Vögel in Groß Borstel
Der Austernfischer
Er zählt zu den charakteristischsten Vögeln der Nordseeküste, wo er wegen seiner dem Weißstorch ähnelnden Färbung auch scherzhaft „Halligstorch“ genannt wird: Der Austernfischer (Haematopus ostralegus), ein Vogel aus der Ordnung der Regenpfeiferartigen (Charadriiformes). In Europa ist er am häufigsten im Wattenmeer, dem angrenzenden Binnenland und an den landeinwärts führenden Flussufern anzutreffen. Sein Bestand wird in Deutschland auf über 25.000 und in Mitteleuropa auf bis zu 170.000 Brutpaare geschätzt. Austernfischer sind überwiegend Zug- aber auch Standvögel. Dabei überwintern nord- und westeuropäische Populationen in großen Ansammlungen im Wattenmeer sowie an den Küsten Westeuropas und Afrikas. So beträgt der Winterbestand in Europa um 1 Millionen Individuen. Der Vogel gilt als nicht in seinem Bestand gefährdet.
Aber gibt es auch Austernfischer in Groß Borstel? Eindeutig ja! Austernfischer haben ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Kies-Flachdächer der Wohn- und Gewerbebauten unserer Siedlungen als vor Bodenräubern sichere Brutplätze entdeckt. So ist in Groß Borstel unter anderem auf Flachdachgebäuden an der Papenreye und am Flughafenrand erfolgreich gebrütet worden. Als Ersatz für das Hauptnahrungsmittel Wattwürmer ziehen die Vögel hier Regenwürmer aus den Grasnarben, zum Beispiel in Pehmöllers Garten, auf Sportplätzen oder am Flughafenrand.
Im Hamburger Raum wurde erstmals 1977 ein dachbrütendes Austernfischerpaar festgestellt. Seit dem Ende der 80er Jahre hat die Zahl der festgestellten Dachbruten wie auch der Bodenbruten – zum Beispiel auf dem Flughafengelände – deutlich zugenommen. Insgesamt gibt es in Hamburg zurzeit mindestens 150 Austernfischer – Brutreviere.
Austernfischer weisen eine Körperlänge von bis zu 44 cm und eine Flügelspannweite von bis zu 83 cm auf. Das Gefieder ist kontrastreich schwarz und weiß gefärbt. Unverwechselbar machen den Vogel seine roten Beine, die roten Augen und der lange rote Schnabel, der sich ideal für das Stochern nach Würmern in Watt und Grasnarbe eignet. Neben Würmern ernährt sich der Austernfischer auch von Krebsen, Muscheln, Insekten und deren Larven. Obwohl sein Name vermuten lässt, dass sein Hauptnahrungsmittel Austern seien, entspricht dies nicht der Wirklichkeit. Ausgewachsene Austern sind viel zu groß und nicht vom Austernfischer zu knacken. Dies gelingt ihm allenfalls mit noch sehr kleinen Austern. Dabei erlaubt ihm die abgeflachte Spitze seines Schnabels das Öffnen der Schalen von Muscheln sowie der Panzer von Strandkrabben. Männchen und Weibchen sehen sehr ähnlich aus und lassen sich am ehesten im direkten Vergleich an der Schnabellänge unterscheiden: Der Schnabel des Weibchens ist etwas länger als der des Männchens.
Austernfischer sind sehr singfreudig. Ihr Flug- und Kontaktruf ist ein lautes und anhaltendes „kiewiep“. Am Brutplatz erschallt häufig ein gellendes „qui qui qui qui“, das sich mitunter zu einem schrillen, auf- und abschwellenden Trillern steigert. Dieses wird auch als „Trillerzeremonie“ bezeichnet und ist besonders dann zu hören, wenn Konkurrenten zu dicht an das Brutrevier gelangen. Dabei gehen die Brutvögel – aufgeregt hohe Töne trillernd – mit gesenkten Köpfen und leicht geöffneten Schnäbeln dem Eindringling entgegen.
Zwischen März und Mai sind Balzflüge und Balz durch mit gesenkten Köpfen nebeneinander oder hintereinander herlaufende Paare zu beobachten. Die meisten Austernfischer brüten zum ersten Mal im vierten Lebensjahr. Sie sind monogam, jedoch kommt es gelegentlich zur Bigynie, also der Verpaarung eines Männchens mit zwei Weibchen. Austernfischer sind Bodenbrüter, als Neststandorte werden gerne erhöhte Sandstrände oberhalb des mittleren Tidehochwassers und im Binnenland Äcker bevorzugt. Noch wichtiger als der Neststandort ist den Vögeln ein gutes Nahrungsangebot in der Umgebung. Ist diese Voraussetzung gegeben, brüten sie auch in Sandgruben, auf Baustellen und wie schon erwähnt sogar auf Schotter-Flachdächern. Als Nest dient lediglich eine flache Mulde, die durch Drehung des Körpers in den Untergrund geformt wird. Wie bei allen Limikolen (Regenpfeiferartigen) kommt es nur zu einer Jahresbrut. Das Weibchen legt meist drei Eier, die abwechselnd von beiden Eltern 26 bis 27 Tage lang bebrütet werden.
Die Jungvögel sind Nestflüchter und werden von beiden Alttieren etwa sechs Wochen lang gefüttert. Im Binnenland entwickeln sie sich schneller und lösen sich früher von den Eltern als an der Küste. Ursache dafür ist, dass die Jungvögel der Küste einen voll entwickelten und ausgehärteten Schnabel zum Öffnen der Schalen von Muscheln, Schnecken und Krebsen benötigen. Hingegen ernähren sich die „Binnenländer“ hauptsächlich von Regenwürmern, die natürlich ohne Aufwand gleich gefressen werden können.
Auf den Färöern heißt der Austernfischer „Tjaldur“ und ist der Nationalvogel der Inseln. Seine Rückkehr aus den Winterquartieren wird am 12. März von den Färingern als Frühlingsanfang gefeiert. Im 19. Jahrhundert besang der färöische Nationalheld Nolsoyar Pall diesen Vogel, der seitdem das Symbol des färöischen Unabhängigkeitsstrebens ist. Diese Stellung hat der Austernfischer seinem Verhalten zu verdanken, bei Gefahr andere Tiere lautstark zu warnen.
Aufgrund seines schwarz-weißen Gefieders, das auch dem der Elster ähnelt, wird der Austernfischer in vielen Ländern namentlich mit diesem Vogel in Verbindung gebracht. So heißt er in Finnland „Meriharakkar“ (See-Elster), in Dänemark „Strandskade“ (Strand-Elster), in den Niederlanden „Scholekster“ (Schollen-Elster) und in Russland „Kulik-soroka“ (Schnepfen-Elster).
Ein wirklich internationaler Vogel…