VÖGEL IN GROSS BORSTEL:

DAS ROTKEHLCHEN – VOGEL DES JAHRES 2021

Wenn in Groß Borstel ein Vogel während der Dämmerung oder sogar bei Dunkelheit stimmstark, perlend und immer etwas wehmütig klingend singt, dann kann es sich nur um das Rotkehlchen handeln.

Zu jeder Jahreszeit, also auch im Winter, meist beginnend eine Stunde vor Sonnenaufgang und endend eine Stunde nach Sonnenuntergang, hört man diesen Vogel, dessen Gesang mit 275 nachgewiesenen Motiven beeindruckend variabel ist. Bei Dunkelheit ist er insbesondere dann zu hören, wenn eine Lichtquelle vorhanden ist, sei es eine Straßenlaterne oder der Vollmond. Sogar in der Dunkelheit von Bergwerksstollen und von Vogel-Aufbewahrungsbeuteln bei Beringungsaktionen hat man schon Rotkehlchen singen gehört!

Als einer der bekanntesten und beliebtesten Vögel Deutschlands wurde es in diesem Jahr – erstmalig in einer öffentlichen Wahl – mit 17,4 Prozent zum „Vogel des Jahres“ gekürt. Dabei verwies es Rauchschwalbe und Kiebitz auf den zweiten und dritten Platz. Bereits 1992 stand das Rotkehlchen ganz oben auf dem Podest, damals allerdings ohne öffentliche Beteiligung.

Das Rotkehlchen (Erithacus rubecula) gehört innerhalb der Ordnung Sperlingsvögel (Passeriformes) und Unterordnung Singvögel (Passeri) in die Familie der Fliegenschnäpper (Muscicapidae). Es lebt in ganz Europa, Nordafrika und Kleinasien.

Gesicht, Brust und Kehle des erwachsenen Rotkehlchens sind orangerot gefärbt und machen diesen kleinen, rundlichen Sympathieträger mit den großen Knopfaugen unverwechselbar. Der Vogel ist etwa 14 cm lang, der Bauch weißlich, die Flanke graubeige. Oberseite, Flügel und Schwanz sind dunkel olivbraun gefärbt. Die Männchen und Weibchen sehen gleich aus, den Rotkehlchen im Jugendkleid fehlt jedoch die orange Färbung, ihre Brust ist noch braun geschuppt.

Der Vogel lebt und brütet bevorzugt in Wäldern, Parks, Gärten und Friedhöfen und ist bekannt für seine geringe Scheu. In Gartenerde arbeitende Menschen begleitet er unerschrocken und unterschreitet dabei für die Nahrungssuche in der aufgeworfenen Erde Distanzen von einem halben Meter. Rotkehlchen ernähren sich hauptsächlich von Insekten, Spinnen, Schnecken und Regenwürmern, im Spätsommer und Herbst auch von kleinen Früchten, Beeren und Samen. Im Winter besucht der Vogel gerne Futterhäuschen, wo er Fettfutter und Körner bevorzugt.

Mit in Deutschland lebenden 3,4 bis 4,3 Millionen Brutpaaren gilt der Bestand der Rotkehlchen noch als stabil. Und das trotz Flurbereinigungen, intensivierter Landwirtschaft, Verbauung und der in Südeuropa immer noch verbreiteten Singvogeljagd, der tausende Rotkehlchen jährlich zum Opfer fallen.

Aller Anfang ist klein: Ein juveniles Rotkehlchen

Dieser Vogel ist ein typischer Teilzieher. Einige – vorwiegend Weibchen – ziehen ins westliche Mittelmeergebiet, andere bleiben hier. Als Zugvogel hat das Rotkehlchen in Fachkreisen Berühmtheit erlangt. Denn der Zoologe und Verhaltensforscher Prof. Dr. Wolfgang Wiltschko konnte, als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Orientierung von Vögeln, in den 1970er Jahren mit Magnetfeldforschungen an Rotkehlchen den Nachweis erbringen, dass diese über einen inneren Magnetkompass verfügen. Somit sind sie in der Lage, sich am Erdmagnetfeld zu orientieren und gelangen auch ohne Sicht auf den Nachthimmel oder andere Sichtmarken stets ans Ziel. Spätere Forschungen ergaben, dass auch andere Zugvögel diesen Kompass besitzen, bestehend aus einem Rezeptor im optischen System für Richtungsänderungen des magnetischen Feldes, ergänzt durch die Fähigkeit, im nasalen Bereich Änderungen der Feldstärke wahrzunehmen.

