Vögel in Groß Borstel

Der Eisvogel

Meisterfischer, Königsfischer, blauer Blitz oder fliegender Diamant – der farbenprächtige Eisvogel (Alcedo atthis) hat im Volksmund viele Namen. Unter den weltweit 90 Vertretern der Familie der Eisvögel (Alcedinidae) ist er die einzige in Mitteleuropa vorkommende Art. Sein Bestand wird in Deutschland auf bis zu 7000 und in Hamburg auf über 100 Brutpaare geschätzt. Als Fischfresser findet man den Vogel ausschließlich an sauberen Fließgewässern und Teichen. In Hamburg ist er nicht häufig, aber doch flächenhaft verbreitet mit Brutvorkommen insbesondere im Bereich der Alster mit ihren Nebenflüssen, der Bille und der Unterelbemarschen. Auch in und um Groß Borstel lässt sich der Eisvogel beobachten, vor allem im Eppendorfer Moor, an der Tarpenbek, Kollau und am Eppendorfer Mühlenteich. Der Vogel benötigt für die Jagd auf Fische im Winter eisfreie Gewässer. Sind die umliegenden Teiche zugefroren, besteht die große Chance, ihn auch in Groß Borstel an den noch offenen Fließgewässern Kollau und Tarpenbek beim Fischen beobachten zu können.

Eisvögel sind unverwechselbar. Mit einer Länge von 17 bis 19 cm und einer Flügelspannweite von etwa 25 cm sind sie etwas größer als ein Haussperling, wirken gedrungen, dabei auffallend kurzschwänzig und haben einen vier Zentimeter langen spitzen Schnabel. Die Farbe ihrer Körperoberseite wirkt je nach Lichteinfall leuchtend kobaltblau bis türkis. Im Kontrast dazu sind die Unterseite und Ohrdecken orangebraun gefärbt. Seitlich am Hals und an der Kehle zeigen sich weiße Flecken. Über den Rücken zieht sich ein leuchtend blauer Streifen, der insbesondere im Flug auffällt. Weibchen und Männchen lassen sich gut an der Schnabelfarbe unterscheiden: Während der Schnabel des Männchens weitgehend schwarz ist, sind etwa zwei Drittel der Schnabelunterseite des Weibchens orangefarben. Das Gefieder der Jungvögel weist eine mattere Färbung auf.

Der Ruf des Eisvogels ist ein hoher, scharfer Pfiff, der „Zii“ oder „Zii-tii“ klingt und im Vorbeiflug auch in schnellen Wiederholungen vorgetragen wird. Jungvögel geben ein schnurrendes Geräusch von sich.

Eisvögel sind weit überwiegend Standvögel. Sie leben an mäßig schnell fließenden oder klaren Gewässern mit Bestand an kleinen Fischen und Krebsen, Kaulquappen, Insekten und ihren Larven. Außerdem benötigen die Tiere Gehölze bzw. Sitzwarten über den Ufern. Dort hockt der Vogel geduldig, bis er ein Beutetier entdeckt. Dann stürzt er sich kopfüber ins Wasser. Kurz vor dem Eintauchen streckt er seinen Körper, legt die Flügel eng an und ergreift schließlich im Wasser die Beute mit dem Schnabel. Nach zwei bis drei Sekunden kehrt er mit dem Nacken voran und an die Brust gedrücktem Kopf an die Wasseroberfläche zurück, reißt den Kopf hoch und fliegt zurück auf seine Sitzwarte. Dort schüttelt er den erbeuteten Fisch oder schlägt ihn auf den Ast, um ihn zu betäuben, wendet ihn schließlich im Schnabel, um ihn dann mit dem Kopf voran in einem Stück zu verschlucken. Unverdauliche Teile wie Fischgräten und Insektenhäute würgen Eisvögel nach etwa zwei Stunden als Gewölle wieder aus. Gelegentlich sucht der Eisvogel auch im Rüttelflug nach Beute.

Eisvogel-Ende-Stosstauchen
Eisvogel-mit-Fisch

Die meisten Eisvögel leben in einer monogamen Brutehe. Während der Balz zwischen Februar und März übergibt das Männchen mit einer kleinen Verbeugung dem Weibchen kleine Fische, die sie mit zitternden Flügeln entgegennimmt. An einer senkrechten oder leicht nach vorn geneigten Steilwand aus Lehm oder festem Sand graben schließlich beide Partner abwechselnd mit den Schnäbeln und Füßen einen bis zu 90 Zentimeter langen Tunnel. An dessen Ende wird eine Bruthöhle angelegt, die einen Durchmesser von 17 cm und eine Höhe von 12 cm hat. Erst nach Fertigstellung dieses Kessels sind die Vögel in der Lage, sich darin zu drehen und den Bau Kopf voran wieder zu verlassen. Selbst während der etwa zwei bis drei Wochen dauernden Bauzeit der Höhle kommt es zu zahlreichen Balzfütterungen und schließlich auch Kopulationen. Mitunter werden sogar alte Bruthöhlen nach einer gründlichen Säuberung erneut genutzt. Zwischen Ende März und Anfang April haben die meisten Brutpaare ihre fertiggestellten Höhlen bezogen.

