Vögel in Groß Borstel
Die Amsel
Sie ist die mit Abstand häufigste und sicherlich auch bekannteste Brutvogelart Hamburgs: Die Amsel (Turdus merula). Das auch Schwarzdrossel genannte Tier gehört in der Familie der „Drosseln“ zur Gattung der „Echten Drosseln“.
Die Körperlänge der Amseln beträgt zwischen 24 und 27 Zentimetern. Dabei sind erwachsene Männchen etwas größer als die Weibchen, haben ein schwarzes Gefieder, einen gelben Schnabel und einen gelben Augenring. Die dunkelbraun gefärbten Weibchen zeigen eine etwas hellere Kehle sowie eine sehr unterschiedlich ausfallende diffuse Fleckung der Brust und haben einen eher hornfarbenen Schnabel. Die Jungvögel sehen den Weibchen ähnlich, sind aber an der Körperoberseite hellbraun gestrichelt.
Gelegentlich sieht man Amseln, deren schwarzes Gefieder mehr oder weniger große weiße Flecken aufweist. Dieses Merkmal weist nicht etwa auf eine Krankheit, sondern einen natürlichen Gendefekt hin, der verhindert, dass Haut und Gefieder farbstoffbildende Zellen enthalten und wird Leuzismus genannt. Dies darf nicht mit dem – ebenfalls bei Amseln vorkommenden – Albinismus verwechselt werden. Denn bei diesem Gendefekt sind zwar Farbstoffzellen vorhanden, bilden aber keinen Farbstoff. Albinos erkennt man gut daran, dass meist alle Körperteile entfärbt und die Augen blutrot sind.
Das Brutgebiet der Amseln weist in Europa außer dem hohen Norden und dem äußersten Südosten keine größeren Verbreitungslücken auf. Auch in Hamburg treten die Tiere flächendeckend als Brutvogel auf, mit höchsten Dichten in Wohnblockzonen, Villenvierteln, der Gartenstadt sowie in Kleingärten und Grünanlagen. Ursprünglich waren Amseln Waldvögel, jedoch ist dort die Dichte heute nur noch halb so groß wie in der Stadt. Der Bestand in Hamburg beträgt ungefähr 70.000 Brutpaare.
In Mitteleuropa sind Amseln Teilzieher. Hier liegt der Anteil ziehender Individuen bei nur circa 25 Prozent. In Schweden und Finnland hingegen bei 76 bzw. 85 Prozent. Die Zugrichtung ist überwiegend Südwest bis nach Norditalien, Nordspanien und vor allem Süd- und Südwestfrankreich.
Amseln suchen ihre Nahrung vor allem am Boden. Dabei bevorzugen sie überwiegend tierische Nahrung wie Regenwürmer, Schnecken, Spinnen oder Käfer, die sie in der Stadt gerne auf regelmäßig gemähten Rasenflächen suchen. Bei zu knapper tierischer Nahrung weichen die Allesfresser auch auf Beeren und andere Früchte aus. Im Winter sind die Früchte des Efeus meist die einzige noch verbliebene pflanzliche Nahrung – abgesehen von Winterfutterstellen in der Stadt, an denen gerne auch Äpfel und Sämereien angenommen werden.
Die Amsel prägt auch den „Sound“ unserer Stadt. Denn den vor allem im Frühjahr weit hörbaren Reviergesang der Amselmännchen dürfte jeder im Ohr haben. Dabei zeigen sich die Vögel sehr ausdauernd und zudem besonders kreativ in der Erfindung, Kombination und Variation der uns Menschen sehr gefällig klingenden Melodiefolgen. Im Gegensatz dazu steht das bei Erregung von Männchen wie Weibchen zu hörende Zetern („Dackderrigigigi-duck-duck“) oder das „Tixen“ (eine Aneinanderreihung hoher scharfer „Tix“-Laute).
Typisch für Amseln ist der „Kontergesang“, also der Wechselgesang zweier benachbarter Amselmännchen, bei dem die Vögel das Gesangsmotiv des Gegenspielers aufgreifen und in vergleichbarer Länge und Strophe erwidern.
Viele Elemente des Gesangs übernehmen Amselmännchen vom Vater und von anderen Amseln. Aber auch die Laute anderer Vogelarten wie Meisen oder Grünspecht werden imitiert. In Städten wie Hamburg nimmt der lernfähige Vogel sogar Sirenensignale von Rettungsfahrzeugen in das Repertoire auf.
Amseln erreichen im Frühjahr, also am Ende ihres ersten Lebensjahres, ihre Geschlechtsreife. Aber bereits im November können durch im Brutgebiet verbliebene Männchen neue Reviere gebildet werden. Vor allem unter den Stadtamseln gibt es bereits in dieser Zeit erste Paarbildungen. Auch ziehende Vögel können schon verpaart im Brutgebiet eintreffen. In der Regel erfolgt die Paarbildung jedoch erst im späten Winter oder zeitigen Frühjahr, indem Männchen und Weibchen ein geeignetes Revier wählen.