Die Balz und Paarbildung der Rotkehlchen beginnt bereits im Dezember, bei den Rückkehrern aus Südeuropa entsprechend später. Der Standort des aus Moos, Halmen und Wurzeln bestehenden und zum Beispiel mit Blättern gegen Regen geschützten napfartigen Nestes ist sehr variabel. Gerne werden Bodennester zwischen Wurzeln, unter Stämmen, in Erdlöchern oder im Gras angelegt. Das anpassungsfähige Rotkehlchen nimmt aber auch niedrig hängende Halbhöhlen-Nistkästen an oder baut an leicht erhöhten Plätzen in Nischen, kleinen Höhlen, Töpfen und Dosen. Dabei ist der Nestbau fast ausschließlich Sache der Weibchen.

Die Brutzeit beginnt Anfang April und endet im Juli. Sobald das Weibchen brütet, wird es vom Männchen versorgt, das dazu mit vollem Schnabel in Nestnähe einen speziellen Ruf ertönen lässt. Das Weibchen verlässt daraufhin kurz das Nest und holt sich seine Ration.
Das Gelege besteht aus bis zu sieben Eiern, die rahmfarben matt glänzen und dicht rostbraun gefleckt sind. Zweitbruten kommen recht häufig vor, da der Bruterfolg in den Bodennestern der Vögel nur bei etwa 27 Prozent liegt. Kein Wunder angesichts der vielen Feinde, zu denen Sperber, Waldkäuze, Bussarde, Eichelhäher, Elstern, Krähen, Dohlen, Ratten, Eichhörnchen, Wiesel, Marder, Füchse und Katzen zählen.

Eine ungestörte Nestlingszeit dauert 12 bis 15 Tage. Danach verlassen die noch flugunfähigen Jungvögel das Nest und verstecken sich am Boden. Dort werden sie weiterhin mit Futter versorgt. Sobald der Nachwuchs selbstständig ist, wird er von den Altvögeln aus dem Brutrevier vertrieben.
Rotkehlchen haben unter Berücksichtigung der geringen Überlebensrate der Nestlinge eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur 1,25 Jahren. Haben Jungvögel das so gefährliche erste Jahr überstanden, erreichen sie oft ein Alter von drei bis vier Jahren. Das höchste durch Beringung belegte Alter beträgt 17 Jahre und drei Monate.

Bei germanischen und keltischen Volksstämmen galt das Rotkehlchen als Träger und Überbringer der Sonne. Bei den Germanen und in späteren Schweizer Sagen wurde es dem rotbärtigen Gott Thor zugeschrieben, denn es trug die rote Farbe seines Blitzes. Generell setzten die Volksgruppen alles, was farblich dem Feuer glich, in Beziehung zu der entsprechenden, diese Naturgewalt beherrschenden Gottheit. Wo Rotkehlchen und andere rotfarbene Vogelarten nisteten, da hielt Donar seine schützende Hand über Haus und Hof.

Deshalb wurde es auch als großer Frevel betrachtet, wenn jemand das Nest eines Rotkehlchens zerstörte. Darüber hinaus herrschte der Glaube, dass ein dem Haus nahes Rotkehlchennest dem darin lebenden Ehepaar ein Leben in Glück und Frieden bringen würde. Grund genug, auch in heutiger Zeit Gärten und Häuser durch Angebote an Nistmöglichkeiten Rotkehlchen-freundlich zu gestalten!
Text und Fotos: Michael Rudolph

GUT ZU WISSEN: Ronni Rotkehlchen
Im französischen Original: Georges le rouge-gorge

Dieses sehr sympathische Kinderbuch von Antoon Krings beschreibt die Geschichte einer Maus und eines Rotkehlchens, die sich gegenseitig mit Krümeln und Gesang durch den kalten und einsamen Winter helfen. Gibt es mit einer Menge von Tieren in vielen europäischen Sprachen. Derzeit eher antiquarisch oder auf Flohmärkten zu bekommen.