Vögel in Groß Borstel
Der Kleiber
Er ist sehr ruffreudig, laut und verfügt über ein umfangreiches Repertoire – kein Wunder, dass viele den Kleiber (Sitta europaea) zuerst an seinen Rufen erkennen. Der Gesang des flinken und lebhaften Vogels besteht aus mehreren lauten unterschiedlichen Strophen, die sich meist aus einer Folge gleicher Pfeiftöne zusammensetzen, die etwas an- oder absteigen können. Auch durch sein Verhalten fällt er auf, denn was der Specht gar nicht und der Gartenbaumläufer nur gelegentlich macht, ist für den Kleiber selbstverständlich: einen Baumstamm nicht nur aufwärts sondern auch kopfüber abwärtszulaufen. Während Spechte und Baumläufer sich mit dem Schwanz abstützen und beide Füße gleichzeitig vorsetzen, klettert der Kleiber ruckartig an Stämmen und Ästen entlang, setzt einen seiner großen Füße vor und krallt sich dabei mit dem anderen an die Rinde des Baumes.
Weltweit existieren 22 Kleiber-Arten, von denen in Deutschland jedoch nur eine Art vorkommt. Der Kleiber gehört zu jenen Vogelarten unserer Wälder, deren Bestand in den letzten Jahrzehnten signifikant zugenommen hat. Aktuell schätzt man den Bestand in Deutschland auf bis zu 1 Millionen, in Hamburg auf bis zu 1800 Brutpaare. Dementsprechend gilt der Kleiber, der in Deutschland 2006 Vogel des Jahres gewesen ist, als nicht gefährdet.
Der Vogel erreicht eine Körperlänge von 12 bis 14,5 cm. Der große Kopf geht halslos in den gedrungen wirkenden Körper über. Der Schwanz ist sehr kurz, der graue Schnabel lang und spitz. Die Oberseite des Gefieders präsentiert sich graublau, die Unterseite ocker-beigebraun. Beim Männchen sind die Flanken kräftig kastanienbraun. Ein schwarzer Augenstreif reicht vom Schnabel bis zum Ansatz der Schulterfedern.
Der sehr standorttreue Kleiber besiedelt vor allem Laub- und Laubmischwälder, wobei er Baumarten mit rissiger Rinde bevorzugt. Aber auch in alten Buchenwäldern, locker bebauten, baumreichen Stadtteilen und in nahezu allen hiesigen Grünanlagen ist er anzutreffen.
Seine hauptsächlich aus Insekten sowie deren Larven und Eiern bestehende Nahrung sucht der Kleiber in Baumrinden. Im Herbst kommen Samen, Beeren und Nüsse hinzu. Größere Beutetiere, Nüsse oder Eicheln klemmt der Vogel in geeignete Baumspalten, um sie mit kräftigen Schnabelhieben zu bearbeiten. Kleiber legen Futtervorräte an und bedienen sich dabei auch gerne aus aufgestellten Futterhäusern, an denen sie im Winter regelmäßig zu beobachten sind. Hier strotzen diese sperlingsgroßen Gesellen dann vor Selbstbewusstsein: Sie machen erst einmal „Krawall“, um die konkurrierenden Meisen zu vertreiben und bedienen sich dann in Ruhe an den ausgelegten Sämereien und Nüssen.
Regional wird der Kleiber auch „Spechtmeise“ genannt, ist aber weder mit dem Specht noch mit der Meise verwandt. Kleiber sind Höhlenbrüter. Im Gegensatz zum Specht eignet sich ihr Schnabel jedoch nicht dafür, Bruthöhlen in das Baumholz zu hacken. Darum nutzen Kleiber zum Brüten vorhandene Spechthöhlen, alte Baumlöcher, Felsspalten oder aufgehängte Nistkästen. Die von den Kleibern als „Nachmieter“ genutzten Höhlen werden mit Rindenstückchen und trockenen Blättern ausgelegt. Den „Innenausbau“ übernimmt das Kleiberweibchen, das Männchen schafft lediglich das dafür nötige Material heran. Außergewöhnlich ist die Angewohnheit der Kleiber, das Einflugloch mit feuchtem Lehm auf einen Durchmesser von 29 bis 32 mm so zu verkleinern, dass Feinde keinen Zugang haben, der Vogel aber gerade noch hindurch passt. In diesem Verhalten hat auch der Name „Kleiber“ seinen Ursprung, er stammt aus dem Mittelhochdeutschen beziehungsweise Frühneuhochdeutschen (von kleiben, also verstreichen, kleben) und bezeichnete Handwerker, die Lehmwände erstellten.
Kleiberpaare finden sich meist schon im Spätsommer des Vorjahres. Sie verbringen gemeinsam den Winter, fangen Mitte März mit dem Nestbau an und haben anschließend in der Zeit von April bis Juni eine Jahresbrut, die aus sechs bis neun weißen Eiern mit rötlichen Flecken besteht. Diese werden 14 bis 17 Tage allein vom Weibchen bebrütet. Während der 24 Tage dauernden Nestlingszeit versorgen beide Elternteile die Jungen mit Nahrung, bestehend möglichst ausschließlich aus eiweißreichen Insekten, Spinnen und anderem Kleingetier. Im Alter von knapp vier Wochen sind die Jungen flügge und verlassen die schützende Nisthöhle. Noch im Juni lösen sich die Jungvögel von ihren Eltern, werden schon gegen Ende ihres ersten Lebensjahres geschlechtsreif und gehen dann – meist nur wenige Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt – auf eigene Partner- und Reviersuche. Und das, wie eingangs erwähnt, kaum überhörbar.
Text und Fotos: Michael Rudolph