heute in Mitteleuropa als nicht gefährdet.
In der Kultur ist über Sperber wenig zu finden.
In dem Lied „Der Sperber“ (Melodie: Thomas Denig, *1958, Text: Gabriele Böttcher, *1956) wird der Ritt eines Falkners mit einem Sperber auf behandschuhter Hand beschrieben: Der Mann löst die Kappe und das Band, lässt den Sperber fliegen und hofft, dass dieser einst aus weitem Land zurückkehrt.
Wesentlich bekannter ist das Kinderlied „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“, in dem auch dem Sperber eine Rolle zuteil wird:
Ein Vogel wollte Hochzeit machen in dem grünen Walde … Fiderallala, fiderallala usw.
Die Drossel war der Bräutigam, die Amsel war die Braute …
Der Sperber, der Sperber, der war der Hochzeitswerber …
Text und Fotos: Michael Rudolph