Beim Balzritual stolziert das Männchen hoch aufgerichtet und mit aufgeplustertem Bauch- und Brustgefieder vor dem Weibchen auf und ab. Es lässt die hängenden Flügel erzittern und stimmt Balztriller oder Balzgesang an. Einer anschließenden Kopulation geht meist die Paarungsaufforderung des Weibchens voraus.
Das Revier wird von beiden Partnern verteidigt. Kommt es dabei zum Kampf, picken die Vögel aufeinander ein, steigen dabei bis zu drei Meter hoch um dann schließlich ineinander verkrallt und weiter miteinander kämpfend zu Boden zu fallen. Außerhalb der Brutzeit sind Amseln meist sozial und Ansammlungen von bis zu dreißig Vögeln an guten Nahrungsquellen nicht selten.
Amseln nisten vorwiegend in 1,5 bis 2 Meter Höhe in Bäumen und Sträuchern, aber auch am Boden. Dabei werden halbdunkle Standorte insbesondere in immergrünen Gehölzen bevorzugt. Das Weibchen baut zwei bis fünf Tage lang alleine das Nest. Das Material wie dünne Zweige, Halme, Moos und Flechten sammelt es ausschließlich am Boden.
Ein bis drei Tage nach Vollendung des Nestbaus legt das Weibchen das erste Ei und im Abstand von 24 Stunden in der Regel weitere zwei bis vier Eier von grünlicher Färbung. Nach dem Legen des dritten Eis beginnt alleine das Weibchen mit der Brut, unterbrochen lediglich durch Nahrungsaufnahme, während das Männchen das Gelege bewacht. Die Brut dauert im Mittel 13 Tage.
Die Jungen schlüpfen innerhalb von zwei Tagen und werden dann von beiden Eltern gefüttert, jedoch gehudert nur vom Weibchen. Die frisch geschlüpften Nestlinge wiegen fünf bis sieben Gramm, beim Verlassen des Nestes nach 13 bis 15 Tagen circa 65 Gramm. Im Alter von etwa 18 Tagen sind die Jungen flugfähig, nach 19 bis 32 Tagen selbstständig.
Gefahr droht der europäischen Population seit über zwei Jahrzehnten durch das von Stechmücken übertragene Usutu-Virus. Ursprünglich nur in Afrika bekannt, verursacht es seit 2001 in Mitteleuropa ein auffälliges Vogelsterben. Da überwiegend Amseln betroffen sind, spricht man auch vom „Amselsterben“. In den Norden Deutschlands hat sich das Virus vor allem in den Hitzesommern 2017 und 2018 ausgebreitet, wobei besonders viele Meldungen aus Niedersachsen kamen.
Trotzdem bleibt die Amsel nach dem Buchfink in Deutschland der häufigste Brutvogel, ihr Bestand wird auf bis zu 10 Millionen Brutpaare geschätzt und gilt als nicht gefährdet.
Einzelne Amseln können ein beträchtliches Lebensalter erreichen. Mehrfach wurden mehr als zehn Jahre alte Vögel festgestellt. Die bislang älteste bekannte Amsel wurde 1974 auf Helgoland beringt und im Alter von 22 Jahren und drei Monaten wieder angetroffen – wahrscheinlich ist sie sogar noch viel älter geworden.
Die Amsel spielt in bekannten Volksliedern wie „Die Vogelhochzeit“ und „Alle Vögel sind schon da“ eine wesentliche Rolle. Die Texte beider Lieder zeigen deutlich, dass die Amsel oft – und fälschlicherweise – nicht der Familie der Drosseln zugeordnet wird („Die Drossel war der Bräutigam, die Amsel war die Braut“ oder „Amsel, Drossel, Fink und Star“).
Gesangsmotive der Amsel haben auch Richard Strauss inspiriert. So erklingt zu Beginn des ersten Aktes des „Rosenkavalier“ der Amselgesang recht naturgetreu auf einer Klarinette.
Auch kulinarisch kommt der Amsel eine gewisse Bedeutung zu. So galt ihr Fleisch bereits bei den alten Römern als sehr schmackhaft, weshalb die Vögel in großen Vogelhäusern gemästet wurden. Auch zur traditionellen korsischen Küche gehört „Pâté de Merle“, eine Amselpastete. Dabei dauert die Jagdsaison auf Amseln in Frankreich von Ende August bis Mitte Februar. Vor diesem Hintergrund bietet sich Hamburg als dauerhafter Wohnsitz für die Amsel eindeutig an.
Text und Fotos: Michael Rudolph