VÖGEL IN GROSS BORSTEL: DIE HECKENBRAUNELLE

Sie ist eine unauffällige und scheue Bewohnerin Groß Borstels. Wenn sie in ruckartigen Bewegungen über den Boden von einem Strauch zum nächsten huscht, könnte man sie mit einer Maus verwechseln. Doch mit ihrem lauten Gesang – hoch und dünn in kurzen Strophen, dabei klirrend wie ein Schlüsselbund – macht sie nachdrücklich auf sich aufmerksam.

Die Rede ist von der Heckenbraunelle, einem weit verbreiteten, gebietsweise häufig vorkommenden aber gleichzeitig unauffällig lebenden Vogel. Das der Umgebung angepasste graubraune und auf der Oberseite schwarzgestreifte Gefieder erinnert an den Haussperling. Doch im Unterschied zu diesem hat die Heckenbraunelle eine blei- bis schiefergraue Kehle, am Hals einen blaugrauen Streifen und als Insektenfresser einen feinen Schnabel, also nicht den kräftigen Schnabel des Spatzes. Zudem unterscheiden sich die Geschlechter der Heckenbraunelle kaum voneinander, das Männchen weist lediglich etwas mehr Grau an Kopf und Kehle auf. Beide sind um 15 cm lang, haben eine Flügelspannweite von 22 cm und wiegen bis zu 24 Gramm.

Die Heckenbraunelle (Wissenschaftlicher Name: Prunella modularis) gehört zur Ordnung der Sperlingsvögel (Passeriformes), zur Unterordnung der Singvögel (Passeri), zur Familie der Braunellen (Prunellidae) und hier zur Gattung der Braunellen (Prunella).
Zur Familie der Braunellen gehören auch die Alpenbraunelle, Steinbraunelle und Schwarzkehlbraunelle. Alle drei kommen jedoch in Norddeutschland nicht vor – ganz im Gegensatz zur Heckenbraunelle, deren Verbreitungsgebiet sich über ganz Europa (außer Island) und Vorderasien erstreckt. Sogar in Neuseeland ist sie heimisch, denn europäische Einwanderer setzten dort in den Jahren 1867 bis 1882 mehrere hundert Heckenbraunellen aus, die sich als Brutvogel über das ganze Land (einige Inseln ausgenommen) ausbreiten konnten.

Der mitteleuropäische Bestand an Heckenbraunellen beträgt bis zu 4,7 Millionen, der gesamteuropäische bis zu 26 Millionen Brutpaare, was über 95 Prozent des Weltbestandes entspricht. Dieser Vogel ist nicht gefährdet, sein Bestand gilt als stabil.

Heckenbraunellen leben an Waldrändern, in Gärten sowie Parks und dort gerne im Dickicht, im Unterwuchs von Bäumen, in Gebüschen und Hecken. Ihre höchste Siedlungsdichte erreichen sie aber auf Flächen, die dicht mit Jungfichten bepflanzt sind.

Ihre Nahrung besteht im Sommer aus Raupen, Käfern, Larven, Puppen und Spinnen, im Winter aus Sämereien. Zum Glück haben auch diese Vögel gelernt, nach kalten Winternächten ihre versteckte Lebensweise aufzugeben, um von Menschen angebotenes fetthaltiges Futter anzunehmen. Dies ist überlebenswichtig, da Heckenbraunellen bei niedrigen Temperaturen aufgrund ihrer großen Stoffwechselaktivität 10 bis 20 Prozent ihres Körpergewichts verlieren.

Die Heckenbraunelle ist an ihrem klirrend hellen, lauten Gesang zu erkennen.

Heckenbraunellen sind Teilzieher. Nur höher gelegene und klimatisch schwierige Gegenden werden im Winter vollständig verlassen. Viele Heckenbraunellen kommen dann aus Nordeuropa zu uns, während unsere Brutvögel weiter nach Süden, einige bis nach Südspanien und Nordafrika ziehen.
Äußerst ungewöhnlich und vielfältig sind die Partnerschaftsbeziehungen der Heckenbraunellen. Neben dem gewohnten Paar, bestehend aus Weibchen und Männchen, kommen häufig Brutgemeinschaften zusammen.

Vielfältige Partnerschaftsbeziehungen bei Heckenbraunellen

Diese können aus einem Männchen und zwei Weibchen oder auch zwei Weibchen und einem Männchen bestehen. Die Ursache dafür: Auch Heckenbraunellenweibchen besetzen Reviere, wodurch es zu Überschneidungen mit den Revieren zweier verschiedener Männchen kommen kann. Umgekehrt ist auch die Überlappung eines männlichen mit zwei weiblichen Revieren möglich. Es kann vorkommen, dass ein dominantes Paar Unterstützung bei der Brutpflege von anderen unterlegenen Männchen erhält, die ihrerseits ebenfalls verpaart sind. Von der Einehe bis zur Polygamie ist unter Heckenbraunellen also alles möglich und somit nicht ausgeschlossen, dass die Küken eines Nestes verschiedene Väter haben.

Die Elterntiere bauen das napfförmige, aus Halmen und Moos bestehende und mit Haaren gepolsterte Nest gerne in Bodennähe in dichtem Gebüsch oder in niedriger Höhe in jungen Nadelbäumen. Heckenbraunellen brüten meist zweimal pro Jahr, im April und Juli. Das Weibchen legt vier bis sechs Eier. Brutdauer wie Nestlingszeit betragen jeweils 14 Tage. Dabei brütet das Weibchen überwiegend allein und wird während dieser Zeit vom Männchen mit Futter versorgt. Die Fütterung der Nestlinge übernehmen beide Eltern.

Die auffällig hellblauen Eier und später auch die Nestlinge sind im April wegen des noch geringen Blattwuchses im tief hängenden Nest leicht zu entdecken. So werden sie oft Beute von Katze, Eichhörnchen, Marder, Wiesel, Sperber, Elster oder Eichelhäher.

Der englische Romancier Nigel Hinton (*1941) beschrieb in seinem 1986 erschienenen Roman „Im Herzen des Tals“ ein Jahr im Leben einer Heckenbraunelle in einem kleinen englischen Tal, beginnend mit dem Überstehen eines klirrend kalten Winters, über die Suche nach einem treuen Gefährten, bis zum mühsamen Nestbau in einer Hecke.

Der viktorianische Geistliche, Naturforscher und Vogelschützer Francis Orpen Morris (*1810, †1893) wählte in seinem 1851 erschienenen Werk „A History of British Birds“ die Heckenbraunelle als Beispiel für Bescheidenheit und Zurückhaltung. Vermutlich kannte er das „flexible“ Paarungsverhalten dieser Vögel nicht …

Text und Fotos: Michael Rudolph

Obwohl sich der deutsche Name und die lateinische Fachbezeichnung gleichen, ist die gemeine Braunelle ein Pflanze aus der Familie der Lippenblütler. Diese Braunelle kann nicht singen, dafür gibt es von dem Piepmatz keinen so schönen Teller wie diesen aus der Serie „Flora Danica“ von Royal Copenhagen.