In Folge legen die Weibchen täglich vormittags jeweils ein nahezu kugelrundes Ei. Die insgesamt sechs bis acht Eier sind zunächst zartrosafarben, später porzellanweiß. Beide Partner bebrüten die Gelege dann abwechselnd 19 bis 21 Tage lang.

Während ein Altvogel die Nestlinge nach dem Schlüpfen hudert, fängt der andere für den Nachwuchs zunächst Insekten und später auch kleine Fische. Nach 23 bis 28 Tagen fliegen die Jungen aus. Sie halten sich zunächst in der Nähe der Bruthöhle auf, werden dort noch von den Altvögeln gefüttert, dabei aber nach und nach von der Bruthöhle weggeführt und schließlich sogar energisch aus dem Brutrevier verjagt.

Zwischen Juni und Juli folgt eine zweite Brut, später eine dritte und in seltenen Fällen auch noch eine vierte, deren Junge erst im Oktober ausfliegen. Bei den Folgebruten kommt es oft per „Arbeitsteilung“ zu „Schachtelbruten“. Hier füttert das Männchen noch in oder an einer Bruthöhle die Jungen, während das Weibchen bereits in einer weiteren Behausung auf den Eiern der nachfolgenden Brut sitzt. Diese enorme Reproduktionszahl ist aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate der Vögel notwendig: So sterben mehr als 80 Prozent der Jungvögel bereits in der Zeit zwischen dem Verlassen der Bruthöhle und der folgenden Brutsaison. Auch verursachen strenge Winter starke Einbrüche der Bestandszahlen der schönen Vögel, die in der Regel nicht älter als drei Jahre werden.

In früheren Zeiten wurde der Eisvogel von Binnenfischern stark bejagt. Denn im 19. Jahrhundert galten seine Federn als beliebte Verzierung an Damenhüten. Auch der Herstellung künstlicher Fliegen für Angler fielen tausende Eisvögel zum Opfer. Nicht zuletzt hatte die Vernichtung von Lebensraum durch Trockenlegungen und Begradigungen von Gewässern den Populationen sehr zugesetzt.

Eisvogel männlich, Sitzwarte

Dem wurde seit Ende des 20. Jahrhunderts erfolgreich entgegengewirkt durch Renaturierung von Gewässern, Schaffung von Schutzzonen mit künstlichen Steilwänden, teils mit künstlichen Bruthöhlen sowie andere Schutzmaßnahmen. Die Bestände erholten sich und gelten inzwischen als nicht gefährdet. 1973 und 2006 war die streng geschützte Art „Vogel des Jahres“ in Deutschland.

Weil antike Autoren die Meinung vertraten, Eisvögel begännen ihre Brut schon um die Wintersonnenwende, nannte man diese Zeit die „halkyonischen Tage“, an denen das Wetter, eben wegen des Brütens der Eisvögel, besonders ruhig und für die Seefahrt besonders geeignet sei. Selbst der sonst sehr skeptische Philosoph Michel de Montaigne (1533–1592) scheint die Geschichte geglaubt zu haben, denn er schreibt: „Die Natur hat kein anderes Tier während des Brütens und der Hervorbringung der Jungen so geehrt; der ganze Ozean ist still und geglättet, ohne Wellen, Wind oder Regen, während der Eisvogel seine Jungen ausbrütet, was gerade während der Wintersonnenwende geschieht, sodass wir durch sein Vorrecht sieben Tage und sieben Nächte erlangen, worin wir ohne Gefahr segeln können.“

Der Name „Eisvogel“ lässt sich in Ableitung des Wortteils „Eis“ oder „Eisen“ zwar mit seinem blauen beziehungsweise orangefarbenen Gefieder in Verbindung bringen. Aufgrund mehrerer Überlieferungen aus dem Althochdeutschen konnten Wissenschaftler jedoch nachweisen, dass die Worte „isaro“ beziehungsweise „isarno“ eigenständige Namen für diese in Mitteleuropa einzigartige Vogelart darstellen. Dabei liegt diesem Namen das germanische „isan“ oder „eisan“ zugrunde, das „glänzen“ bedeutet.

Den außergewöhnlichen Glanz und die Pracht des Eisvogels hat der französische Naturforscher Georges Louis Leclerc de Buffon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit folgenden treffenden Sätzen beschrieben:

„Dieser Vogel ist der schönste in unseren Himmelsgegenden, und es gibt keinen in Europa, den man an Reinheit, Reichtum und Glanz der Farben mit dem Eisvogel vergleichen könnte: die Farben haben die Schattierungen des Regenbogens, den Glanz des Schmelzes, die Pracht der Seide: Der ganze mittlere Rücken mit dem oberen Schwanz hat ein helles und glänzendes Blau, das gegen die Sonnenstrahlen wie ein Saphir spielt und den Glanz des Türkis hat; das Grüne vermischt sich auf den Flügeln mit dem Blau, und die meisten Federn haben eine meergrüne Spitze und Punkte; der Kopf und der Hals sind ebenso puncitert mit hellen Flecken auf einem himmelblauen Grunde.“

Text und Fotos: Michael Rudolph